«Opfer trägt keine Mitverantwortung» – So begründet Gericht milde Strafe im Vergewaltigungsfall Elsässerstrasse

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«Opfer trägt keine Mitverantwortung»So begründet Gericht milde Strafe im Vergewaltigungsfall Elsässerstrasse

Das Basler Appellationsgericht hat sein schriftliches Urteil zum Vergewaltigungsfall Elsässerstrasse publiziert, das im August für einen Sturm der Empörung gesorgt hatte und weist darin den Vorwurf zurück, dem Opfer eine Mitverantwortung gegeben zu haben.

Rund 1000 Personen demonstrierten im August vor dem Basler Appellationsgericht gegen dessen Urteil im Fall der Vergewaltigung Elässerstrasse.
Der 33-jährige Portugiese soll gemeinsam mit einem damals 17-jährigen Kollegen am 1. Februar 2020 kurz nach sieben Uhr morgens eine Frau im Windfang einer Liegenschaft an der Elsässerstrasse vergewaltigt haben.
Die beiden Männer begleiteten die damals 33-jährige Frau nach einer Partynacht nach Hause. Der Beschuldigte kannte das Opfer schon seit Jahren.
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Rund 1000 Personen demonstrierten im August vor dem Basler Appellationsgericht gegen dessen Urteil im Fall der Vergewaltigung Elässerstrasse.

Lukas Hausendorf

Darum gehts

Mit ihrer mündlichen Urteilsbegründung machte Appellationsgerichtspräsidentin Liselotte Henz am 30. Juli Schlagzeilen. Sie sprach von «Signalen», die das Opfer an den Täter sendete und dass sie «mit dem Feuer gespielt» habe. Das Ergebnis: Das Strafmass des erstinstanzlich zu 4,25 Jahren Haft verurteilten 33-jährigen Portugiesen wurde auf 36 Monate reduziert. Auch die Genugtuung ans Opfer wurde von 12’000 auf 9000 Franken reduziert. Inzwischen ist der verurteilte Vergewaltiger aus der Haft entlassen und nach Portugal ausgewiesen worden.

Der Portugiese hatte zusammen mit einem zum Tatzeitpunkt 17-jährigen Kollegen am frühen Morgen des 1. Februar 2020 eine damals 33-jährige Frau gemeinschaftlich im Windfang ihres Hauseingangs vergewaltigt. Er kannte das Opfer schon seit Jahren und begleitete sie nach einer Partynacht nach Hause. Gegen seine Verurteilung durch das Basler Strafgericht ging er in Berufung.

Mehr als drei Monate nach der mündlichen Urteilseröffnung ist jetzt die ausführliche schriftliche Begründung da. Darin hält das Appellationsgericht fest, dass die Neubewertung der Strafzumessung «weder eine Infragestellung der Tat noch eine Zuweisung von Mitverantwortung des Opfers bedeutet». Die subjektive Vorstellung des Beurteilten habe bei der Beurteilung der Tat keine Rolle gespielt. Sie sei einzig in die Strafzumessung eingeflossen, weil daraus keine vorgängige Planung der Tat abzuleiten sei.

Brutalere Fälle milder beurteilt

Das Appellationsgericht hält auch fest, dass es keine Zweifel am Tatgeschehen hat, wie es vom Opfer geschildert wurde. Eine inhaltliche Analyse ihrer Aussagen ergebe eine hohe Aussagequalität, heisst es in der 73-seitigen Urteilsbegründung.

Bei der Strafzumessung habe das Appellationsgericht weiter festgestellt, dass sich das Strafgericht bei der Festsetzung der Strafe nicht an die Vorgaben des Bundesgerichts zur Gesamtstrafenbildung gehalten habe. Das Appellationsgericht stützt sich in seiner Neubeurteilung auf Urteile von vergleichbaren Fällen, wie es in der Begründung heisst.

Es zitiert dabei drei Urteile zu gemeinschaftlich begangenen Vergewaltigungen. So wurden 2014 vier Männer wegen mittäterschaftlich begangener Vergewaltigung einer 17-Jährigen in einem Auto zu bedingten Freiheitsstrafen von 24,18,13 und neun Monaten verurteilt. Die Tat wurde sogar gefilmt. In Basel wurden im Oktober 2018 ein Mittäter einer Kettenvergewaltigung, bei der das Opfer massiver Gewalt ausgesetzt war, zu vier Jahren verurteilt.

Spielte eine Rolle, wie gewalttätig er vorgegangen ist

Strafmildernd wirke sich auch aus, dass beim Opfer keine Spuren des Berufungsklägers gefunden worden seien. Diesem Aspekt müsse man angemessen Rechnung tragen.

Vor diesem Hintergrund wurde das Tatverschulden des Berufungsklägers als weniger schwerwiegend eingestuft, als dies vom Strafgericht getan wurde. So habe es «eine Rolle gespielt, welchen Aufwand der Täter für die Tatausführung betrieb, wie hartnäckig er seinen Plan verfolgt hat, wie gewalttätig er dabei vorgegangen ist und wie lange sich der Übergriff hingezogen hat.»

Dass er fälschlicherweise angenommen hatte, dass sie zu einvernehmlichem Sex mit ihm bereit sei, «bringt nicht zum Ausdruck, dass das Opfer ein Mitverschulden für die sexuellen Übergriffe trägt», so das Gericht. Er hätte spätestens dann von seinem Vorhaben Abstand nehmen müssen, als sie ihm zu verstehen gab, alleine in ihre Wohnung zu wollen.

Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?

Hier findest du Hilfe:

Polizei nach Kanton

Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz

Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche

Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein

Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer

Agredis, Gewaltberatung von Mann zu Mann, Tel. 078 744 88 88

LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

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