Richter rät M.A. und Anwalt, die Strategie zu ändern

Livetickeraktualisiert am Donnerstag, 13. Juni, 2024

Mordprozess BernRichter rät M.A. und Anwalt, die Strategie zu ändern

Anfang Februar 2022 wurde die achtjährige E.A. tot in einem Wald bei Niederwangen aufgefunden. Nun muss sich die Mutter wegen Mordes vor Gericht verantworten. 20 Minuten berichtet live.

Anwohnerinnen und Anwohner errichteten für das verstorbene Mädchen eine kleine Gedenkstätte. Aufgenommen am 3. Februar 2022 in Köniz.

20min

Darum gehts

  • Die achtjährige E.A.* wurde am 1. Februar 2022 tot im Könizbergwald bei Niederwangen (Gemeinde Köniz) aufgefunden.

  • Die Staatsanwaltschaft wirft der Mutter M.A. (32) vor, ihre Tochter mit einem schweren Stein getötet zu haben.

  • Diese Woche muss sich die Beschuldigte wegen Mordes, eventuell vorsätzlicher Tötung, vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland verantworten.

Deine Meinung zählt

Donnerstag, 13.06.2024
11:21

«Sehr zufriedenstellend»

«Ein Fall mit einem toten Kind lässt niemanden emotionslos zurück», sagt die Staatsanwältin. Das Gerichtsurteil erachtet sie als «sehr zufriedenstellend», wie sie im Interview mit 20 Minuten erklärt:

11:17

«Absolute Katastrophe»

Wenig überraschend ist der Verteidiger der Angeklagten mit dem Urteil nicht einverstanden. Das sagt er im Interview mit 20 Minuten:

10:14

Mindestens 15 Jahre Haft

Zur Erinnerung: «Lebenslänglich» heisst im Schweizer Strafrecht nicht, dass die Täterin oder der Täter ans Lebensende im Gefängnis bleibt. Frühestens nach 15 Jahren ist eine bedingte Entlassung möglich.

Die Beschuldigte M.A. muss zudem für die Verfahrenskosten von rund 200'000 Franken aufkommen.

Zum Schluss rät der Gerichtspräsident der Angeklagten bzw. ihrem Verteidiger, die Strategie zu überarbeiten: «Wenn es etwas gibt, das zu Ihren Gunsten spricht, dann sollten Sie das spätestens vor Obergericht sagen.»

Damit ist die Verhandlung geschlossen. Danke fürs Mitlesen!

10:12

«Krass egoistisch»

«Für uns besteht kein Zweifel, dass die Beschuldigte gegen 16:45 Uhr aus der Wohnung zum geheimen Ort in den Wald gelaufen ist», sagt der Gerichtspräsident.

Klar sei auch, dass der acht Kilo schwere Stein eingesetzt wurde, um dem Mädchen schwerste Kopfverletzungen zuzufügen. «Wir hoffen, dass E. schnell bewusstlos wurde und keine Schmerzen hatte, bevor sie gestorben ist.»

Es gebe nie einen guten Grund, sein Kind zu töten. In anderen Fällen seien Gründe gewesen, dass Mütter das Geschrei des Kindes nicht ausgehalten haben oder verhindern wollten, dass die Kesb sie fremdplatziert.

M.A. sei klar gewesen, dass ihre Tochter in ihrer Beziehung ein Störfaktor gewesen sei, so der Richter weiter. Sie habe E. zwar geliebt, aber ihr Leben als alleinerziehende Mutter sei anstrengend gewesen. Den Anforderungen als Mutter sei sie nicht gerecht geworden. Die Beweggründe, ihre Tochter zu töten, seien «krass egoistisch» gewesen. Sie sei heimtückisch vorgegangen, indem sie die Tochter ins Versteck gelockt und sie mit einem schweren Stein erschlagen habe.

09:58

«Wusste, wos langgeht»

Der Fundort, das Versteck im Wald, spreche ebenfalls dafür, dass sich der Zwölfjährige nicht getäuscht habe. So habe er ausgesagt, M.A. sei vor ihrer Tochter  gelaufen. Es müsse also eine Frau gewesen sein, die den Weg zum Versteck habe kennen müssen und «die wusste, wos langgeht», so der Richter.

Die Mutter habe nach dem Fund der leblosen Tochter ein seltsames Verhalten an den Tag gelegt, so der Richter weiter. So habe sie 15 Meter von der Tochter entfernt auf die Polizei gewartet. Sie habe Angst gehabt, dass ihr etwas angetan werden könnte.

Die Aussagen der Beschuldigten zum Stein seien ebenfalls merkwürdig bzw. nicht konzise gewesen. Mal habe sie ausgesagt, sie habe ihn mehrmals umplatziert, dann wieder das Gegenteil. Dass nur eine DNA-Nebenkomponente der Beschuldigten auf dem Stein gefunden wurde, weise darauf hin, dass sie diesen nur am Tatabend benutzte (und die Geschichte, dass sie ihn für ihre Tochter ins Versteck getragen und immer wieder umplatziert hat, eine Lüge ist).

09:52

Der Zeuge

Nun kommt der Gerichtspräsident auf den zwölfjährigen Kronzeugen zu sprechen, der die Beschuldigte mit ihrer Tochter gesehen haben will, wie sie zusammen in den Wald gehen. Entscheidend sei die Geburtsstunde seiner Aussage. Wann hat er zum erstem Mal die Aussage gemacht? Dies sei tags darauf gegenüber einer Nachbarin im Bus gewesen.

Im Bus erzählte der Bub tags darauf einer Nachbarin, wann genau er die beiden gesehen hat, dies sei «wie aus der Pistole geschossen» gekommen. «Seine Aussagen sind konstant, sowohl bezüglich Zeit als auch den Personen, die er an diesem Tag gesehen hat», so der Gerichtspräsident.

Er habe die Beschuldigte durchaus gut beschreiben können, so der Richter. So habe er etwa ausgesagt, sie habe viele Piercings im Gesicht. Zur Erinnerung: Der Verteidiger warf dem Zeugen vor, nicht gewusst zu haben, welche Kleidung die Beschuldigte trug.

09:34

Lebenslänglich!

Das Gericht verurteilt M.A. wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe!

«Es kann nicht nur so gewesen sein, es muss so gewesen sein», sagt der Gerichtspräsident in Bezug auf den von der Staatsanwältin geschilderten Tatablauf. Man habe diverse Beweismaterialien wie Chatprotokolle oder Handy-Standortdaten ausgewertet. Vor allem Letztere würden zeigen, dass die Beschuldigte am Tatabend im Wald gewesen sei.

M.A. habe bei der polizeilichen Einvernahme wie auch vor Gericht nicht die Wahrheit gesagt, kommt das Gericht zum Schluss. So habe M.A. behauptet, mehrmals zwischen dem 24. Januar und dem 1. Februar beim Hüttli im Wald gewesen zu sein. Das stimme nachweislich nicht.

09:32

Einlass

Der Saal füllt sich, es geht los ...

Mittwoch, 12.06.2024

Urteil

Das Urteil wird am Donnerstagmorgen um 9.30 Uhr verkündet.

Donnerstag, 06.06.2024
12:25

Ende

Damit ist die Verhandlung geschlossen. Das Urteil wird nächsten Donnerstag verkündet. Vielen Dank fürs Mitlesen!

12:24

Letztes Wort

Wie immer hat die Beschuldigte das letzte Wort. «Ich habe grosse Hoffnung in das Gericht. Ich habe meine Tochter nicht umgebracht, ich habe sie über alles geliebt.»

12:19

«Polizei setzte alle Hebel in Bewegung»

Die Lage der DNA-Spur auf dem Stein sei weiter perfekt vereinbar mit der Tat. Seine poröse Fläche und die Witterung erklärten ausserdem, warum nicht mehr DNA-Spuren der Mutter auf dem Stein gefunden worden seien.

Die Polizei habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, in alle Richtungen ermittelt und sich keineswegs von Anfang an auf Beschuldigte eingeschossen, so die Staatsanwältin. Bloss könne man eben nur gegen Personen ermitteln, die auch ernsthaft in Verdacht geraten seien. Doch solche habe es im vorliegenden Fall nicht gegeben.

12:10

«Hilfloser Versuch»

Nun darf die Staatsanwältin auf den Parteivortrag des Verteidigers reagieren.

Die Kritik am zwölfjährigen Zeugen bezeichnet sie «hilflosen Versuch», diesen zu diskreditieren. Bei seinem Treffen mit der Beschuldigten und ihrer Tochter habe es sich um eine unverfängliche Situation gehandelt. «Da ist klar, dass man sich nicht an jedes Details erinnert», sagt die Staatsanwältin. «Es befremdet mich, dass man einen Teenager derart diskreditiert», kritisiert sie den Verteidiger.

11:52

Kurze Pause

Nun gibt es eine kurze Pause.

11:45

«Kein Mosaik, sondern ein Scherbenhaufen»

Es treffe zwar zu, dass seine Klientin ihren (bis zum Tod ihrer Tochter letzten) Ex-Freund zurückhaben wollte. Der Grund für die Trennung sei aber nicht das Kind gewesen, sondern fehlende Gefühle. Der Ex habe zwar keine eigenen Kinder gewollt, E.A. jedoch habe er «geliebt», so der Verteidiger. Sein Fazit: E.A. sei nie als Hindernis wahrgenommen worden.

Der Verteidiger kommt auf seine Anfangsfrage zurück: «Was ist schlimmer: Unschuldige zu bestrafen oder Schuldige davonkommen zu lassen?» Seine Antwort: «Es macht keinen Unterschied.»

Die Indizienlage sei anders, als von der Staatsanwältin bezeichnet, «kein Mosaik, sondern ein Scherbenhaufen», sagt der Anwalt. Damit schliesst er sein Plädoyer.

11:30

«Ihr Ein und Alles»

Als Motiv vermutet die Staatsanwaltschaft, dass die Angeklagte ihre Tochter als ein Hindernis betrachtete – insbesondere im Hinblick auf Partnerschaften und die Befriedigung eigener Bedürfnisse («Partyleben»).

Der Verteidiger wendet ein, E.A. sei für die Beschuldigte ihr «Ein und Alles» gewesen. Zeugen hätten von einem «sehr guten Mutter-Tochter-Verhältnis» mit viel Liebe gesprochen. Chats würden ausserdem zeigen, dass die Beschuldigte immer zuerst abgeklärt habe, wer auf das Kind aufpassen kann, ehe sie ausgegangen sei.

«Obwohl das Kind ungewollt entstanden ist, war es nie unerwünscht», so der Verteidiger.

11:18

Merkwürdiges Verhalten von Ex?

Laut Staatsanwaltschaft gibt es keine Hinweise auf eine Dritttäterschaft. «Hat man überhaupt jemand anderes gesucht? Die Frage lässt sich klar mit Nein beantworten», sagt der Verteidiger dazu.

Ein früherer Ex-Freund, der sich im Streit von M.A. getrennt hatte, habe sich nach dem Versterben von E.A. – zwei Jahre nach Ende der Beziehung – plötzlich wieder bei der Beschuldigten gemeldet, sich «übertrieben versöhnlich» gezeigt und mehrmals den Tatort im Wald aufgesucht. Ihn hätte man laut dem Verteidiger «weiter durchleuchten» müssen.

Weiter sei eine Person beobachtet worden, wie sie verdächtig um die Kita geschlichen sei.

«Wenn die Untersuchung auf eine Person beschränkt wird, findet man auch niemand anderes», sagt der Verteidiger.

11:01

Umstrittene Google-Suche

Die Beschuldigte googelte am 28. Januar 2022, vier Tage vor der Tat: «Wann wird es dunkel?» Die Staatsanwältin wertet dies als Vorbereitung für die Tat. Der Verteidiger argumentiert dagegen, die Beschuldigte habe ihrer Tochter mehrmals geschrieben, sie müsse beim Eindunkeln nach Hause kommen. Das Kind habe die Uhrzeit noch nicht ablesen können.

10:45

Stein ist «Sackgasse»

Die Tötung mittels Stein müsste laut dem Verteidiger Spritzspuren auf den Kleidern des Angreifers hinterlassen haben. Doch solche Spritzspuren seien nicht gefunden worden, argumentiert er.

Auch die DNA-Kontaktspur der Mutter auf dem Stein lässt der Verteidiger nicht als belastendes Indiz gelten. Seine Mandantin habe nie bestritten, dass sie den Stein mehrfach angefasst habe – nämlich, weil sie ihn mehrmals im Versteck umplatziert habe. Wann genau aber dies gewesen sei, darüber gäben die Spuren keinen Aufschluss. «Der grosse Stein ist eine Sackgasse», folgert der Verteidiger.

Ferner gehe aus dem Bericht der Rechtsmedizin klar hervor, dass es noch weitere Tatwaffen gegeben haben müsse. Nach diesen hätten die Ermittler aber nicht weiter gesucht, kritisiert er.

10:25

«Versteck» sei auch anderen bekannt gewesen

Anders als von der Staatsanwältin behauptet, sei das Versteck nicht nur Mutter und Tochter bekannt gewesen, so der Verteidiger weiter. Zeugenaussagen würden zeigen, dass auch andere Kinder von dem Unterschlupf gewusst hätten. Ausserdem sei im Quartier bekannt gewesen, dass E.A. gerne «herumstreunte» und manchmal alleine in den Wald gegangen sei.

E.A. sei laut Aussagen aus dem Umfeld ein zutrauliches Kind gewesen, das gerne Leute um sich herum gehabt habe, egal, ob es sich dabei um Bekannte oder Fremde gehandelt habe. So sei durchaus möglich, dass sie auf halbem Weg in den Wald jemanden – will heissen einen mutmasslichen Täter – getroffen habe, folgert der Verteidiger.

09:52

Kurze Pause

Es gibt eine kurze Pause. Um 10.15 Uhr geht es weiter.

09:43

«Echte Mutter-Tochter-Beziehung»

Diverse Chats würden belegen, dass seine Klientin und das Opfer eine «echte, gelebte Mutter-Tochter-Beziehung» gehabt hätten. Ausserdem sei das Kind bereits Monate vor ihrem Tod allein draussen unterwegs gewesen – auch nach Einbruch der Dunkelheit. Oft sei es nicht direkt nach der Schule nach Hause gekommen. Einmal habe gar die Polizei kommen müssen, weil E.A. längere Zeit verschwunden war.

Folglich sei durchaus möglich, dass E.A. auch am Abend ihres Todes alleine bzw. ohne ihre Mutter in den Wald ging.

09:30

Wollte er Aufmerksamkeit?

Der Verteidiger kommt zurück auf den Kronzeugen. Es habe eine Kesb-Meldung gegeben, laut der er in der Schule herumerzählte, er habe das Mädchen selbst getötet. Zudem habe die Lehrerin des Zwölfjährigen nicht beantworten können, ob der Bub Realität und Fiktion klar unterscheiden könne.

Auch das spricht für den Anwalt klar dafür, dass es dem Bub primär darum gehe, Aufmerksamkeit zu bekommen. Letztlich sei der Beweiswert seiner Aussagen derart schwammig, dass die Ermittler «das Wenige, das man von ihm bekommen hat, nicht in Frage stellen wollte».

09:23

Kritik an Handyauswertung

Laut Auswertung hat die Beschuldigte ihr Handy zwischen 15.59 und 16.43 Uhr zehn Mal bedient, aber zwischen 16.43 und 17.40 Uhr gar nicht – und genau in dieser Zeit soll M.A. gesehen worden sein, wie sie mit der Tochter in den Wald ging. Seine Klientin habe in besagter Stunde schlicht keine Nachricht erhalten. «Es gab also keinen wichtigen Grund, auf das Handy zu schauen.»

Bei der Handyauswertung habe er mehrere Widersprüche gefunden, so der Verteidiger. So habe es auch am Tatmorgen einen Zeitraum ohne Aktivität gegeben. Dazwischen aber sei Spotify gestartet worden. «Wie kann das ohne angezeigte Aktivität sein?»