Keine Herdenimmunität in der Schweiz ohne Impfung der Kinder?

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HerdenimmunitätKeine Herdenimmunität in der Schweiz ohne Impfung der Kinder?

Grossbritannien will Kinder gegen Corona impfen. Ein ETH-Immunologe sagt, Kinder seien ebenfalls Überträger des Virus. Es gebe darum keinen Grund, sie nicht zu impfen.

In Grossbritannien will man die Kinder im Sommer gegen Corona impfen.
«Es gibt keinen Grund, Kinder nicht zu impfen», findet ETH-Immunologieprofessor und Taskforce-Mitglied Manfred Kopf.
Denn wolle man eine Herdenimmunität erreichen, sei eine Impfung der Kinder wohl nötig. «Bei der aktuellen Impfbereitschaft lässt sich dieses Ziel mit den Erwachsenen alleine kaum erreichen.»
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In Grossbritannien will man die Kinder im Sommer gegen Corona impfen.

20min/Michael Scherrer

Darum gehts

  • Die Diskussion um die Impfung von Kindern gegen Corona läuft derzeit heiss.

  • Laut ETH-Immunologe Manfred Kopf ist die Kinderimpfung zentral, will man die Herdenimmunität erreichen.

  • In der Politik ist das Thema umstritten.

Schon im August sollen britische Kinder den Piks erhalten. Die Regierung will damit eine Ausbreitung des Virus via Schulen verhindern, wie die Zeitung «The Telegraph» schreibt. Das Ziel: Bis zur Rückkehr in den Unterricht nach den Sommerferien sollen die meisten der 11 Millionen schulpflichtigen Kinder geimpft sein.

In der Schweiz sind Kinder bislang nicht Teil der Impfstrategie des Bundes. Gemäss ETH-Immunologieprofessor und Taskforce-Mitglied Manfred Kopf dürfte sich das aber noch ändern: «Es gibt keinen Grund, Kinder nicht zu impfen. Kinder sind ebenfalls Überträger des Virus – daran gibt es keine Zweifel mehr», sagt er.

«Herdenimmunität mit Erwachsenen allein kaum zu erreichen»

Laut dem Fachmann könnte die Impfung von Kindern gar entscheidend sein, will man die Herdenimmunität erreichen. «Diese dürfte erst erreicht sein, wenn über 70 Prozent der Bevölkerung immunisiert sind – darauf deuten Hinweise aus Manaus in Brasilien hin. Bei der aktuellen Impfbereitschaft lässt sich dieses Ziel mit den Erwachsenen alleine kaum erreichen.»

Dass die Impfung von Kindern in der Schweiz noch kein Thema ist, führt Kopf auf die schleppende Impfkampagne im Land zurück – zuerst brauche man genügend Impfdosen für die Älteren. Die Sicherheit des Impfstoffs sei aber sehr hoch und es würden nun klinische Studien mit Kindern durchgeführt. Ein grösseres Risiko bei Kindern als bei Erwachsenen sieht Kopf nicht. «Allenfalls muss man die Dosis etwas anpassen.»

«Frage nach der Impfung der Kinder ist legitim»

Für eine künftige Impfung der Kinder setzt sich auch SP-Nationalrätin Yvonne Feri ein. «Sofern die Zulassungsverfahren für Kinder und Jugendliche abgeschlossen sind, sollten auch die Kinder an der Reihe für die freiwillige Impfung sein», sagt Feri. Bevor man keine Klarheit und Sicherheit habe in Bezug auf Wirkung und Nebenwirkung, dürfe man die Kinder aber noch nicht impfen. «Zudem ist der Fokus auf die ältere Risikogruppe zu legen.»

Die Frage nach der Impfung der Kinder sei legitim, sagt auch Mitte-Nationalrat Benjamin Roduit. «Fakt ist, dass Kindern und Jugendliche eine höhere Mobilität haben und auch Virusträger sind. Das BAG kommuniziert da noch zu unklar.» Es brauche daher klare Anweisungen und weitere Studien, wie mit Kindern umzugehen sei und wie hoch die Gefahr sei, dass auch Kinder das Virus an Erwachsene übertragen.

Für Balthasar Glättli, Präsident der Grünen, kommt die Diskussion zu früh. Die Impfung der Risikogruppen habe weiterhin höchste Priorität: «Vor einer Woche waren erst 16,5 Prozent der Hochrisikogruppe doppelt geimpft. Gestern waren es 18 Prozent. Hier müssen wir wirklich vorwärts machen!» Die Frage, ob und wann es Sinn macht, die Kinder auch zu impfen, müssen laut Glättli die medizinischen Expertinnen und Experten beantworten. Klar ist für ihn allerdings: Es braucht intensives Testen an Schulen. Damit könne der Einfluss der offenen Schulen auf die Weiterverbreitung von Corona eingedämmt werden.

Swissmedic rechnet mit Zulassung in etwa einem halben Jahr

Den Impfstoff müsste das Heilmittelinstitut Swissmedic für Kinder zulassen. Eine Zulassung liegt für den Pfizer-Impfstoff ab 16 Jahren, für den Moderna-Impfstoff ab 18 Jahren vor. Swissmedic-Vizedirektor Philippe Girard schloss eine erweiterte Zulassung kürzlich nicht aus: «Eine Zulassung für Kinder könnte auch für eine künftige Herdenimmunität wichtig sein. Dafür braucht es aber klinische Daten und entsprechende Studien», sagte er zum «Tages-Anzeiger». Er rechnet damit, dass es noch etwa ein halbes Jahr dauere, bis die Studien bei den Kindern abgeschlossen seien, um den Impfstoff zuzulassen. «Kinder sind eine besonders vulnerable Gruppe, deshalb müssen klinische Studien besonders sorgfältig gemacht werden.»

Auch beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) heisst es, die Zulassung und die Impfempfehlung basiere auf den eingereichten Zulassungsdaten der Hersteller. Bisher seien Kinder noch nicht in Studiendaten inkludiert gewesen.


Impf-Gipfel am Donnerstag

Die Impfkampagne in der Schweiz läuft schleppend. Am Donnerstag ruft der Bund zum Impf-Krisengipfel. Dabei sprechen sich Bundespräsident Guy Parmelin, Bundesrat Alain Berset, die Taskforce sowie kantonale Gesundheitsdirektoren in einer Videokonferenz aus. Im Anschluss findet eine Medienkonferenz statt, bei der auch die Chefin von Pfizer Schweiz und der Chef von Moderna Schweiz Rede und Antwort stehen. Die Medienkonferenz sehen Sie ab 16.00 Uhr live auf 20minuten.ch.

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