Staaten-BlogKleiner Staat mit grossem Herzen
Rhode Island ist der kleinste der 50. Bundesstaaten. Doch an Einfluss und Charme fehlt es dem Ocean State nicht.
Klein, aber fein! Kaum grösser als der Kanton Waadt und doch einst der Dreh- und Angelpunkt der USA. Wer nach Rhode Island reist, wird eines Tages dorthin zurückkehren. Dass die Besucher immer wieder kommen, verdankt der Küstenstaat seiner interessanten Geschichte, der friedlichen Landschaft und nicht zuletzt der ausserordentlichen Gastfreundschaft. Newport verschlägt einem sprichwörtlich die Sprache. Die imposanten und prunkvollen Herrenhäuser mit ihren riesigen Ballsälen nehmen einen mit in die Zeit der Goldenen Zwanziger. Einst waren sie Sommerresidenzen der Superreichen, heute stehen sie für ein ruhmvolles Amerika vor der Weltwirtschaftskrise von 1929. «The Breakers», ein fünf Hektar grosses Anwesen der Unternehmerfamilie Vanderbilt ist das grösste seiner Art in Newport. Der Küstenort überzeugt mit so viel Charme, dass auch ein junger Senator mit dem Namen John F. Kennedy hier 1953 eine gewisse Jacqueline Bouvier heiratete.
Einfache Menschen, die zu Berühmtheiten wurden
Obwohl Newport für Wohlstand und Macht steht, haben sich die Reichen dort auch immer mit dem Mittelstand im Staatsinneren identifiziert. Denn einst waren die Millionäre auch nicht mehr als hart arbeitende Tagelöhner. Aus diesem Grund hat sich nie eine Kluft zwischen den verschiedenen sozialen Schichten gebildet. Die ansässige International Tennis Hall of Fame erzählt die genau gleiche Geschichte. Einfache Menschen, die zu Berühmtheiten wurden. So auch Samuel Slater. Er schrieb 1793 Geschichte, als er in Pawtucket die erste mit Wasser betriebene Baumwollmühle Nordamerikas baute. Mit der Wasserkraft des Blackstone River katapultierte sich die Slater Mill an die Spitze der Industrialisierung, und die USA, damals ein Land von Bauern und Handwerkern, übernahm in der neuen Ära eine industrielle Führungsposition ein.
Fremde werden eingeladen
Bei einem köstlichen Teller frischer Miesmuscheln erzählen die Einheimischen auch gern über Slater und die Anfänge des Staates. Und zur Gastfreundschaft gehört auch das Bezahlen der Rechnung dazu, egal ob Bauer oder Broker. Providence ist die Hauptstadt des Staates. Und nirgendwo auf der Erde gibt es etwas Vergleichbares wie das Waterfire-Kunstwerk, ein Mix aus Musik und Leuchtfeuern auf den drei Flüssen, die durch das Stadtzentrum fliessen. An die 100 Leuchtfeuer schwimmen auf den Gewässern und der wohlriechende Duft von rauchendem Holz in Kombination mit den flackernden Lichtern auf den bogenförmigen Brücken und den mit Fackeln beleuchteten Schiffen bilden eine Atmosphäre von Frieden und Zusammengehörigkeit.
Die Verbundenheit zu den eigenen Mitmenschen lässt sich praktisch mit einem einzigen Ereignis noch besser verdeutlichen: Als George Luz, ein Kriegsveteran aus dem Zweiten Weltkrieg, 1998 im kleinen Örtchen Exeter zu Grabe getragen wurde, versammelten sich über 1600 Menschen am Strassenrand, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. In Rhode Island ist der Charakter eines Menschen eben mehr wert als die eigene Person. Vielleicht ist dies der eigentliche Grund, warum die Menschen wiederkommen.

USA-Kenner
Der 29-jährige Pascal Meister hat mehrere Jahre in den USA gelebt und gearbeitet. 2006 ist er die legendäre Route 66 abgefahren und hat auf seinen alljährlichen USA-Besuchen mittlerweile das ganze Land bereist. In loser Folge berichtet er über die Eigenheiten, Schönheiten und Besonderheiten der 50 Bundesstaaten.