Katalin KarikóDie «Mutter der mRNA» ist erst die 12. Medizin-Nobelpreisträgerin
Ohne Katalin Karikó wäre ein Corona-Impfstoff nicht möglich gewesen. Dieser rettete über eine Million Leben. Die ungarische Biochemikerin wurde jetzt – erst als zwölfte Frau überhaupt – mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Ihr Weg war nicht einfach.
Katalin Karikó wurde vor zwei Jahren für ihre Forschung zur mRNA in Bern mit der Reichstein-Medaille ausgezeichnet. 20 Minuten hatte sie getroffen und mit Behauptungen von Impfskeptikerinnen und Impfskeptikern konfrontiert.
20min/Matthias SpicherWährend der Corona-Pandemie wurde spekuliert, jetzt ist es offiziell: Die Wegbereiter des mRNA-Impfstoffs, Katalin Karikó und der Immunologe Drew Weissman, erhalten den diesjährigen Medizin-Nobelpreis. Die Biochemikerin ist erst die zwölfte Frau, der diese Ehre zuteil wird. Dem gegenüber stehen 207 Männer. Wer ist diese Frau?
«Karikó ist ein Superstar»
Karikó wurde in Ungarn geboren und lebt heute in den USA. Sie ebnete mit ihrer Forschung den Weg für die Entwicklung des Covid-19-Impfstoffs auf mRNA-Basis. «Durch ihre bahnbrechenden Resultate trug die Preisträgerin zu dem beispiellosen Tempo der Impfstoffentwicklung während einer der grössten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in moderner Zeit bei», schrieb das Nobelkomitee.
Nur dank ihrer jahrzehntelangen, harten Arbeit, Ausdauer und Unbeirrtheit konnten knapp zwölf Monate nach dem ersten Auftreten des Coronavirus Sars-CoV-2 die ersten Menschen dagegen geimpft werden, was als wichtiger Beitrag für die Beendigung der Pandemie gewertet wurde.
Für ihre Leistungen wurde sie bereits in der Vergangenheit gefeiert: «Karikó ist ein Superstar», urteilte etwa Neurochirurg David Langer am Ende des ersten Pandemiejahres auf Twitter. Ihr Kollege Weissman, mit dem sie im Jahr 2005 einen wichtigen Durchbruch erzielte, bezeichnete sie in einem Interview als «brillante Wissenschaftlerin». Und Derrick Rossi, Mitbegründer der US-Biotechfirma Moderna, schlug sie – zusammen mit Weissman – für den Nobelpreis für Chemie vor.
Im Jahr 2021 wurde ihr die höchste Auszeichnung der Schweizerischen Akademie der Pharmazeutischen Wissenschaften verliehen. Viele weitere Auszeichnungen folgten.
Von Anfang an ein steiniger Weg
Schon früh hatte sich die Tochter eines Metzgers der Erforschung von Ribonukleinsäure (RNA) gewidmet, zunächst noch in ihrem Heimatland Ungarn, ab 1985 in den USA. Dorthin war sie auf Einladung der Temple University in Philadelphia ausgewandert. Im Gepäck: Ihr Mann, die zweijährige Tochter und ein Teddybär, in dem 1200 Dollar eingenäht waren – ihr ganzes Startkapital für Amerika, das aus dem Verkauf des Autos stammte.
Die Ribonukleinsäure, ein Biomolekül, sorgt in unseren Zellen als Boten-RNA (mRNA) dafür, dass genetische Information der DNA in Proteine umgewandelt wird. Im Jahr 1989 erkannte Karikó schliesslich, dass man mit künstlich hergestellter mRNA Krankheiten behandeln könnte. «Ich hatte nie Zweifel daran, dass es funktionieren könnte», so die heute 68-Jährige zu Theguardian.com.
Probleme, Lösungen und eine Kündigung
Weitere Herausforderungen liessen nicht auf sich warten. Denn es gab ein grosses Problem. Die synthetisierte mRNA sorgte im Körper für Entzündungsreaktionen, was sie für den therapeutischen Einsatz ausschloss. Doch Karikó, die oft tagelang durcharbeitete und im Labor übernachtete, gab nicht auf. Gemeinsam mit Weissman gelang es ihr schliesslich im Jahr 2005, das Problem zu lösen. Trotzdem fand die Entdeckung zunächst nur wenig Beachtung.
Noch nicht einmal an der University of Pennsylvania war man sich ihrer Brisanz bewusst: Statt Karikós Stelle als Research Assistant Professor zu verlängern, stufte man sie auf eine befristete Postdoc-Stelle zurück und kündigte ihr schliesslich ganz. «Sie war definitiv enttäuscht über die Ablehnung und auch irritiert, dass andere nicht erkannten, dass die mRNA-Technologie die Medizin revolutionieren könnte», sagt Karikós Tochter, Zsuzsanna «Susan» Francia (siehe Box) zu 20 Minuten.
«Ich bin stolz, aber nicht überrascht»
Erneut den richtigen Riecher
Von den Rückschlägen hat sich die Biochemikerin jedoch nicht entmutigen lassen, so Tochter Francia weiter: «Sie wechselte von der Forschung in die Industrie – und auf einmal öffneten sich viele Türen. Das war sehr aufregend für sie.» Unter anderem fiel die heute als bahnbrechend anerkannte Arbeit von Weissman und Karikó aus dem Jahr 2005 besagtem Derrick Rossi in die Hände, der daraufhin 2010 in Cambridge (US-Bundesstaat Massachusetts) Moderna gründete.
Obwohl die Firma auch um Karikó selbst buhlte, entschied sich die Biochemikern im Jahr 2013 zum von Ugur Sahin und Özlem Türeci gegründeten Konkurrenzunternehmen Biontech im deutschen Mainz zu wechseln, wo sie bis September 2022 Senior-Vizepräsidentin war. Und das, obwohl die Firma damals noch nicht einmal eine eigene Webseite hatte.
Doch offensichtlich hat Karikó, die mittlerweile Professorin an der Universität Szeged in Ungarn ist und eine ausserordentliche Professur an der University of Pennsylvania hält, auch dieses Mal den richtigen Riecher bewiesen: Schliesslich erhielt der Corona-Impfstoff von Biontech, der wie der von Moderna massgeblich auf der Forschung von Karikó basiert, als erster eine offizielle Zulassung – auch in der Schweiz.
Anmerkung der Redaktion: Dieses Porträt von Katalin Karikó ist in einer ersten Version 2020 erschienen.
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