Rassismus-Kontroverse um Yvonne Feri«Die Jagd nach Likes führt zu einer Gedankenpolizei»
SP-Politikerin Yvonne Feri erhitzt die Gemüter, weil sie in der US-Vizepräsidentin wegen ihrer Hautfarbe eine gute Tänzerin sah. Die Wahrnehmung der Menschen funktioniere nur über Muster, verteidigt Journalistin Michèle Binswanger sie.
Darum gehts
Die US-Vizepräsidentin Kamala Harris könne «sowieso tanzen», weil sie «als dunkelhäutige Person den Rhythmus» habe, sagte SP-Nationalrätin Yvonne Feri am Freitag in der SRF-Arena.
Feri wurde danach als Rassistin angeprangert.
Es gebe viele harmlose Stereotype, entgegnet die Journalistin Michèle Binswanger.
Die Kritiker bezeichnen sie als eifrige Antirassisten.
Frau Binswanger*, SP-Nationalrätin Yvonne Feri wird angeprangert, sich rassistisch geäussert zu haben, weil sie der neuen US-Vizepräsidentin Kamala Harris aufgrund ihrer Hautfarbe ein Talent zum Tanzen zuschrieb. Sie kritisieren den Aufschrei des Feministischen Streikkollektivs auf Twitter als pseudo-antirassistische Tugend. Warum?
Kritisiert habe ich nicht das Streikkollektiv als solches, sondern jene Leute, die sich über vermeintlichen Rassismus empören, um sich selbst zu profilieren. Dabei geht es oft weniger um die Sache – etwa, ob man Feri wirklich Rassismus vorwerfen kann – als darum, sich als besonders eifrige Antirassisten zu beweisen. Ganz abgesehen davon, dass ich die Critical Race Theory (siehe Box) für ideologischen Unsinn halte, hat dies auch negative gesellschaftliche Konsequenzen. Die Jagd nach Likes und Reichweite führt zu einem fortschreitenden Denunziantentum und einer Gedankenpolizei.
Kritiker sagen, dass sich eine SP-Frau, deren Partei sich vorbehaltlos gegen Rassismus engagiert, einfach nicht so äussern dürfe – auch wenn es «total positiv» gemeint gewesen sein solle.
Tatsächlich könnte man erwarten, dass eine linke Politikerin voraussehen müsste, was eine solche Aussage im vergifteten Diskussionsklima in den sozialen Medien auslösen wird. Schriftlich hätte sie sich wohl kaum so geäussert, aber sie machte diese Aussage spontan in einer Live-Situation, zögerte sogar schon beim Begriff «dunkelhäutig» und stolperte dann doch. Und bumm, wird ihr das um die Ohren gehauen, einer Frau aus dem eigenen Lager, die sich zeitlebens für Minderheiten eingesetzt hat. Das zeigt, wie entrückt die Diskussion in den sozialen Medien von der realen Lebenswelt ist, ohne jegliche Bodenhaftung.
Warum tritt eine Politikerin, die alles andere als rassistisch sein will, trotzdem ins Rassismus-Fettnäpfchen?
Laut Critical Race Theory sind Stereotype per se rassistisch. Dabei funktioniert die menschliche Wahrnehmung nun mal über Muster. Wir können gar nicht anders, als in Stereotypen zu denken – und das betrifft alle gleichermassen. Die Hauptfrage dabei ist aber: «Wann sind Stereotype verletzend?»
Wann sind sie verletzend?
Wenn man mit einer Aussage jemanden abwertet. Es gibt jedoch viele harmlose Stereotype. Nehmen wir als Beispiel die Aussage: «Italiener sind gut angezogen.» Regen sich die Italiener darüber auf? Ich denke nicht. Genauso verhält es sich, wenn man davon ausgeht, dass jemand Käse mag, weil er Schweizer ist oder gut Software programmieren kann, weil er Inder ist. Bemerkenswert an der Critical Race Theory ist ja auch, dass manche Stereotypen sogar hocherwünscht sind: etwa über alte weisse Männer. Oder über Weisse, die laut der Theorie alle rassistisch sind.
Auch hier würden Ihre Kritiker sagen: Sie als weisse, privilegierte Frau sehen das halt so. Als 20 Minuten Hintergrundgespräche führte, sagten einige junge, schwarze Frauen, sie hätten sich an Feris Zuschreibung gestört. Sie wollten deswegen das Gespräch mit der SP suchen, meinte eine von ihnen.
Das ist ihr gutes Recht und auch das richtige Vorgehen. Der Aufschrei auf Social Media vergiftet das Klima nur weiter. Er kam ja auch nicht von Betroffenen, etwa einer Vereinigung von People of Colour, sondern von jungen Feministinnen, die wohl beweisen wollen, wie gut sie im Critical-Race-Theory-Seminar an der Uni aufgepasst haben. Der Normalbürger aber wird von solchen Diskussionen vor den Kopf gestossen und wendet sich vom Thema ab. Oder im schlimmsten Fall jenen Extremisten zu, die sich nicht mit solchem Unsinn aufhalten.
Sie schreiben in Ihrem Kommentar im «Tages-Anzeiger» zum Thema: «Jede unbedachte Aussage kann auf einen zurückfallen und im schlimmsten Fall die Karriere beenden.» Das ist doch stark übertrieben, heisst es auf der Seite der Aktivisten: Es gehe um gefühlte Ungerechtigkeit, eine sogenannte Cancel Culture sei ein Mythos.
Momentan wird zum Beispiel gerade die Entlassung der Tagesspiegel-Autorin Keilani Fatina gefordert, die in einem Artikel kritisierte, dass gewisse Aktivisten aus dem Anprangern von Benachteiligung ein Geschäftsmodell gemacht haben. Solche Fälle gibt es fast wöchentlich. Der Druck auf die Protagonisten des öffentlichen Lebens ist real und auch die Angst, sich zu gewissen Themen überhaupt noch zu äussern. Das ist nicht gut für die offene Debatte. Diese aber ist die Grundlage jeder Demokratie.

Michèle Binswanger ist Journalistin beim «Tages-Anzeiger», Autorin und Bloggerin.
Andrea Zahler/TAMEDIA AGCritical Race Theory
Die Critical Race Theory (CRT) vertritt die Auffassung, dass das Gesetz und die rechtlichen Institutionen von Natur aus rassistisch seien. Die Rasse an sich ist demnach, anstatt biologisch verankert und natürlich, ein gesellschaftlich konstruiertes Konzept. Dieses nutzten weisse Menschen, um ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen auf Kosten von Schwarzen zu fördern. Rassenungleichheit entsteht laut der Theorie durch die sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Unterschiede, die die weissen Menschen zu ihren Zwecken zwischen den «Rassen» schaffen. Als Folge davon seien viele Minderheitsgemeinschaften von Armut und Kriminalität betroffen.
Bist du oder jemand, den du kennst, von Rassismus betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Beratungsnetz für Rassismusopfer
GRA, Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Pro Juventute, Tel. 147
Dargebotene Hand, Tel. 143