Juden in Zürich«Viele hier in der Schweiz sind gegen Israel»
Die Stimmung im Zürcher Stadtviertel Wiedikon ist nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas bedrückt. Dort leben viele Menschen aus der jüdischen Community. 20 Minuten hat sich vor Ort ein Bild gemacht.
Darum gehts
20 Minuten spricht nach dem terroristischen Angriff der radikalislamischen Hamas mit der jüdischen Community in Zürich.
Die Betroffenheit ist in Wiedikon (ZH) gross. Für eine junge Mutter ist die Situation kaum erträglich: «Es ist einfach nur schrecklich. Ich fühle mich machtlos, dabei möchte ich nur, dass meine Familie in Sicherheit ist.»
Nebst der Angst und der Trauer staut sich bei der jüdischen Community auch das Gefühl der Enttäuschung an.
Am Zürcher Hauptbahnhof wurde mit weisser Kreide «Free Palestine» auf den Boden geschrieben.
Für die jüdische Community ist diese Aussage unverständlich. In Zürich zeigt sich aber: Die nicht jüdische Bevölkerung verurteilt zwar den Terror – hat aber auch Sympathien für die Palästinenser.
Die Stimmung vor der Synagoge in Zürich Wiedikon ist angespannt. Mit schnellen Schritten und mit dem Blick zum Boden gerichtet schreiten jüdische Männer von der einen Strassenseite zur anderen. Gelacht wird kaum, die meisten tauschen sich nur kurz aus, um dann wieder weiterzugehen. Aus aktuellem Anlass wird die Synagoge verstärkt mit Sicherheitspersonal beaufsichtigt. Eine junge Mutter weint, als sie von ihrer Familie aus Israel erzählt: «Es ist einfach nur schrecklich. Ich fühle mich machtlos, dabei möchte ich nur, dass meine Familie in Sicherheit ist.»
Befremdung über die Schweiz
Am Samstag wurde Israel Opfer eines terroristischen Angriffs der radikalislamischen Hamas. Laut aktuellen Zahlen der israelischen Behörden wurden über 800 Menschen getötet, rund 150 Zivilisten entführt und 2600 Menschen verletzt.
In die Trauer mischt sich schnell auch Befremden über die Haltung der Schweiz: «Die Schweiz war noch nie pro Israel», so die Frau unter Tränen. «Was die Menschen dort erleben müssen, ist unmenschlich.» Drei junge Männer, die in Israel studieren, sind wegen der Feiertage in die Schweiz gereist. Nach Israel können sie im Moment nicht: «Wir müssen abwarten, bis die Lage sicher ist. Bis dahin studieren wir hier in der Schweiz», erzählen sie. «Wir alle haben Familie und Freunde in Israel. Wir sind bestürzt und haben den Angriff der Hamas nicht kommen sehen.» Aus Angst vor Anfeindungen wollen sie anonym bleiben. «Wir hoffen einfach auf Frieden.»
Quartier steht unter Schock
Ein paar Meter neben der Synagoge treffen wir auf Rubi. Der 34-jährige Jude arbeitet im Verkauf in einem viel besuchten koscheren Lebensmittelmarkt. Zu seiner Kippa trägt er einen dunkelgrünen Hoodie. Er erzählt: «Wir alle hier im Quartier stehen unter Schock. Wir haben Angst um unsere Angehörigen in Israel. Wir glauben aber, dass Gott uns durch diese schlimme Situation führt.»

Der 23-jährige Jude Rubi arbeitet in einem koscheren Laden und nimmt die Community besorgt wahr: «Wir alle hier im Quartier stehen unter Schock. Wir glauben aber, dass Gott uns durch diese schlimme Situation führt.»
20min/Simona RitterNebst der Angst und der Trauer staut sich bei der jüdischen Community auch das Gefühl der Enttäuschung an. Mit weisser Kreide wurde am Zürcher Hauptbahnhof «Free Palestine» auf den Boden geschrieben. Für solche Aussagen findet Menachem kaum Worte: «In der Schweiz gibt es solche, die pro Israel sind, aber viele sind gegen Israel. Für mich ist das pure Naivität. Wir wurden angegriffen, und die Schweiz soll das verurteilen, von links bis rechts. Die sogenannten Befreiungskämpfer der Hamas haben der ganzen Welt ihr wahres Gesicht gezeigt. Wer an einem Musikfestival in Israel kaltblütig und geplant über 260 Menschen erschiesst und unzählige Menschen verletzt, ist nichts anders als ein herzloser Mörder. Ich bin überzeugt, dass eine sehr grosse Mehrheit der Schweizer solche Mörder nicht unterstützen will.»

Menachem (22) aus der jüdischen Community fordert von der Schweiz eine klare Haltung: «Wir wurden angegriffen, und die Schweiz soll das verurteilen, von links bis rechts.»
20min/Simona Ritter«Wer kaltblütig und geplant über 260 Menschen erschiesst, ist nichts anderes als ein herzloser Mörder.»
Der 22-Jährige fordert von der Schweiz eine klare Haltung: «Die Politik ist nun gefordert, sofort nicht mehr die Hamas mit Geld zu unterstützen und als Terrororganisation einzustufen.» Menachem ist ausserdem besorgt um seine Schwester, die nicht aus Israel zurückreisen kann. Er fordert, dass das Schweizer EDA mehr für die Evakuierung von Schweizer Juden in Israel unternimmt.
Ignazio Cassis spricht erstmals von Terror
Für den 34-jährigen Rubi Amiach aus Zürich ist die Haltung einiger Schweizer pure Ignoranz: «Diese Menschen wollen in meinen Augen den linken politischen Flügel befriedigen. Sie laufen einem Trend nach», sagt der 34-Jährige. Er fürchtet, dass die Eskalation in Israel Antisemitismus befeuern könnte: «Ich wurde in der Vergangenheit bereits beleidigt und angegriffen, weil ich jüdisch bin. Die Menschen waren schon oft gegen uns und sie ergreifen jede Chance, um uns noch mehr zu schaden.»
Auch Jacques Lande, der Präsident der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich, hätte sich mehr Verständnis von den Schweizerinnen und Schweizer erhofft: «Wir spüren eine Solidarität aus der Bevölkerung, doch ich hätte vom Bundesrat eine andere Reaktion erwartet. Wir wollen, dass die Hamas als Terrororganisation eingestuft wird.» Am Montagabend sprach Aussenminister Ignazio Cassis an einer Pressekonferenz erstmals von Terror.

Jacques Lande ist der Präsident der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich und wünscht sich mehr Verständnis von der Schweizer Bevölkerung für Israel.
20min/ Shanice Bösiger«Was ich weiss: Krieg ist falsch»
Im nahe gelegenen Lochergut spricht 20 Minuten auch mit Zürcherinnen und Zürchern, die nicht der jüdischen Community angehören. Schnell zeigt sich, dass die jüdische Bevölkerung mit dieser Forderung nicht überall auf Verständnis trifft. Geraldine (32) ist Juristin aus Zürich und findet Gewalt in jeglicher Form inakzeptabel: «Aber der Konflikt ist kompliziert. Es sollten nicht alle Palästinenser verurteilt werden.»
Im Gespräch sympathisiert die 32-Jährige mit den Palästinensern: «Es wäre schön, wenn man in diesem Konflikt nach so vielen Jahren endlich eine Lösung findet, auch für die Palästinenser.» Auch teilt sie die aktuelle Haltung der Schweiz, dass man die Hamas nicht als Terrororganisation einstufen soll, um die Kommunikationswege offen zu halten.
Der 30-jährige Sebastian aus Zürich möchte sich lieber nicht auf eine Seite schlagen und neutral bleiben. «Ich weiss zu wenig über den Konflikt und bevor ich mir eine Meinung mache, wäre es sicher gut, wenn ich mir davor eine Dokumentation anschaue.» Auch für Luca (34) ist der Nahostkonflikt komplex, er möchte sich auf keine Seite stellen: «Ich habe Freunde von beiden Seiten und ich finde es hart, in dieser Situation eine Partei zu ergreifen. Was ich weiss: Krieg ist falsch», so der 34-Jährige.
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