Streichung von IV-BeiträgenBund stoppt Gelder für Kinder mit Autoimmunkrankheit Zöliakie
Ab Januar fallen Entschädigungszahlungen für Kinder mit einer Gluten-Unverträglichkeit weg. Für finanzschwache Familien seien die Auswirkungen enorm, sagt Tina Toggenburger von der IG Zöliakie der Deutschen Schweiz.
Darum gehts
Ab 1. Januar 2022 streicht der Bund die Krankheit Zöliakie – eine durch Glutenunverträglichkeit verursachte chronische Autoimmunerkrankung – von der Liste der Geburtsgebrechen. Der im Rahmen der IV-Revision gefällte Entscheid des Bundesrats hat für betroffene Familien finanzielle Konsequenzen: Ab Januar haben Kinder und Jugendliche bis zum 20. Lebensjahr keinen Anspruch mehr auf eine IV-Pauschalentschädigung. Die Beträge – zwischen 600 und 1450 Franken pro Jahr – werden ersatzlos gestrichen.
Für die Betroffenen seien die gesundheitlichen und finanziellen Konsequenzen des Entscheids enorm, sagt Tina Toggenburger, Präsidentin des Verbands IG Zöliakie. «Zöliakiebetroffene müssen im Vergleich zu einer normalen Ernährung mit deutlichen Mehrkosten – rund 200 Franken pro Monat – rechnen.» So koste etwa ein Kilo normales Mehl 90 Rappen, die glutenfreie Variante 6.80 Franken. «Finanzschwache Familien haben keine Mittel, um ihrem Kind so viel teurere Lebensmittel zu bezahlen. Und Reis möchten sie auch nicht jeden Tag auftischen.»
«Die einzige Therapie ist die strikt glutenfreie Ernährung»
Die obligatorische Krankenversicherung, die nur «Diätmittel» aus der Apotheke oder Medikamente bezahlt, übernehme die Mehrkosten für die teureren Lebensmittel nicht, sagt Toggenburger. «Dabei ist die einzige Therapiemöglichkeit die strikte, glutenfreie Ernährung.» Halte man sich nicht daran, habe das massive gesundheitliche Auswirkungen – vor allem bei Kindern. «Die Aufnahme von Gluten – ein in vielen Getreidesorten vorkommendes Eiweiss – schädigt den Darm, kann zu Wachstumsstörungen, Mangelerscheinungen und psychischen Problemen wie Depressionen oder ADHS führen.»
Auch weitere medizinische Probleme wie Osteoporose, Unfruchtbarkeit, Haarausfall oder Müdigkeit könnten auftreten. Rund 80’000 Personen seien von Zöliakie betroffen, Tendenz klar steigend. Nur ein Bruchteil davon sei jedoch diagnostiziert. Toggenburger fordert deshalb den Bundesrat auf, Zöliakie als chronische Krankheit anzuerkennen, die Bevölkerung über die Krankheit aufzuklären und eine Lösung für die Abgeltung der Mehrkosten, die durch die Diät entstehen, zu finden. «Zöliakie ist keine Lifestyle-Krankheit, sondern hat massive Auswirkungen auf die Gesundheit. Das muss in zukünftigen Entscheiden berücksichtigt werden.»
SP-Nationalrätin will Vorstoss einreichen
Erst vor wenigen Monaten reichte SP-Nationalrätin Yvonne Feri im Parlament eine Interpellation zum Thema ein. «Die Situation ist sehr unbefriedigend, denn für die betroffenen Personen bedeutet die Krankheit einerseits einen finanziellen Mehraufwand, andererseits erfordert sie auch einen sonstigen grossen Einsatz.» Beispielsweise, wenn die Kinder an einem Mittagstisch oder im Hort essen würden, auf Schulreise gingen oder zu einer Geburtstagsparty eingeladen seien.
«Zöliakie kann nicht mit einem Medikament behandelt werden, es braucht eine exakte Diät», so Feri. Daher könne sie den Entscheid zur Einstellung der Entschädigungszahlungen nicht gutheissen. «Ich überlege mir jetzt, einen weiteren Vorstoss nachzuschieben.»
Neue Kriterien für Geburtsgebrechen
Wie das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf Anfrage mitteilt, bezogen im Jahr 2020 insgesamt rund 3'000 Versicherte eine Pauschalentschädigung wegen Zöliakie. Da die Liste mit Geburtsgebrechen medizinisch und strukturell veraltet gewesen sei, sei sie im Rahmen der IV-Reform aktualisiert worden, so BSV-Sprecher Harald Sohns. «Einige Krankheiten, die den neuen Kriterien für Geburtsgebrechen nicht mehr entsprochen haben, sind von der Liste gestrichen worden.» Ein Kriterium sei, dass die Krankheit angeboren sein muss.
«Die Zöliakie entspricht nicht dieser Definition, da es sich um eine Autoimmunerkrankung mit multifaktoriellen Ursachen handelt», so Sohns. Bei der Erarbeitung der aktualisierten Liste seien Expertinnen und Experten, die medizinischen Fachgesellschaften und Patientenorganisationen einbezogen worden.