Kollektivstrafe«Gehts noch?!» – Bundeshaus-Polizisten dürfen nicht mehr sitzen
Die Bundespolizisten, welche die Eingänge zum National- und Ständerat bewachen, dürfen neuerdings nicht mehr sitzen. Zwei Beamte haben sich bereits krankschreiben lassen. «Gehts noch?!», ärgert sich SP-Nationalrätin Badran.
Darum gehts
Seit kurzem dürfen die im Bundeshaus arbeitenden Bundespolizisten nicht mehr sitzen, weil einer von ihnen Zeitung gelesen hat.
Manche der eingesetzten Polizisten sind in fortgeschrittenem Alter. Die ersten Beamten haben sich krankschreiben lassen und klagen über Schmerzen.
Politiker von links bis rechts verwerfen die Hände und verlangen eine Rückkehr zum alten Regime.
Die Parlamentsdienste erklären, dass sitzende Personen in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt seien.
Der Vize-Präsident des Nationalrats hat eine Idee für eine Lösung.
Das Bundeshaus ist gut bewacht. Mehrere Polizistinnen und Polizisten des Bundesamtes für Polizei Fedpol sorgen für die Sicherheit im Gebäude. Auch die Bewachung der Zugänge zur Wandelhalle und zu den Vorzimmern des Ständerates während der Sessions des Parlaments gehört zu ihren Aufgaben. Vier Leute sind dafür jeden Tag im Einsatz.
Bisher hatten diese Polizistinnen und Polizisten einen eher ruhigen Job. Sie sassen an einem Pult und achteten darauf, dass nur Zutrittsberechtigte an ihnen vorbeiliefen. Dabei handelt es sich um Politiker, Journalisten und Lobbyisten – Zwischenfälle gibt es selten. Doch seit einer Woche ist alles anders.
«Ich habe jeden Tag Schmerzen»
Dem Vernehmen nach hat der Generalsekretär der Parlamentsdienste, Philippe Schwab, persönlich einen Bewacher beim Zeitungslesen erwischt. Schwab reagierte unzimperlich und erliess einen «Steh-Befehl» für die Herbstsession, die seit anderthalb Wochen in Bern stattfindet und noch einmal so lange dauert.
Um den Befehl durchzusetzen, liess Schwab den Polizistinnen und Polizisten sogar die Bürostühle wegnehmen. Seither müssen die Beamten bis zu acht Stunden am Stück stehen – einzig unterbrochen von den gesetzlich vorgeschriebenen Pausen. Die Betroffenen empfinden die Massnahme als Gängelei und Geringschätzung ihrer Arbeit und Person.
Da an diesem Wachposten auch ältere Polizistinnen und Polizisten eingesetzt würden, deren körperliche Fitness altersbedingt leicht nachgelassen habe, sei das Leiden gross, berichten mehrere Betroffene anonym gegenüber 20 Minuten. Sie klagen über schmerzende Füsse, Knie und Hüften. Da der Dienst drei Wochen am Stück dauere, könne man sich von einem Tag auf den nächsten nicht einmal erholen, so die Betroffenen weiter. Jemand sagt: «Ich habe jeden Tag Schmerzen.»
Zwei Betroffene haben sich aufgrund der Strapazen offenbar bereits krankschreiben lassen. Weitere überlegen, diese Position künftig abzulehnen oder den Dienst zu verweigern.
Karin Burkhalter, Mediensprecherin der Parlamentsdienste, bestätigt die neue Regelung. «Es gehört zu den Aufgaben der Sicherheitsbehörden, bestehende Prozesse laufend auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen», erklärt sie. So seien «die in der Sommersession gemachten Rückmeldungen zum sitzenden Sicherheitspersonal ernst genommen» und in die Sicherheitsüberlegungen einbezogen worden.
Musst du bei deiner Arbeit auch lange stehen?
«Eine sitzende Person ist in ihrer Beweglichkeit und Reaktionsgeschwindigkeit eingeschränkt und kann deshalb in gewissen Situationen ihre Aufgabe nicht vollumfänglich erfüllen», begründet Burkhalter. Einsätze im Stehen seien für geschultes Sicherheitspersonal nichts Ungewöhnliches.
«Regelmässige Rotation, Pausen und Erholungszeiten sind Bestandteil einer umsichtigen und professionellen Einsatzplanung», so die Sprecherin weiter. Damit werde dem Gesundheitsschutz Rechnung getragen. Eine Anfrage beim Bundesamt für Polizei, Fedpol, wurde praktisch wortgleich beantwortet.
«Gehts noch?!»: Links und Rechts sind empört
Jacqueline Badran, SP-Nationalrätin aus Zürich, zeigt sich empört über den Steh-Befehl des Generalsekretärs der Parlamentsdienste. «Wir sind doch nicht im Mittelalter. Kollektivstrafen, die erst noch nutzlos sind, sind doch komplett daneben. Gehts noch?!», fragt sie rhetorisch.
Auch die Aargauer SVP-Nationalrätin Martina Bircher ist irritiert. «Ich finde das schikanös. Ich erwarte, dass der Steh-Befehl rückgängig gemacht wird.» Die Chancen dazu stehen gut, wie 20 Minuten weiss.
SP-Nationalrat Eric Nussbaumer ist aktuell Vize-Präsident des Nationalrats und Delegierter für den Kontakt zu den Parlamentsdiensten. Am Mittwoch findet eine Sitzung statt, wo Nussbaumer die Situation regeln will. «Ich werde dafür sorgen, dass die Polizistinnen und Polizisten wieder angenehm arbeiten und gleichzeitig ihre Sicherheitsfunktion gut wahrnehmen können», verspricht der Baselbieter.
Wie genau eine Lösung aussehen könnte, ist unklar. Dem Vernehmen nach ist ein Kompromiss mit Stehstühlen denkbar.
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