Freie Wahl der ArbeitszeitJetzt setzen erste Firmen auf völlig flexible Arbeitswochen
Während des Tages Sport treiben oder die Kinder hüten und in der Nacht oder sonntags die Arbeit nachholen. Von einem solchen Modell könnten alle profitieren. Doch die gesetzlichen Hürden sind gross.
Darum gehts
Die Vier-Tage-Woche boomt. Immer mehr Firmen setzen auf eine kürzere Arbeitszeit bei gleichem Lohn oder testen das Konzept. Erst im Oktober stellte das Solothurner Softwareunternehmen Seerow auf einen Test um, bei dem die Angestellten einen Tag weniger arbeiten, um mehr Zeit zur Erholung zu haben.
Das komme gut an, wie zig Beispiele zeigen, darunter ein Mega-Versuch mit Regierungsangestellten in Island. Zahlreiche Mitarbeitende wollen seither nicht mehr zur normalen Arbeitszeit zurück. Auch in der Schweiz würden sich 84 Prozent der Erwerbstätigen laut einer Erhebung der Boston Consulting Group gerne von starren Arbeitszeiten verabschieden. 31 Prozent wünschen sich sogar die totale Flexibilität.
Das bietet seit Anfang Jahr das britische Ingenieurbüro Arup. Tausende Angestellte können frei wählen, wann sie arbeiten. So können sie am Tag Sport treiben oder Zeit mit der Familie verbringen und am Abend oder sonntags die Arbeit nachholen. Alles ist erlaubt, solange die Angestellten auch zwei Tage pro Woche im Büro anwesend sind, schreibt die «Handelszeitung».
In der Schweiz nicht erlaubt
Das Schweizerische Arbeitsgesetz lässt ein solches System aber nicht zu. Grund dafür ist das Nacht- und Sonntagsarbeitsverbot, sagt Roger Rudolph, Professor für Arbeits- und Privatrecht an der Uni Zürich (siehe Box).
Sonntagsarbeit braucht Gesetzesänderung
Wenn die Angestellten so arbeiten könnten, wie es ihrem persönlichen Rhythmus entspricht, profitieren die Firmen. «Wenn festangestellte Mitarbeiter selber bestimmen können, wann sie arbeiten wollen, sind sie produktiver und motivierter», sagt Karin Frick, Forschungsleiterin am Gottlieb Duttweiler Institute (GDI).
Auch für die Angestellten wäre es «eine grosse Hilfe, um alle Lebensbereiche unter einen Hut bringen zu können», sagt Arbeitspsychologin Corinne Baumgartner von der Organisationsberatung Conaptis und Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeits- und Organisationspsychologie SGAOP. Auch steige das Selbstwertgefühl, wenn man das Vertrauen geniesse, selber entscheiden zu können.
Gefahr der Selbstausbeutung
Die Expertin warnt aber auch vor den Nachteilen. Die neue Freiheit und die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit stelle hohe Anforderungen an die Selbstorganisation. «Abschalten und Erholung werden schwieriger und die Gefahr der Selbstausbeutung steigt», so Baumgartner. Verstärkt wird das durch die Echtzeitkontrolle am PC. «Keiner will der sein, dessen Symbol immer zuerst abwesend anzeigt», sagt die Expertin.
«Die Kommunikation ist schwieriger, wenn man seltener gleichzeitig mit den anderen Angestellten arbeitet. Auch das Informelle und die Emotionen kommen ohne direkten Kontakt zu kurz», so Baumgartner. Dadurch könnte die soziale Unterstützung im Team abnehmen. Diese Gefahr ist nicht zu unterschätzen, denn das Gefühl der Zugehörigkeit federt laut der Expertin viele Stressfolgen ab.
Für Vorgesetzte wirds schwieriger
Für Vorgesetzte werde es schwieriger, die Mitarbeitenden zu führen und zu spüren, wie es ihnen geht. Deshalb gelte es, das Direkte der zwischenmenschlichen Interaktion sicherzustellen, denn nur durch persönlichen Kontakt lasse sich Vertrauen aufbauen.
Betriebe müssten deshalb ihre Teams sorgsam pflegen. So könne man etwa im Team klären, ob die Kernarbeitszeit einzuhalten sind, zu welchen Zeiten man nicht mehr erreichbar sein möchte oder welche Strukturen es für Meetings braucht.