BaselIllegale Observation – IV-Rentner muss trotzdem 30’000 Franken zurückzahlen
Der Mann war mit dem Velo verunfallt und litt schwer an den Folgen. Eine Besserung seines Zustands meldete er aber nicht – ein Versicherungsdetektiv überführte ihn.
Darum gehts
Ein Mann wurde bei einem Velounfall verletzt und bezog danach jahrelang eine ganze IV-Rente.
Nachdem die IV Observationsmaterial bekam, stellte sie ihm die Leistungen ab.
Zurecht, wie das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt befand – auch wenn es damals dafür keine explizite Gesetzesgrundlage gab.
Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt (SVG) geht mit aller Härte gegen einen mutmasslichen IV-Schwindler vor. Dabei folgt es dem Bundesgericht, das sich mit einem Griff in die Trickkiste um ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) herum manövrierte. Der Mann soll nun über 30’000 Franken zurückzahlen, wie im kürzlich publizierten Urteil zu lesen ist.
Konkret geht es um einen IV-Bezüger, der nach einem Velounfall jahrelang eine ganze Rente bezog. Laut einem ärztlichen Gutachten soll er wegen der Verletzung erheblich an der Schulter eingeschränkt und infolge einer depressiven Störung «in seiner Leistungsfähigkeit massiv herabgesetzt» gewesen sein. Dadurch habe sich seine Persönlichkeit andauernd verändert. Er sei «mittlerweile völlig gefangen in seiner Symptomatik» und habe «jede Verantwortung abgelegt» und müsse «im Prinzip umsorgt werden», so der Gutachter.
Beschattung durch Detektive trotz EGMR-Nein
Jahre später spielte der IV einer anderen Versicherung Überwachungsmaterial zu. Dieses soll zeigen, dass es dem Mann gar nicht so schlecht ging, wie er und sein Arzt behaupteten. Laut den Beobachtungen soll der Mann fähig gewesen sein, die rechte Schulter flüssig zu bewegen und sowohl Velo- als auch Autofahren zu können. Daraufhin wurde ein neues Gutachten veranlasst und die IV stellte die Leistungen ein – forderte einen Teil gar zurück. Der Mann focht die Entscheidung vor dem SVG an und unterlag. Eine Beschwerde vor dem Bundesgericht ist hängig.
Im Kern geht es darum, ob die Resultate aus der Observation aus den Jahren 2012 bis 2014 überhaupt zulässig sind. Denn eine ausdrückliche gesetzliche Legitimierung dafür gibt es erst seit dem 1. Oktober 2019. Davor hatte der EGMR Sozialdetektive in der Schweiz zurückgepfiffen, weil für die Verwertbarkeit ihrer Arbeit in Versicherungssachen keine hinreichend klare Gesetzesgrundlage existierte.
Schlupfloch aus dem Strafrecht importiert
Das EGMR-Urteil ist dem SVG durchaus bekannt. Das Basler Gericht verweist aber auf ein Bundesgerichtsurteil, das im Juli 2017, rund ein halbes Jahr nach dem EGMR-Entscheid, gefällt wurde. Auch da hatte die Schweiz die Sozialdetektive noch nicht explizit im Gesetz verankert. Doch schon da hatte das Bundesgericht befunden, dass es das für die Verwertbarkeit rechtswidrig erstellter oder erworbener Personendaten nicht unbedingt braucht.
Als Stütze diente unter anderem die Strafprozessordnung. Im Strafrecht ist die Praxis schon länger bekannt, dass auch rechtswidriges Material als Beweis zulässig ist, wenn das öffentliche Interesse an einer Aufklärung gross genug ist – so etwa bei schweren Verbrechen. So darf ein Strafgericht zum Beispiel die Videoaufnahmen eines Mordes berücksichtigen, auch wenn sie illegal aufgenommen wurden.
Das floss auch ins Versicherungsrecht ein. Darum entschied das SVG, dass der Mann in Anbetracht der erstellten Verbesserung seines Zustands, diese hätte melden müssen. Damit habe er Leistungen zu unrecht bezogen und müsse diese zurückerstatten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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Hier findest du Hilfe:
Verzeichnis der Behindertenorganisationen des Bundes
Inclusion Handicap, Dachverband der Behindertenorganisationen Schweiz, Information und Rechtsberatung
EnableMe, Portal und Community von und für Menschen mit Behinderungen