Kinder in den Ferien am Handy: «Braucht mehr digitale Achtsamkeit»

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Ferien mit Smartphone«Meine Kinder hingen im Restaurant als einzige nicht am Handy»

Ob im Restaurant oder am Strand: In den Ferien sieht man immer mehr Kinder, die hinter dem Handy oder iPad hängen. Ist das die neue Normalität? Was macht das mit uns? Eine Psychologin ordnet ein.

Kleine Kinder, die beim Essen im Restaurant mit dem Handy bespasst werden: Dieser Anblick wird immer mehr zur Realität. 
«Meine Kinder waren die einzigen, die nicht am Handy hingen», erzählt News-Scout L.B.*
Selbst am Strand hingen die Kinder teilweise am Smartphone, sagt B. 
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Kleine Kinder, die beim Essen im Restaurant mit dem Handy bespasst werden: Dieser Anblick wird immer mehr zur Realität. 

20min/News-Scout

Darum gehts

  • Das Smartphone macht auch vor den Ferien nicht halt: Die 20-Minuten-Community ist schockiert, wie viele Eltern ihre Kinder am Strand oder im Restaurant ans Handy lassen. 

  • News-Scout B. beobachtete in ihren Ferien nicht nur viele Kinder mit Ohrstöpseln und iPad im Restaurant. Auch am Strand hätten viele Kinder stundenlang ins Handy gestarrt. 

  • Gar ein wohl noch nicht einmal einjähriges Kind, das die Mutter gerade mit Brei fütterte, starrte auf ein iPad. 

  • Anna Miller, Psychologin, Journalistin und Autorin, sagt, solche Bilder würden zunehmend zur Normalität – es gebe aber auch Gegentrends. 

Jedes vierte sechsjährige Kind in der Schweiz hat schon ein eigenes Smartphone. Diese Entwicklung macht auch vor den Ferien nicht halt: «Meine Kinder waren im Restaurant die einzigen, die nicht hinter dem Handy oder iPad sassen», sagt News-Scout L.B.*, die gerade in Lido di Venezia in den Ferien ist. Auch am Strand sässen die Kinder teils stundenlang einfach am Handy.

B. sei schockiert gewesen: «Ist es jetzt plötzlich Normalität, dass Kinder ihre Pizza hinter einem Zeichentrick verschlingen und nicht mehr mit ihren Eltern und Geschwistern am Esstisch reden, diskutieren oder auch einmal streiten?» Die Journalistin, Psychologin und Autorin Anna Miller* ordnet ein.

Kinder, die in den Familienferien im Restaurant oder am Strand am Handy hängen. Ist das normal?

Anna Miller: Es wird mehr und mehr zur Normalität, ja. Man muss nur die Augen aufmachen, um diesen Trend zu erkennen. Digitale Medien werden immer grenzenloser, sie dringen in jeden Bereich unseres Lebens ein und machen auch vor den Ferien nicht halt.

Aber ich darf mich doch noch beschweren, wenn beim Essen im Strandrestaurant drei Filme in hoher Lautstärke laufen?

Ja, das sind grundsätzliche Anstandsregeln, da darf man auf jeden Fall darum bitten, das leiser zu stellen.

Davon abgesehen, dass es nervt – ist das gesund?

Nein. Studien zeigen, dass etwa digitale Nutzung während des Essens dazu führt, dass dieses weniger bewusst wahrgenommen und schlechter verdaut wird, was häufiger zu Übergewicht führt. Doch nicht nur beim Essen: Konsumieren Kinder unkontrolliert digitale Medien, kann das ihre Entwicklung stören, es kann zu Verhaltensauffälligkeiten kommen, sie haben mehr Mühe mit dem Spracherwerb oder mit sozialen Interaktionen.

Kann ich meinem Kind digitalen Konsum denn einfach verwehren?

Bis es drei Jahre alt ist, wäre das sinnvoll. Bis es fünf ist, reichen 30 Minuten Bildschirmzeit am Tag, von sechs bis neun Jahren maximal eine Stunde pro Tag und ab zehn Jahren für jedes Lebensjahr eine Stunde. Das wären die empfohlenen Zeiten. Davon ist die Realität aber natürlich weit entfernt. Ausserdem gilt: Jedes Kind ist anders, und Qualität bei der Bildschirmzeit ist entscheidender als Quantität.

«Lässt man Kinder ab und zu einen Film schauen, geht die Welt nicht unter.»

Sind die Kinder am Smartphone, bietet das den Eltern Entlastung und sie können die Ferien geniessen. Ist das denn so verwerflich?

Lässt man die Kinder ab und zu einen Film schauen, um ein paar ruhige Minuten zu haben, geht die Welt nicht unter. Es ist eine Frage des Masses. Und es ist ein Riesenunterschied, ob man den Umgang mit digitalen Medien gemeinsam kultiviert oder ob jeder einfach in seine Welt abdriftet.

Dürfen deine Kinder in den Ferien ans Handy?

Zurück zu den Ferien: Müssen wir einfach akzeptieren, dass das jetzt normal ist?

Nicht unbedingt. Es gibt Gegentrends, etwa Hotels, die die Gäste bewusst auffordern, das Smartphone nicht ins Restaurant mitzunehmen. Die Gesellschaft muss sich aber auf jeden Fall mit der zunehmenden Digitalisierung unseres und des Lebens unserer Kinder auseinandersetzen.

«Der Mensch braucht Entspannung, Kreativität, echte Verbundenheit und Körperlichkeit.»

Wird die Gesellschaft durch Smartphones asozialer?

Gewisse Tendenzen wie beispielsweise Hass in den sozialen Medien schwappen auch auf die Realität über, das haben Untersuchungen gezeigt. Leben viele von uns in einem konstanten Stressmodus, fördert das kein prosoziales Verhalten. Der Mensch braucht seit jeher Entspannung, Kreativität, echte Verbundenheit und Körperlichkeit. Reduzieren wir digitale Reize und sind zufriedener, können wir den Herausforderungen der Digitalisierung besser begegnen.

Was können Familien tun?

Es hilft, Regeln abzumachen – gerade so, wie man dem Kind sagt, wie viele Süssigkeiten es essen darf und dass es nicht fluchen soll. Die Kinder können je nach Alter in die Erarbeitung der Regeln eingebunden werden. Familien können den Smartphone-Gebrauch ihrer Kinder bewusst steuern und positiv nutzen. Dann braucht es kein Verbot.

Es gibt also auch guten Smartphone-Konsum in den Ferien?

Auf jeden Fall. Wenn eine Familie in den Ferien gemeinsam ein Youtube-Video anschaut, wie man eine Sandburg baut, und danach rausgeht und das tut, ist das doch super! Oder die Familie spielt am Abend eine Stunde lang das Lieblingsspiel der Tochter zusammen. 

Anna Miller ist Journalistin, Autorin und Expertin für digitale Achtsamkeit.

Anna Miller ist Journalistin, Autorin und Expertin für digitale Achtsamkeit. 

Peter Hauser


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