«In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht»
Adolf Hitler war beinahe am Ende. Eine «ewige Pechsträhne» sei das Jahr 1932 für die NSDAP gewesen, schrieb ein enttäuschter Joseph Goebbels in sein Tagebuch. Schliesslich hatte Hitler die Präsidentschaftswahl gegen Amtsinhaber Hindenburg mit Pauken und Trompeten verloren.
Und selbst nach dem überwältigenden Sieg der NSDAP bei der Reichstagswahl vom Juli liess der greise Präsident den selbsternannten «Führer» nicht an die Regierung.
Den Nazis war der Weg an die Macht versperrt. Zudem begann die Zustimmung in der Bevölkerung zu bröckeln: «Im Herbst gingen die Wahlergebnisse zurück, die NSDAP war innerlich gespalten und beinahe pleite», sagt der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter. Doch innerhalb kürzester Zeit wendete sich das Blatt: Wenige Wochen später, am 30. Januar 1933, wurde Hitler als Reichskanzler vereidigt. Noch am selben Abend marschierten Fackelträger der SA durch das Brandenburger Tor.
Was Hitlers Anhängern als politisches Wunder erschien, war in Wahrheit das Ergebnis beispielloser politischer Intrigen und folgenschwerer Fehler seiner Bündnispartner. «Hitler ist nicht durch Wahlen an die Macht gekommen», betont Falter. «Im Januar 1933 war er weit von der absoluten Mehrheit entfernt und hatte kaum Verbündete.»
In dieser Situation profitierte Hitler von der Rivalität zwischen dem amtierenden Reichskanzler Kurt von Schleicher und seinem machtbesessenen Vorgänger Franz von Papen: Dieser war verdrängt worden und wollte nun um jeden Preis zurück an die Macht - notfalls als Vizekanzler in einem Kabinett Hitler.
«Die Macht lag nicht auf der Strasse»
22. Januar 1933: In der Berliner Villa des späteren NS-Aussenministers Joachim von Ribbentrop kommt es zu einem Geheimtreffen zwischen von Papen, seinem vermeintlichen Steigbügelhalter Adolf Hitler und dem einflussreichen Oskar von Hindenburg. Der 49-Jährige ist der «in der Verfassung nicht vorgesehene Sohn des Reichspräsidenten», wie der Volksmund spottet. Tatsächlich gehört der Ostpreusse zu einer Clique von Beratern, die immer grösseren Einfluss auf den hinfälligen, 85-jährigen Reichspräsidenten ausübt.
Hitler gibt sich genügsam und erklärt, nichts weiter als die Kanzlerschaft sowie zwei Ministerien für die NSDAP zu beanspruchen, darunter allerdings das des Reichsinnenministers. Alle übrigen Posten blieben den Konservativen. Das Kabinett aus parteilosen Konservativen, deutschnationaler DNVP und Nationalsozialisten müsse allerdings durch sofortige Neuwahlen bestätigt werden. Der Präsidentensohn willigt ein.
Der «Osthilfe»-Skandal liefert den Hindenburgs ganz persönliche Gründe dafür, dem Plan zuzustimmen: Auf Initiative der Zentrumsfraktion spürt der Reichstag gerade der Vergabe von Staatsgeldern für ostelbische Grossgrundbesitzer hinterher - für den Ostpreussen Hindenburg eine hochgradig peinliche Sache. Dieser hofft nun, das Zentrum mit einer Regierungsbeteiligung besänftigen zu können.
Mit gezielter Desinformation setzt von Papen den greisen Präsidenten zusätzlich unter Druck: Der fallengelassene Ex-Kanzler Schleicher wolle am Morgen des 30. Januar putschen und ihn, den Präsidenten, verhaften lassen, die Reichswehr sei schon aktiviert. In dieser Lage willigt Hindenburg schliesslich ein: Am folgenden Tag bekommt Hitler die Macht.
Von einer «Ergreifung» - wie es in der NS-Propaganda später prahlerisch heisst - könne keine Rede sein, betont Falter. Vielmehr sei es eine Machtübergabe oder -übertragung durch den Präsidenten gewesen: «Die Macht lag ganz eindeutig nicht auf der Strasse.»
Taktik des «Einrahmens» geht nicht auf
Hindenburg habe keine Diktatur und erst recht keinen Holocaust gewollt: «Was er wollte, war ein starkes Präsidialregime, eventuell mit dem Endziel Monarchie», sagt Falter. Letztlich sei der Weimarer Republik aber Hindenburgs schlechter Gesundheitszustand zum Verhängnis geworden: «Der Präsident verachtete Hitler zutiefst. Wenn Hindenburg fünf Jahre jünger und weniger krank gewesen wäre, dann wäre Europa der nun folgende schreckliche Zivilisationsbruch wahrscheinlich erspart geblieben.»
Doch zunächst werden Vorbehalte gegen Hitler mit markigen Worten zerstreut: Der deutschnationale Medienmogul Alfred Hugenberg verkündet, mit ihm als Wirtschaftsminister und Papen als Vizekanzler werde Hitler quasi «eingerahmt». Papen selbst versteigt sich zu dem Ausspruch: «In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht» - der folgenschwerste Irrtum der deutschen Geschichte.
Die Feinde Hitlers, aber auch dessen getäuschte Bündnispartner müssen der Zerstörung der Demokratie tatenlos zusehen. Mit unverhohlenem Terror geht das NS-Regime gegen Kommunisten und Sozialdemokraten vor. Nach dem Reichstagsbrand vom Februar werden die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit ausser Kraft gesetzt, mit dem Ermächtigungsgesetz entmachtet sich der Reichstag selbst. Nach etwas mehr als 14 Jahren ist die erste deutsche Demokratie am Ende. (dapd)