Immer mehr Kinder outen sich als transgender

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Tendenz steigendImmer mehr Kinder outen sich als transgender

Bereits Kinder im Primarschulalter zeigen Anzeichen von Geschlechtsdysphorie. Die Erklärungen für die steigenden Zahlen sind unterschiedlich.

von
doz
Bereits Primarschulkindern zeigen Transgender-Merkmale.
So beispielsweise die 5-jährige Luana.
Der Leidensdruck ist dabei oft hoch.
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Bereits Primarschulkindern zeigen Transgender-Merkmale.

Keystone/Christian Beutler

Immer jüngere Kinder werden heutzutage als transgender diagnostiziert. So beispielsweise die 5-jährige Luana aus Argentinien, die eigentlich als Luca zur Welt kam. Sie wurde in einem Dokumentarfilm über Transgender-Kinder vorgestellt.

Heutzutage wird bei Kindern häufiger eine solche Geschlechtsdysphorie diagnostiziert als noch vor fünf Jahren, wie die «Schweiz am Wochenende» schreibt. Genaue Zahlen zu nennen ist unmöglich, die Tendenz ist aber steigend. Ausserdem sind die Kinder heutzutage jünger, als noch in der Vergangenheit. Oft suchen bereits Eltern von Primarschülern Ärzte auf. Manchmal sind die Kinder gar noch im Kindergartenalter.

Jährlich bis zu hundert Fälle

Transgender zu sein, bedeutet aber nicht, als Junge mit Puppen spielen zu wollen oder als Mädchen keine Röcke zu tragen. Geschlechtsdysphorie zeigt sich darin, dass sich eine Person vollkommen zum anderen Geschlecht zugehörig fühlt und das bei Geburt gegebene Geschlecht ablehnt. Ein entscheidender Faktor dabei, zu entscheiden, ob ein Kind transgender ist oder nicht, ist auch der empfundene Leidensdruck. So kommt es beispielsweise vor, dass Buben fragen, ob «das da unten» denn irgendwann abfalle oder Mädchen sich vollkommen weigern, lange Haare zu tragen.

Die Tatsache, dass sich immer mehr Transgender-Kinder und Jugendliche melden, bedeute allerdings nicht, dass es immer mehr Transgender-Junge gebe, sagt Dagmar Pauli, Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik zu der «Schweiz am Wochenende». Viel eher sei davon auszugehen, dass sich die Jugendlichen heutzutage eher trauten, über diese Gefühle zu sprechen. Vor zehn Jahren habe es beispielsweise noch gar keine Anlaufstellen gegeben und es haben sich nur drei bis fünf junge Menschen jährlich bei Pauli gemeldet. Heute seien es rund hundert.

«Wir haben es mit einem Zeitgeistphänomen zu tun»

Alexander Korte, Oberarzt am Klinikum der Universität München, sieht den Grund allerdings woanders. In einem Interview mit dem «Spiegel» sagte er: «Wir haben es hier offensichtlich mit einem Zeitgeistphänomen zu tun.» Das Thema sei im Trend, daher sei die Zahl an Anfragen heute fünfmal so hoch wie noch 2013. Er glaubt an den Nachahmungseffekt. Ihn haben nämlich drei Mädchen und ein Bub aufgesucht, die alle im selben Alter seien und aus demselben Ort stammen. «Das widerspricht jeder statistischen Wahrscheinlichkeit», sagt er.

Dass die Anfragen so stark gestiegen sind, trifft zu. In den USA fühlen sich laut einer Studie 150'000 Teenager im falschen Körper geboren. In Grossbritannien sind es jährlich 2500, während es im Jahr 2010 noch 97 waren.

Hoher Leidensdruck

Dieser Anstieg in Fällen hat unter anderem dazu geführt, dass Transgender-Menschen nicht mehr als psychisch krank angesehen werden. Der Leidensdruck kann aber dennoch sehr hoch sein. Rund 70 Prozent aller Transgender-Jugendlichen leiden an Depressionen, Suizidalität und Selbstverletzung. Dies ist auch der Grund, weshalb Pauli nicht daran glaubt, dass sich die Jungen wegen eines blossen Trends diesem Leiden aussetzen.

Falls die Transidentität bei Teenagern über längere Zeit stabil bleibe und andauere, solle man pubertätshemmende oder geschlechtsangleichende Massnahmen ergreifen, sagt sie. Bei Kindern sei dies allerdings noch nicht nötig. Wichtig sei es, dass ein Kind viel Freiraum habe und keine Kategorien, die sein Geschlecht definieren.

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