Neue ForschungsergebnisseIst Laborfleisch umweltschädlicher als das aus klassischer Tierhaltung?
In den letzten Jahren haben Fleischersatzprodukte als ökologische Alternative stark zugenommen. Doch die vermeintlich umweltschonende Produktion von Laborfleisch verursacht offenbar mehr CO₂-Ausstoss und braucht mehr Energie.
Darum gehts
Weltweit werden pro Jahr etwa 346 Millionen Tiere für ihr Fleisch geschlachtet.
Bei der Tierhaltung werden grosse Mengen Energie verbraucht und CO₂ freigesetzt.
Im Labor gezüchtetes Fleisch soll dieses Problem bekämpfen und die Klimaerwärmung eindämmen.
Oft brauchen die künstlichen Alternativen für ihre Herstellung allerdings mehr Energie als die klassische Fleischproduktion.
Beyond Meat, Mirai Food — das sind nur zwei der über 50 Startups weltweit, die der traditionellen Fleischindustrie den Kampf angesagt haben. In Zukunft soll das Steak nämlich nicht im Schlachthof aus der Kuh geschnitten werden, sondern in einem Bioreaktor aus Zellkulturen heranwachsen. Dafür braucht es nur ein winziges Stück Gewebe, dessen Zellen sich im Labor dann vermehren. Noch gibt es zwar keine Produkte, die komplett aus diesem kultivierten Fleisch bestehen, diverse Unternehmen werben aber damit, wie gut dieses neue Fleisch für Mensch, Umwelt und das Tierwohl sei.
Wie ökologisch das Laborfleisch wirklich ist, scheint laut der «NZZ am Sonntag» fraglich. Gemäss einer neuen Übersichtsstudie entstehen bei der Anzucht von Hackbällchen im Labor, zwar etwa 75 Prozent weniger Treibhausgase als bei den Rindern auf der Weide, da die von den Rindern ausgestossenen Fürze viel Methan enthalten. Bei Schweinefleisch sind die Emissionen von Laborfleisch jedoch doppelt so hoch wie bei der klassischen Tierhaltung, bei Geflügel dreimal so hoch.
Aufzucht bei 37 Grad
Ein weiteres Hauptproblem ist der Energieverbrauch. Für ihr Wachstum brauchen die Zellen eine konstante Umgebungstemperatur von 37 Grad Celsius, und auch die Sterilisation der Anlagen frisst viel Energie. Je nach Studie schneidet sogar das laborgezüchtete Rindfleisch schlechter ab als das klassische Pendant, bei Huhn und Schwein ist der Energieverbrauch im Vergleich zur klassischen Tierhaltung sogar noch grösser.
Diese Meinung teilt auch Silvia Woll vom Karsruher Institut für Technologie. Bei ihrem Forschungsprojekt kam sie zum Schluss, dass die Produktion von sogenanntem «In-vitro»-Fleisch deutlich mehr Energie verbrauchen wird als die konventionelle Tierhaltung. Ob dieses Laborfleisch dann nachhaltiger sei, hänge stark davon ab, wo der Strom herkomme. Die niederländische Beraterfirma CE Delft errechnete in einer kürzlich veröffentlichten Lebenszyklusanalyse, dass 30 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen muss, damit der CO₂-Fussabdruck von Laborfleisch mit konventionell hergestelltem Fleisch mithalten kann. Nachhaltiger scheint das «In-vitro»-Fleisch nur in den Bereichen Land- und Wasserverbrauch zu sein.
«Unnatürlich» und «eklig»
Auch bei den Konsumentinnen und Konsumenten scheint künstlich produziertes Fleisch momentan noch einen schweren Stand zu haben. Bei Untersuchungen gaben viele der befragten Personen an, dass sie Fleisch aus dem Labor als «unnatürlich» oder «eklig» ablehnen. Laut einer Studie der ETH aus dem Jahr 2017 änderten sich diese Ansichten auch nicht, nachdem Befragte über Vorteile der Technologie informiert wurden.
Weiter stellt sich die Frage, wie sehr sich das Tierwohl tatsächlich verbessern würde. Zwar wird für «In-vitro»-Fleisch nur ein Bruchteil an Nutztieren benötigt, um das Ausgangsgewebe für die Zellkulturen zu gewinnen. Expertinnen und Experten wie Silvia Woll befürchten aber, dass die wenigen Tiere weiterhin in engen Massenanlagen gehalten würden, um möglichst kosteneffizient zu arbeiten. «So hätten wir zwar quantitativ etwas gewonnen, aber nicht qualitativ», gibt die Philosophin zu Bedenken.
Zurzeit kosten künstlich hergestellte Fleischprodukte ausserdem oft noch ein Vielfaches ihrer klassischen Gegenstücke. Experten und Expertinnen sehen hier den Ausbau von Fabriken auf industrielle Masstäbe als Mittel, um die Kosten zu senken. Andere Möglichkeiten, um Laborfleisch ökologischer und günstiger zu machen, seien Insektenzellen oder die gentechnische Veränderung von Muskelzellen. Ob künstlich gezüchtetem Fleisch dereinst den Sprung vom Nischenprodukt zum Alltags-Nahrungsmittel gelingt, werden die Entwicklungen der nächsten Jahre zeigen.
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