Tabubruch in FrankreichInzest und Pädophilie-Skandale erschüttern die Pariser Elite
Die französische Justiz ist seit Wochen mit zahlreichen Fällen von sexueller Gewalt an Minderjährigen konfrontiert. Nun will die Regierung das Mindestalter für als einvernehmlich betrachteten Geschlechtsverkehr auf 15 festlegen.
Darum gehts
In den vergangenen Wochen häuften sich die Anzeige wegen sexueller Gewalt an Minderjährigen in Frankreich.
Die #MeTooInceste-Bewegung (#MeTooInzest) brachte Hunderte Fälle ans Licht.
Jetzt will die französische Regierung das Mindestalter für als einvernehmlich betrachteten Geschlechtsverkehr auf 15 festlegen.
Damit soll es einfacher werden, vor langer Zeit verübten sexuellen Missbrauch von Kindern zu bestrafen.
Es geht um Pädophilie, sexuelle Gewalt in der Familie, aber auch um Nötigung an Hochschulen: Frankreich ist seit Jahresbeginn mit einer beispiellosen Welle an Missbrauchs-Klagen konfrontiert. Immer mehr Prominente stehen unter Verdacht. Die Regierung will nun «schnell» handeln und erstmals ein Schutzalter für Sex mit Minderjährigen einführen.
Der Fall Dominique Boutonnat
Am Mittwoch wurden Vorwürfe gegen den Vorsitzenden des französischen Filmförderfonds Centre national du cinéma français (CNC), Dominique Boutonnat, bekannt. Die Polizei nahm den 51-Jährigen in Gewahrsam, nachdem sein 22-jähriges Patenkind gegen ihn Anzeige wegen versuchter Vergewaltigung erstattet hatte.
Der 22-Jährige erstattete seine Anzeige gegen Boutonnat am 7. Oktober 2020 in der Stadt Nanterre, wie «Le Figaro» berichtet. Der Vorfall soll sich im August zugetragen haben, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Boutonnat bestreitet die Vorwürfe.
Der Fall Olivier Duhamel
Zuvor hatte der Direktor der Pariser Eliteuni Sciences Po, Frédéric Mion, seinen Rücktritt erklärt. Studierende forderten dies seit Wochen, weil er von Vorwürfen gegen den bekannten Politikwissenschaftler Olivier Duhamel gewusst haben soll, der wegen einer Affäre um den mutmasslichen Missbrauch seines Stiefsohns Anfang Januar von allen Ämtern zurückgetreten war. Unter anderem gab Duhamel die Leitung der Sciences-Po-Stiftung ab.
Ausgelöst wurde die Debatte in Frankreich durch ein Buch der Juristin Camille Kouchner, die Tochter des Ärzte-ohne-Grenzen-Gründers und früheren Aussenministers Bernard Kouchner. Sie warf ihrem Stiefvater Duhamel in einem autobiografischen Werk mit dem Titel «La Familia grande» (Die grosse Familie) vor, ihren Zwillingsbruder im Alter von 14 Jahren missbraucht zu haben. Das mutmassliche Opfer hat inzwischen Anzeige erstattet.
Sciences Po gilt im zentralistisch organisierten Frankreich als «Hochschule der Macht» – Präsidenten wie Emmanuel Macron oder sein Vorgänger François Hollande gehören ebenso zu den Absolventen wie Topmanager der Wirtschaft.
Der Fall Richard Berry
Nach der Veröffentlichung berichteten tausende Franzosen unter Hashtags wie #Metooinceste und #scienceporcs («Wissenschaftsschweine», ein Wortspiel auf Sciences Po) auf Twitter von sexuellen Übergriffen in Familien oder Nötigung an Hochschulen.
Gegen einen Inzest-Verdacht wehrt sich auch der beliebte Schauspieler und Regisseur Richard Berry: Seine älteste Tochter Coline Berry wirft dem 70-Jährigen Darsteller aus Filmen wie «Auch Männer mögen’s heiss» vor, sie als Minderjährige für «Sex-Spiele» missbraucht und vergewaltigt zu haben.
Der Fall Gérard Louvin
Die Pariser Staatsanwaltschaft eröffnete diese Woche zudem vorläufige Ermittlungen gegen den Fernsehproduzenten Gérard Louvin und seinen Mann. Der heute 48-jährige Neffe Louvins wirft ihm vor, sexuelle Übergriffe seines Partners auf ihn gebilligt zu haben, als er unter 15 Jahre alt war. Auch vier weitere Kläger beschuldigen das Paar.
Der Fall François Asselineau
Vergangene Woche beschuldigte die Justiz zudem den Politiker François Asselineau des Mobbings und der sexuellen Nötigung von zwei früheren Mitarbeiterinnen. Der 63-Jährige ist bekannt, weil er sich als Kandidat bei der Präsidentschaftswahl 2017 für einen EU-Austritt Frankreichs einsetzte. Der «Frexit»-Befürworter bekam allerdings weniger als ein Prozent der Stimmen.
Schutzalter für unter 15-Jährigen
Wegen der Vehemenz der Debatte strebt die französische Regierung nun eine Gesetzesänderung an. Die sexuelle Penetration von unter 15-Jährigen durch einen Erwachsenen soll nach Angaben von Justizminister Eric Dupond-Moretti grundsätzlich unter Strafe gestellt werden. Damit soll es einfacher werden, vor langer Zeit verübten sexuellen Missbrauch von Kindern zu bestrafen. Ein derartiger Umgang mit Minderjährigen sei «nicht zu tolerieren», teilte das französische Justizministerium mit.
Anders als in Deutschland gibt es in Frankreich bisher kein gesetzliches Schutzalter für Sex mit Minderjährigen. Nach umstrittenen Freisprüchen von Volljährigen nach angeblich «einvernehmlichem Sex» mit Kindern hatte Präsident Emmanuel Macron bereits 2018 eine Gesetzesänderung angekündigt. In Deutschland liegt das Schutzalter bei 14 Jahren.
Die Enthüllungen der #MeToo-Bewegung über den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein 2017 hatten auch in Frankreich eine Debatte über sexuelle Gewalt und Diskriminierung gerade in der Filmbranche entfacht. Weinstein sitzt in den USA eine 23-jährige Gefängnisstrafe wegen Vergewaltigung und schwerer sexueller Nötigung ab, zu der er im vergangenen März verurteilt worden war.
Bist du minderjährig und von sexualisierter Gewalt betroffen? Oder kennst du ein Kind, das sexualisierte Gewalt erlebt?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Kokon, Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene
Castagna, Opferhilfe für Betroffene und Angehörige
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Opferberatungsstelle Kinderspital Zürich
Pro Juventute, Tel. 147
Bist du selbst pädophil und möchtest nicht straffällig werden? Hilfe erhältst du beim Institut Forio.