Fall Britney Spears auch bei uns? - «In der Schweiz kann man niemandem verbieten, schwanger zu werden»

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Fall Britney Spears auch bei uns?«In der Schweiz kann man niemandem verbieten, schwanger zu werden»

Britney Spears will weitere Kinder kriegen. Aber ihr Vater ist ihr Vormund und erlaubt ihr nicht, ihre Spirale zu entfernen. Ein Experte hält einen solchen Fall in der Schweiz für undenkbar.

Erstmals seit ihrer 13-jährigen Bevormundung äusserte sich Britney Spears am 23. Juni diesen Jahres vor dem Supreme Court in Los Angeles öffentlich über ihr Leben unter der Kontrolle ihres Vaters.
Auch körperlich scheint sie unter der absoluten Kontrolle des Vaters zu stehen.
Die 38-Jährige sei zu mehreren Tourneen gezwungen worden und habe sieben Tage die Woche arbeiten müssen.
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Erstmals seit ihrer 13-jährigen Bevormundung äusserte sich Britney Spears am 23. Juni diesen Jahres vor dem Supreme Court in Los Angeles öffentlich über ihr Leben unter der Kontrolle ihres Vaters.

marcen27

Darum gehts

  • Seit 13 Jahren ist Britney Spears unter der Vormundschaft ihres Vaters.

  • Am 23. Juni schilderte sie vor dem Supreme Court ihr Leben unter der Kontrolle ihres Vaters.

  • Dieser verhindert, dass sie schwanger werden kann.

  • Ein Experte erklärt, weshalb er das in der Schweiz für undenkbar hält.

«Ich will mein eigenes Geld, ich will, dass mein Freund mich in seinem Auto mitnehmen kann – und ehrlich gesagt, will ich in der Lage sein, meine Familie zu verklagen.» Erstmals in ihrer 13-jährigen Bevormundung äusserte sich Britney Spears am 23. Juni diesen Jahres vor dem Supreme Court in Los Angeles öffentlich über ihr Leben unter der Kontrolle ihres Vaters.

Unter absoluter Kontrolle

In ihrer Anhörung, die per Livestream übertragen wurde, gewährte Spears der breiten Öffentlichkeit einen intimen Einblick in ihr Leben. Die 38-Jährige sei zu mehreren Tourneen gezwungen worden und habe sieben Tage die Woche arbeiten müssen. Ihren Reisepass, ihre Kreditkarten und ihr Geld habe sie abgeben müssen.

Auch körperlich scheint sie unter der absoluten Kontrolle des Vaters zu stehen: Als sie nicht sofort «kooperiert» habe, sei sie von ihm «aus dem Nichts» unter starke Medikamente gesetzt worden. Unter deren Einfluss sei ihr selbst das Sprechen schwergefallen. Das schockierendste Detail: Ihren Wunsch nach einer weiteren Schwangerschaft habe der Vater ebenfalls verhindert.

«In der Schweiz undenkbar»

Vor 13 Jahren verlor Britney Spears ihre Mündigkeit, nachdem sie einen Zusammenbruch erlitten hatte. Ihr Vater habe ihr seither verboten, ihre Spirale entfernen zu lassen. «Ich bin traumatisiert. Ich will einfach mein Leben zurück», so Spears.

Guido Marbet ist Oberrichter im Kanton Aargau und war bis Ende 2020 Präsident der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES). «Ein solcher Fall wäre in der Schweiz undenkbar», sagt er. «Ich schliesse es aus, dass jemandem aufgrund eines Nervenzusammenbruchs die Selbständigkeit vollständig entzogen werden kann.» Ein vollständiger Entzug der Handlungsfähigkeit, wie offenbar im Fall der amerikanischen Sängerin, widerspreche der Zielsetzung und Konzeption des Schweizer Erwachsenenschutzrechts zu hundert Prozent.


«Massgeschneiderte Beistandschaft»

Hätte Spears ihren Zusammenbruch in der Schweiz erlitten, kann sich Marbet vorstellen, dass ein Beistand zur Begleitung eingesetzt worden wäre. «Nach einer Gefährdungsmeldung prüft die Behörde die individuellen Ressourcen der potenziell gefährdeten Person.» Im Falle von Spears wäre allenfalls eine sogenannte «massgeschneiderte», also auf ihre Bedürfnisse angepasste Beistandschaft durch eine Person ihrer Wahl denkbar gewesen, so Marbet. «Nur wenn eine ärztliche Auskunft vorliegen würde, dass sie trotz ärztlicher Indikation nicht therapiebereit sei, hätte ihr diesbezüglich auch die Handlungsfähigkeit entzogen werden müssen.»

Naheliegend sei zudem, dass zwischen Britney Spears und ihrem Vater eine Interessenkollision vorliege, so Marbet. «Der Beistand hat die Aufgabe, die gefährdete Person in ihrem Willen und ihrer Entfaltung zu unterstützen, darf der künstlerischen Kreativität somit sicherlich nicht im Weg stehen und hat auf die gesundheitlichen Ressourcen zu achten.»

Absolute Rechte

Bei Spears’ Vater als ihrem Manager mit eigenen wirtschaftlichen Interessen besteht offensichtlich die Gefahr der Kollision mit ihren Interessen: «Er gefährdet ihre geistige Gesundheit, indem er ihren Willen missachtet und sie für seinen eigenen Nutzen zur Arbeit zwingt», so Marbet. «Wenn der Verdacht besteht, dass der Wille eines in Frage kommenden Beistandes dem Willen der gefährdeten Person zuwiderläuft, kommt dieser als Beistand nicht in Frage.»

Die sogenannten Schutzmassnahmen würden also nur in den Bereichen angeordnet, in denen die gemeldete Person Hilfe benötige, so Marbet. «In der Schweiz entsprächen die Massnahmen, die gegen Britney Spears angewandt wurden, einer umfassenden Beistandschaft. Diese kann den vollumfänglichen Verlust der Handlungsfähigkeit nach sich ziehen. Selbst dann kann der Beistand der Person aber nicht verbieten, schwanger zu werden.» Bei Entscheidungen, die den eigenen Körper betreffen würden, spreche man von «absoluten Rechten». «Unter keinen Umständen kann ein Beistand in der Schweiz dafür die Vertretung übernehmen.»

Abklärung des Beistands

Auch sei die Wahl des Beistands in der Schweiz weitestgehend in der Hand der gefährdeten Person, sagt Marbet. «Spears könnte aber auch im Nachhinein eine Beschwerde gegen den Vater einreichen.» In der Schweiz werde alle zwei Jahre überprüft, ob die Beistandschaft weiterhin nötig sei, so Marbet. «Aber auch während dieser zweijährigen Periode kann die Person unter Beistandschaft jederzeit eine Überprüfung verlangen. Dann muss die zuständige Erwachsenenschutzbehörde das Anliegen abklären.»

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Hier findest du Hilfe:

Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858

Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen

Verein Postpartale Depression, Tel. 044 720 25 55

Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

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