
Wählerische Kinder können Eltern zur Verzweiflung bringen. Im Interview gibt eine Expertin Tipps und verrät Tricks rund um die Kinder-Ernährung.
Getty ImagesWählerische Kids«Man kann Kindern anbieten, das Essen erst mal nur abzuschlecken»
Wählerische Kinder können Eltern zur Verzweiflung bringen. Warum viele Kinder heikel sind, wie man einseitiger Ernährung vorbeugen kann und wann man eine Fachperson aufsuchen sollte.
Frau Pauli, warum sind manche Kinder extrem wählerisch?
Kinder haben eine natürliche Aversion gegenüber neuen Lebensmitteln. Diese angeborene Schutzfunktion war vor allem früher wichtig, damit Kinder nicht einfach losgingen und zum Beispiel giftige Pilze assen. Ausserdem haben Kinder ein ausgeprägtes Geschmacksempfinden. Sie nehmen bitter, salzig oder scharf viel intensiver wahr. Diese Geschmäcker müssen sie erst kennen lernen.
Welche Rolle spielt das familiäre Umfeld beim Essverhalten?
Kinder lernen durch Nachahmen. Isst zum Beispiel das ältere Geschwister ausgesprochen wählerisch, kann es sein, dass das kleinere – das eigentlich vielfältiger essen würde – das wählerische Verhalten abschaut. Aber auch Eltern haben eine Vorbildfunktion. Gilt in der Familie Gemüse als nicht fein und ist eine mühsame Pflicht, überträgt sich diese Haltung auf die Kinder. Und die Lust darauf sinkt entsprechend. Auch die Stimmung am Esstisch spielt eine wichtige Rolle: Die Mahlzeiten sollten für alle angenehm sein, die Kinder sollen erzählen dürfen und eingebunden werden. Schwere Erwachsenen-Themen diskutiert man besser zu einem anderen Zeitpunkt.

Zusammen am Tisch sitzen, die Kinder einbeziehen und schwere Themen vermeiden – das macht Kindern Lust aufs Essen.
Getty Images/iStockphotoWie kann man auch bei wählerischen Kindern für eine gesunde Ernährung sorgen?
Es hat sich bewährt, zur Vorspeise, etwa wenn die Kinder vom Kindergarten oder von der Schule kommen, einen Teller mit Rohkost – Cherrytomaten, geschnittene Gurken, Rüeblistängeli – anzubieten. Auch gekochte Kichererbsen als Fingerfood kommen oft gut an. Dadurch stillen die Kinder den grössten Hunger schon einmal mit gesunden Lebensmitteln. Für kleine Pasta-Fans sind Vollkorn-Teigwaren eine gute Lösung. Wenn man diese etwas länger kocht, merken die Kinder den Unterschied gar nicht. Damit nehmen sie automatisch mehr Vitamine und Ballaststoffe auf und sind länger gesättigt.
Was sollten Eltern in Sachen Kinderernährung noch beachten?
Es sollte stets ein ausgewogenes Angebot vorhanden sein. Kocht man nur noch Pasta, weil das Kind alles andere ja sowieso nicht isst, nimmt man ihm die Chance, andere Speisen kennen zu lernen. Das Kind soll also die Möglichkeit haben, verschiedene Dinge zu probieren.
Über Annina Pauli
Was kann man tun, wenn das Kind partout nicht probieren will?
Keinen Druck und Zwang ausüben, weil das schnell das Gegenteil bewirkt. Man kann anbieten, die Speise nur zu kauen, aber nicht zu schlucken, oder gar nur abzuschlecken. Das finden die Kinder lustig und lernen dadurch den Geruch, den Geschmack und die Konsistenz kennen und gewöhnen sich daran. Sitzen mehrere Kinder am Tisch, kann man auch eine kleine Challenge veranstalten: Wer probiert am meisten aus?
Und plötzlich haben die Kinder etwas gern?
Ja, tatsächlich braucht es zwölf bis 15 Versuche, bis man etwas überhaupt gern mag. Durch das Probieren lernen die Kinder neue Geschmäcker kennen – und schätzen. Und dafür haben sie die ganze Kindheit über Zeit. Man hat oft das Gefühl, sie müssten das von Anfang an einfach können. Dabei muss Essen genauso gelernt werden wie andere Dinge auch.
Bist du selbst wählerisch?
Sind Aussagen wie «Wenn du das nicht isst, gibt es auch kein Dessert!» noch zeitgemäss?
Das empfehle ich gar nicht! Dadurch lernt das Kind: «Erbringe ich eine gewisse Leistung, bekomme ich eine Belohnung in Form von etwas Süssem», und das führt dann im Erwachsenenalter oft zu emotionalem Essen. Man kann aber etwa variieren, dass es Dessert nicht jedes Mal nach dem Zmittag gibt. Das verhindert, dass die Kinder vielleicht extra wenig essen und nur auf das Dessert warten.

Wenn Kinder beim Einkaufen und Kochen helfen können, zeigen sie oft mehr Interesse und Freude am Essen.
Pexels/Kampus ProductionWie kann man Kinder sonst noch für gesunde Ernährung begeistern?
Viele Kinder lieben es, beim Einkaufen und beim Zubereiten dabei zu sein. Das erhöht das Interesse am Essen sowie die Bereitschaft, Neues zu probieren. Sie können selbst ein paar Cherrytomaten oder Snack-Gurken anpflanzen – das eigene Gemüse zu essen, macht mehr Spass.
Und wenn alles nichts nützt und das Kind nur einseitig isst?
Dann kann man die Hilfe einer Fachperson in Anspruch nehmen und herausfinden, was man tun kann, um eine ausgewogene Ernährung zu etablieren. Das kann man übrigens auch präventiv tun, wenn man Fragen hat, in manchen Belangen unsicher ist oder Impulse für den Alltag braucht.
Wann muss man sich Hilfe von einer Ärztin oder einem Arzt holen?
Wenn es Entwicklungsverzögerungen bei Grösse und Gewicht gibt oder wenn das Kind nicht mehr fit ist und der Allgemeinzustand nicht gut ist, würde ich die Kinderärztin oder den Kinderarzt darauf ansprechen. Auch Verstopfung kann ein Hinweis sein. Sie kommt vor, wenn das Kind zu wenig trinkt oder zu wenig Nahrungsfasern – also Gemüse oder Vollkornprodukte – isst.
Was sind deine Erfahrungen mit wählerischen Kindern?
Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine Essstörung?
Hier findest du Hilfe:
Fachstelle PEP, Beratung für Betroffene und Angehörige
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Elternberatung, Tel. 058 261 61 61