#FaceTheDepression«Ich wünschte mir, man würde mir meine Depression ansehen»
Unter #FaceTheDepression posten Personen auf Social Media Fotos, auf denen sie glücklich scheinen – gleichzeitig aber mit mentalen Problemen kämpften. Drei Betroffene erzählen, was sie von der Aktion halten.
Darum gehts
Auf Social Media teilen zahlreiche Personen unter dem Hashtag #FaceTheDepression Bilder von sich, auf denen sie glücklich aussehen – obwohl sie zum Zeitpunkt der Aufnahmen eigentlich mit psychischen Problemen zu kämpfen hatten.
Die Posts sollen Betroffene dazu ermutigen, psychische Probleme anzusprechen statt zu vertuschen.
Drei von Depressionen betroffenen Personen erzählen, was sie davon halten.
Eine Fachperson erklärt, wieso man den Hashtag dennoch mit Vorsicht gebrauchen sollte.
Sie lachen in die Kamera, posieren zu Sonnenuntergängen oder schlürfen zufrieden einen Smoothie: Unter dem Hashtag #FaceTheDepression posten zurzeit zahlreiche Personen auf Social Media Bilder von sich, auf denen sie vermeintlich glücklich aussehen – obwohl sie zum Zeitpunkt der Aufnahme eigentlich psychische Probleme hatten. «Dieses Foto entstand einige Tage nach meiner ersten Panikattacke», schreibt etwa eine Userin zu einem Bild auf Instagram, das sie lachend am Meer zeigt. Ein anderer Nutzer kommentiert zu einem Selfie, auf dem er zufrieden grinst: «Dieses Bild entstand drei Tage bevor ich versucht habe, mich zu verletzen und nie mehr zurückzukommen.»
Die Message der Fotos: Psychische Probleme sind für Aussenstehende nicht immer erkennbar. «Ganz automatisch versteckt man die Krankheit hinter Fröhlichkeit und Lächeln. Weil sie immer noch mit einem Stigma behaftet ist», schreibt eine Userin auf Instagram. «Man macht sich verletzbar, wenn man offen damit umgeht. Es wäre schön, wenn sich das endlich ändern würde.» Auslöser für die Aktion war die Aussage von Meghan Markle: Trotz Selbstmordgedanken habe sie jeweils in die Fotokameras lächeln müssen, als wäre nichts gewesen.
Drei von Depressionen betroffene Personen haben gegenüber 20 Minuten erzählt, was sie von dem Hashtag halten – und wieso sie es wichtig finden, dass man psychische Krankheiten im Umfeld offen kommuniziert.
«Depressionen fühlen sich wie ertrinken an», Monika (40)
«Ich bin seit vielen Jahren familiär und beruflich extrem überlastet, weil ich privat wie beruflich sehr viel zu stemmen habe. Ich bin alleinerziehend und berufstätig – das wurde irgendwann zu viel und meine Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit nahmen stark ab. Ich erhielt die Diagnose Erschöpfungsdepression. Dass ich schwere Depressionen habe, merkte man mir lange nicht an. Ich lache viel, bin gut vernetzt und gerne unter Leuten. Wenn ich Personen von meinen psychischen Problemen erzähle, bekomme ich oft ein «krass, das hätte ich nie gedacht» oder ein «du siehst aber super aus!» zu hören. Das macht die Situation schwierig – manchmal wünschte ich mir, ich hätte einen Verband im Gesicht oder würde schäbig aussehen, damit die Leute mitbekommen dass ich in gewissen Phasen nicht gesund bin und Depressionen habe und ihre Erwartungshaltung dementsprechend anpassen können.
In starken Belastungszeiten habe ich früher sogar am besten ausgesehen. Ich habe mich gestylt, geschminkt und High Heels angezogen. Das gab mir ein Gefühl von Mut und Sicherheit – für mein Umfeld war es aber noch schwieriger zu merken, dass etwas nicht in Ordnung war. Das innere Bild muss nicht immer mit der äusseren Erscheinung übereinstimmen – erst recht nicht bei psychischen Erkrankungen. Psychische Krankheiten sind für viele nicht fassbar. Das ist problematisch, denn mentale Probleme können genauso schwerwiegend und langwierig sein wie körperliche Beschwerden. Deswegen finde ich den Hashtag eine gute Sache. Es ist wichtig, dass sich Betroffene trauen, transparent mit der Thematik umzugehen. Mit dem Umfeld zu reden und Ängste auszusprechen hilft enorm – ehrliches Verständnis und Anerkennung von der Familie und von Freunden spenden Kraft, Trost und Mut.»
«Die Diagnose war Erleichterung und Schock zugleich», Alice (30)

«Auf diesem Bild im Jahr 2016 war ich eigentlich extrem unglücklich», erklärt Alice. Das Foto hat sie ihrem Freund geschickt, den sie damals am Kennenlernen war: «Ich wollte, dass er denkt, dass ich zufrieden bin.»
Privat«Mein Vater hat 2008 plötzlich den Kontakt zu mir und meiner Familie angebrochen. Das hat viele Dinge bei mir ausgelöst und danach ging es mir schleichend immer schlechter. Ich war immer müde, konnte den ganzen Tag stundenlang schlafen. Trotzdem hat mir niemand angemerkt, dass es mir eigentlich nicht gut ging. Die Diagnose Depression habe ich erst im Jahr 2016 erhalten. Ich fühlte Erleichterung und Schock zugleich. Für meine Mutter war es schwer zu akzeptieren, dass ich nicht einfach «in einer Phase» bin. Nach der Diagnose war ich drei Monate in einer stationären Klinik. Das hatte mir sehr geholfen. Bei der Rückkehr zur Arbeit habe ich meine Kollegen über die Situation informiert. Zum Glück war mein damaliger Chef sehr unterstützend. Ich habe klar kommuniziert, dass ich keine Sonderbehandlung möchte. Oft haben Personen, sobald sie von meiner Krankheit wissen, das Gefühl, mich immer vorsichtig behandeln zu müssen. Auch wenn das nett gemeint ist, ist das für mich als Betroffene unangenehm. Es ist unglaublich wichtig, dass man seinem Umfeld offen sagt, wie es einem geht und was man braucht. Kommentare wie «das wird schon wieder besser» oder «geh doch öfters an die frische Luft» setzen depressive Personen mehr unter Druck als dass sie dazu beitragen, das Problem zu lösen. Was jedoch hilft: Wenn Angehörige direkt fragen «wie kann ich dich unterstützen?» oder einfach sagen, dass sie für dich da sind – ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Meine Angehörigen und insbesondere mein Freund haben massgeblich dazu beigetragen, dass ich heute wieder stabil bin. Dafür bin ich ihnen unglaublich dankbar. Deswegen finde ich auch den Hashtag gut – er trägt dazu bei, dass Depressionen und im allgemeinen psychische Erkrankungen enttabuisiert werden.»
«Je länger man wartet, je schwieriger ist es, wieder rauszukommen», Yvonne (23)
«Ich habe lange nicht realisiert, dass ich an Depressionen leide. Erst, als ich 2016 wegen eines Vorfalls von der Opferhilfe eine Psychologin zur Seite gestellt bekommen habe, wurde mir die Diagnose gestellt. Ich hatte mich in Therapie begeben – leider hat die nicht angeschlagen. Meine Lehrmeisterin zeigte wenig Verständnis und ich musste die Lehre abbrechen. In meinem Umfeld war es anfänglich für einige schwer zu akzeptieren, dass ich Depressionen habe – viele waren überfordert. Trotzdem erhielt ich danach grosse Unterstützung, was mir sehr geholfen hat.
Es ist unglaublich wichtig, dass man seine Angehörigen über seine Probleme informiert und mit ihnen darüber spricht. Ich finde es gut, dass einige Personen unter dem Hashtag #FaceTheDepression ihre Geschichten teilen – es ist ein guter Ansatz, damit das Thema breiter diskutiert wird. Jedoch besteht wohl die Gefahr, dass die Thematik an Ernsthaftigkeit verliert – deswegen habe ich selber kein Bild gepostet. Bei psychischen Problemen ist das leider häufig der Fall: Es gibt viele Leute die denken, depressive Menschen seien faul oder nicht belastbar. Das ist völlig falsch: Depressionen sind eine ernsthafte Erkrankung, zu deren Bekämpfung man fachliche Unterstützung benötigt. Ich wünsche mir, dass das mehr Leute realisieren.
Social Media kann Betroffenen helfen zu erkennen, dass man nicht alleine ist mit seinen Problemen. Wenn man Anzeichen – wie ständige Müdigkeit und Antriebslosigkeit – wahrnimmt, sollte man diese Symptome ernst nehmen und mit einer Fachperson oder dem Hausarzt darüber sprechen. Es ist wichtig, dass man sich früh genug Hilfe holt – je länger man wartet, je schwieriger ist es, wieder rauszukommen.»
«Gespräche sind der erste Schritt zur Veränderung»
Marcel Wisler, Co-Leiter Kommunikation der Stiftung Pro Mente Sana, erklärt, wieso es wichtig ist, dass man im Umfeld über psychische Probleme spricht – und wieso der Hashtag #FaceTheDepression mit Vorsicht benutzt werden soll.
Inwiefern hilft der Hashtag #FaceTheDepression Personen mit psychischen Erkrankungen?Solche Challenges können helfen, dass psychischen Erkrankungen in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit erhalten. Man sollte jedoch vorsichtig damit umgehen – sie können auch dazu beitragen, dass Personen, die unzureichend über psychische Krankheiten informiert sind, die Thematik weniger ernst nehmen und denken, «da steckt ja bloss ein Spiel dahinter».
Sollten Betroffene ebenfalls Bilder mit dem Hashtag posten?Ich rate sehr vorsichtig zu sein. Leider werden psychische Erkrankungen in der Gesellschaft immer noch stark tabuisiert und stigmatisiert. Wer ein solches Bild auf Social Media postet muss sich bewusst sein, dass auch Nachbarn oder zukünftige Arbeitgeber unter Umständen auf den Post stossen werden und dass dies Konsequenzen haben könnte – und das Internet vergisst nie. Wenn man denkt, dass man unter Depressionen leiden könnte, sollte man auf jeden Fall zuerst mit einer Vertrauensperson sprechen, bevor man sich auf Social Media voreilig mit solchen Challenges «outet».
Was muss passieren, damit psychische Erkrankungen weniger stigmatisiert werden?Betroffene sollen in ihrem Umfeld darüber reden – Gespräche sind der erste Schritt zur Veränderung. Angehörige oder Freunde sollten ebenfalls den Mut fassen und die Thematik ansprechen. Es ist wichtig, nicht wegzuschauen. Gespräche können sehr heilsam sein und schenken Betroffenen oft Entlastung. Seit der Coronakrise ist die Bereitschaft, offen über psychische Krankheiten zu sprechen, erfreulicherweise gestiegen. Mehr Menschen spüren was es bedeutet, psychisch belastet zu sein. Trotzdem ist es noch ein weiter Weg bis es selbstverständlich wird, psychische Krankheiten offen zu thematisieren.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine Depression?
Hier findest du Hilfe:
Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858
Hotline bei Angststörungen und Panik, Tel. 0848 801 109
Kinderseele, Onlineberatung für Kinder psychisch kranker Eltern
Verein Postpartale Depression, Tel. 044 720 25 55
Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen
Pro Juventute, Tel. 147
Dargebotene Hand, Tel. 143