Armutsfalle«Ich verzichte auf Mahlzeiten, damit das Geld reicht»
Auch in der reichen Schweiz gibt es Armut. Leser I. muss nach Abzug aller Kosten mit knapp 420 Franken im Monat auskommen. Für Kleider reicht das Geld nicht.
Darum gehts
Trotz des Reichtums in der Schweiz sind viele Menschen im Land arm. 17 Prozent der Schweizer Haushalte leben im Vergleich zum Rest der Bevölkerung in schwierigen bis sehr schwierigen finanziellen Verhältnissen. Das zeigt die aktuellste Auswertung vom Bundesamt für Sozialversicherungen für das Jahr 2015.
Diese Haushalte haben bedeutend weniger Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Dies, weil die finanziellen Mittel so begrenzt sind, wie es auf Anfrage beim Bundesamt für Sozialversicherungen heisst.
Diese armen Haushalte verdienten weniger als 50 Prozent des Medianeinkommens. 2015 betrug es in der Schweiz 63’470 Franken pro Jahr. Der Median ist der Wert genau in der Mitte. Die eine Hälfte der Leute bekommt mehr Lohn, die andere weniger als das Medianeinkommen.
420 Franken pro Monat übrig
Auch Betroffene aus der 20-Minuten-Community leiden unter Armut. Der Schreiner I.* (32) im 80-Prozent-Pensum muss mit einem Nettolohn von 3200 Franken auskommen. Er lebt noch mit seinen zwei kleinen Brüdern bei der Mutter in der Agglo von Zürich, weil die Kosten in der Schweiz so hoch sind. 1200 Franken zahlt er an die Miete von 2500 Franken.
Alte SBB- und Krankenkassenrechnungen belasten das Budget. Diese zahlt er nach Absprache mit der Sozialhilfe monatlich ab. Nach Abzug aller Kosten für Miete, Krankenkasse, etc. bleiben ihm noch knapp 420 Franken, die er spart. «Ich muss manchmal aufs Essen verzichten, damit das Geld für den nächsten Tag reicht», sagt I. zu 20 Minuten. Nicht mal Kleider kaufen könne er. «Sonst reicht das Geld für die Rechnungen nicht», so I. Seine Monatsrechnung sieht so aus:
Einkommen: 3214 Franken Nettolohn
Abzüge: 1200 Franken für Miete, 652 Franken für die Krankenkasse und Nachzahlungen (siehe oben), 500 Franken fürs Zug- und Trambillett und Nachzahlungen, 180 Franken Betreibungskosten, 220 Franken für die Verpflegung, 37 Franken fürs Handyabo
Saldo: 425 Franken
Weitere Beispiele von Leserinnen und Lesern siehst du in der Bildstrecke oben.
Armutsfalle kann alle treffen
Betroffen sind gemäss Studie in erster Linie Alleinerziehende, Migrantinnen und Migranten, ein Teil der Selbstständigerwerbenden und Personen mit geringer Bildung. Doch die Armutsfalle kann jeden treffen, auch sehr gut Ausgebildete, wie Daniel Römer, Leiter der Winterhilfe Zürich, zu 20 Minuten sagt.
Häufig komme es vor, dass sich die Leute bei den Ausgaben überschätzen. Das gebe es oft bei Eltern, die ihren Kindern etwas leisten möchten, aber dann von etwas Unvorhergesehenem wie einer hohen Zahnarztrechnung überrascht werden. «Dann türmen sich plötzlich die Rechnungen und man kommt nicht mehr nach», so Römer.
Für die Betroffenen sei die ständige Angst vor der nächsten Rechnung bedrückend. «Sie kommen in Stress, weil es an vielem fehlt», sagt Römer. Sie könnten sich keine zentrumsnahe Wohnung leisten, sondern lebten meist in kleinen, lauten Wohnungen, in denen sie sich das Zimmer mit mehreren Familienmitgliedern teilen.
Tipps von der Winterhilfe
*Namen der Redaktion bekannt.