Städte-Serie – AuftaktIn der Schweiz sollen nur noch die Städte wachsen
Wächst die Schweiz auf 9, 10 oder 11 Millionen Menschen an, ist das vor allem für urbane Gebiete eine Herausforderung. 20 Minuten zeigt, wie sich die Städte verändern.

Drei Viertel der Schweizer Bevölkerung lebt heute in den Städten und Agglos – und dieser Anteil dürfte noch grösser werden. Die Frage, wie stark die Schweiz noch wachsen darf, prägt die Ecopop-Debatte. Einig sind sich Befürworter und Gegner eigentlich nur in einem Punkt: Wenn die Bevölkerung wächst, dann muss das dort geschehen, wo schon heute viele Menschen leben – und nicht auf grünen Wiesen und Landwirtschaftsflächen im Umland.
«Verdichtung» lautet das Zauberwort. Grundlage dafür bietet das revidierte Raumplanungsgesetz, das seit Mai dieses Jahres in Kraft ist. «Die Ansage ist, dass in erster Linie die urbanen, bereits bebauten Gebiete wachsen sollen», bestätigt Nils Havelka, Stadtforscher an der ETH Zürich. Die Kantone müssen in ihren Richtplänen vorgeben, wie stark ihre Städte wachsen sollen. Und diese wiederum müssen Mittel und Wege finden, den entsprechenden Raum bereitzustellen.
Zeit der Stadtflucht ist vorbei
Havelka sagt, es habe historisch immer wieder Phasen gegeben, in denen die Städte stark gewachsen seien. Gefolgt von Gegenbewegungen, in denen die Leute aufs Land geflüchtet sind. «Im grossen Stil kam es zu einer solchen Stadtflucht, als die Mobilität zunahm, jeder sein eigenes Auto hatte und S-Bahnen gebaut wurden. Da war es plötzlich möglich, in der Stadt zu arbeiten und ausserhalb zu wohnen.»
Nun wird also wieder der Gegentrend eingeläutet – vielleicht für immer. Die Zukunft soll in kurzen Wegen zwischen Wohn- und Arbeitsort bestehen, damit der Pendlerverkehr abnimmt und die Lebensqualität steigt. Wie viel zusätzlicher Platz dafür in den Städten langfristig nötig sein wird, lässt sich noch nicht beziffern. Das Bundesamt für Statistik geht in seinem mittleren Szenario davon aus, dass die Schweizer Bevölkerung bis 2035 auf rund 8,8 Millionen anwächst und danach nur noch geringfügig zunimmt. Im Extremszenario wären es dagegen 2035 fast 9,9 Millionen Menschen und 2060 schon deutlich über 11 Millionen.
«Hochhäuser sind nicht optimal»
«Wachstum ist für Städte immer mit Herausforderungen verbunden», sagt Experte Havelka. In den meisten grossen Städten gehen die Flächen, auf denen ohne Weiteres neue Häuser gebaut werden können, zur Neige. Die Raumplaner müssen also dort, wo schon Häuser stehen, künftig noch mehr Menschen unterbringen. Doch wie? Sind Hochhäuser das einzige probate Mittel, um der wachsenden Zahl an Stadtbewohnern auf Dauer ein Dach über dem Kopf zu garantieren?
«Keinesfalls», betont Havelka. «In unseren Breitengraden werden Hochhäuser als Prestigeobjekte erbaut, um Akzente zu setzen in einer Stadt – und nicht, um viele Leute auf kleinem Raum unterzubringen.» Denn Hochhäuser bräuchten relativ viel Platz rundherum, um die verlangte Lebensqualität sicherzustellen. Andere Bauformen seien besser geeignet, um Städte zu verdichten. Im modernen Städtebau setzen die Planer beispielsweise oft auf sogenannte Blockrandbebauungen: In Viereckform angeordnete Hauszeilen mit einem Innenhof in der Mitte.
Aber auch Altstädte oder Arbeitersiedlungen weisen laut Havelka oft eine sehr hohe Dichte mit hoher Qualität auf. Eine sinnvolle Verdichtung setze sich immer aus einem breiten Fächer an Massnahmen zusammen, «vom kleinen Dachausbau zum Schliessen von Baulücken über eine mehrfache Aufstockung bis hin zu Grossüberbauungen an geeigneten Lagen».
Platz zu 75 Prozent belegt
«Es gibt nicht eine einzige Medizin, die der Bund verordnen könnte, damit die Städte möglichst dicht werden», so Havelka. Vielmehr müsse jede Stadt jene Möglichkeit finden, die am besten zu ihr passt. Laut dem Städtebau-Experten liegt der Ausbaugrad in Zürich erst bei rund 75 Prozent. Das heisst, dass auf der bestehenden Fläche noch rund ein Drittel mehr Menschen untergebracht werden könnten, ohne dass dadurch die bestehenden Bau- und Zonenvorschriften verletzt würden. «In anderen Schweizer Städten ist dieser Anteil wohl noch höher.»
Auch ein Wachstum darüber hinaus wäre laut Havelka wohl gut ohne Hochhausschluchten machbar. «Wo die Quartiere schon sehr urban sind, kann man problemlos nochmals zwei, drei Geschosse auf die Gebäude obendrauf setzen, ohne dass das Stadtbild gestört wird.» Auch in vielen Agglomerationen gebe es noch Ausbaupotenzial, wie etwa im Zürcher Glatttal. «Eine Metropolitanregion ist wie ein Mosaik: Jedes Mosaikstück kann für sich verdichtet und im gleichen Zug auch aufgewertet werden.»
«Zum Beispiel öffentliche Dachterrassen»
Die grösste Knacknuss sieht Havelka darin, dass die Infrastruktur wie etwa die Strassen mit dem Bevölkerungswachstum mithalten kann und die Lebensqualität erhalten bleibt. «Der Autoverkehr muss zunehmend aus Innenstädten und Wohnquartieren verschwinden, an seiner Stelle werden ÖV, Fuss- und Veloverkehr gefördert.» Auch neue Formen von öffentlichem Raum werden laut Havelka entstehen. «Denkbar sind beispielsweise öffentliche Dachterrassen und ein stärkeres Verschmelzen von Gebäude und öffentlichem Raum, wie das zum Beispiel am neuen Genossenschaftsgebäude an der Kalkbreite der Fall ist.»
Wie die grossen Schweizer Städte mit diesen Herausforderungen umgehen, beleuchtet 20 Minuten in einer Themen-Serie. Diese Woche finden Sie auf dieser Seite täglich ein Städteporträt.

Serie zum Städtewachstum
Wie gehen die Schweizer Städte mit dem Bevölkerungswachstum um? Dieser Frage geht 20 Minuten in einer mehrteiligen Themenserie nach.
- Weshalb nur noch die Städte wachsen sollen
- Zürich wird kaum zur Millionenstadt
- Bern will sich in homöopathischen Dosen erneuern
- Hochhäuser sollen Basel ein neues Gesicht geben
- Winterthur ächzt unter dem bisherigen Wachstum
- Der Pilatus soll in Luzern sichtbar bleiben
- Das sagt Ecopop-Initiant Benno Büeler zu den Plänen der Städte
(jbu)