Kolumne: Als Deutsche in der Schweiz

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Kolumne«Chum i nöd drus»: Warum die Schweiz mir als Deutscher ein Rätsel ist

2023 hat Redaktorin Letizia Vecchio ihrer Heimatstadt Köln den Rücken gekehrt und ist nach Zürich gezogen – und staunt seither jeden Tag aufs Neue über den eidgenössischen «Way of Life».

Wird das doch noch was mit der deutsch-schweizerischen Freundschaft? Redaktorin Letizia würde es zumindest freuen.
Hunderte Menschen stehen für eine Swatch-Uhr an. Letizia kanns nur schwerlich verstehen.
Dafür liebt sie die Stadt Zürich umso mehr: «Jeder Tag, an dem ich den See sehe, ist ein guter Tag.»
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Wird das doch noch was mit der deutsch-schweizerischen Freundschaft? Redaktorin Letizia würde es zumindest freuen.

20min/ Michael Scherrer

Eines vorneweg: Ich liebe die Schweiz und bin sehr glücklich darüber, hier leben und arbeiten zu dürfen. Jeder Tag, an dem ich am Bellevue vorbei Richtung Bürkliplatz zur Arbeit fahre und links von mir den Zürichsee in der Sonne glitzern sehe, ist ein guter Tag. Es ist das Paradies auf Erden, denke ich so oft. Aber dieser Garten Eden ist für mich manchmal dann doch eher ein Irrgarten.

Swatch-Uhren sind hässlich  – oder?

Ein Beispiel: Neulich lästerte ich auf der Arbeit über die neuen Swatch-Uhren, die meiner Meinung nach so gar nicht zum Klischee des edlen Schweizer Uhrenhandwerks passen. Mit ihrem Plastikgehäuse sehen sie aus wie das obligatorische Gratis-Geschenk aus dem Mickey-Mouse-Magazin. Ich werde nie verstehen, dass Menschen dafür stundenlang vor den Stores anstehen und mehrere hundert Franken bezahlen.

Eine typisch teutonische Kolumne

Warum braucht ein so kleines Land 26 verschiedene Kantone? Warum kriege ich wütende Leserbriefe, wenn ich «Eis» statt «Glace» schreibe? Und warum gibt es hier einen Schutzpatron vor Erbschleicherei? Ein Land, unendlich viele Fragezeichen.

In ihrer Kolumne «Chum i nöd drus» versucht unsere Redaktorin Letizia Vecchio in unregelmässigen Abständen, Antworten auf diese und viele weitere Fragen zu finden. Sie berichtet darüber, wie es sich als Migrantin «aus dem grossen Kanton» in der Eidgenossenschaft so lebt. Etwas provokant, aber immer mit einem Augenzwinkern.

Die Stille, die im Grossraumbüro plötzlich eintritt, bemerke ich gar nicht und plappere weiter munter drauf los: «Also echt, diese Uhren sind doch ein reiner Marketing-Gag!» Irgendwann entgegnet ein Kollege, als ich gerade eine Atempause mache: «Deine Apple Watch ist aber auch nicht grad schön!» Ich schliesse den Mund wieder. Ups! Bin ich ihm jetzt auf den Schlips getreten? Trägt er unter seinem Hemd eine Swatch-Uhr? Ich ärgere mich über mich selbst. Da habe ich wohl wieder einmal ein Fettnäpfchen erwischt.

Meinung sagen nur mit Erlaubnis

Dass der Kollege überhaupt etwas sagte, ist ja eher unüblich. Meist wird mir meine Art nicht gespiegelt. Erst, wenn man sich selbst problematisiert, erntet man Zustimmung. Jedes Mal, wenn ich den Satz «Wir Deutschen sind ja zu direkt» fallen lasse, kommt wie aus der Pistole geschossen: «Ja, das seid ihr auch!» Ich finde, das ist typisch Schweizerisch: Man hält sich zurück, nur wenn jemand das Eis bricht, tut man seine Meinung kund.

Es gibt also noch einiges zu lernen. Dabei wollte ich doch eine gute Ausländerin sein und habe mich darauf vorbereitet. Bevor ich in die Schweiz kam, haben mir deutsche Freunde mit Schweiz-Erfahrung mit Nachdruck eingehämmert: «Die Schweiz ist kein kleines Deutschland!»,  «Du bist dort zu Gast, benimm dich auch so!» oder «Deutsche mag man dort nicht besonders, besser, du stellst deine italienischen Wurzeln in den Vordergrund!» Kurz gesagt: Ich müsse mir Mühe geben, nicht in die Fussstapfen des schlechten Eindrucks zu stapfen, die viele meiner Landsleute bereits bei den Schweizern hinterlassen haben.

Ich will doch nur eine «gute Ausländerin» sein

Also gebe ich mir Mühe: Bloss nicht anecken, bloss nicht als ungehobelte Deutsche daherkommen, die in der Schweiz die Besserwisserin spielt. Mal gelingt das, oft eben auch nicht. Ich kann halt auch nicht ganz raus aus meiner Haut – und Sozialisation. Auch wenn die Schweiz und Deutschland kulturell gesehen nicht in unterschiedlichen Universen angesiedelt sind, so bewegen sich die Länder eben auch nicht auf derselben Umlaufbahn. Oft denke ich mir einfach nur: «Chum i nöd drus.»

Wie findest du Swatch-Uhren?


Lebst du als Ausländer in der Schweiz und «chunsch au nöd drus»? Oder bist du Schweizer und bist irritiert von der typisch deutschen Art? Dann schreib mir an letizia.vecchio@20minuten.ch!

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