Nachhaltiger Umgang mit Baubeständen: Umnutzung vor Abriss

Aktualisiert

KreislaufwirtschaftBauteiljäger sagen der Verschwendung beim Bauen den Kampf an

Bauen verursacht extrem hohe Emissionen. Darum bemühen sich Unternehmen wie Zirkular darum, Bauteile wiederzuverwenden oder zu rezyklieren. Doch es werde zu vieles abgerissen, was noch umgenutzt, umgebaut oder erweitert werden könnte, sagt Pascal Hentschel.

Unternehmen wie Zirkular beschäftigen Bauteiljäger, die nach alten Bauteilen suchen, die man wiederverwerten kann.
Pascal Hentschel, Architekt und Mitglied der Geschäftsführung von Zirkular, setzt sich für zirkuläres Bauen und neue Kreislaufmodelle ein.
Eine kleine Auslegeordnung wiederverwendbarer Bauteile.
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Unternehmen wie Zirkular beschäftigen Bauteiljäger, die nach alten Bauteilen suchen, die man wiederverwerten kann.

Martin Zeller

Darum gehts

Was ist Zirkular?

Pascal Hentschel: Wir sind ein Fachplanungsbüro und Pionier für das Bauen im Kreislauf. Unser Team begleitet und berät von Zürich und Basel aus Projekte, fördert die Forschung und Ausbildung und unterstützt ein Netzwerk von Spezialistinnen und Spezialisten im nachhaltigen Bauen.

Wie funktioniert das Geschäft?

Wir sind ein Unternehmen, das Planungs- und Beratungsleistungen bezogen auf Kreislaufwirtschaft anbietet und dementsprechend auch Gewinn machen muss. Jedoch investieren wir diese Gewinne direkt wieder in die Entwicklung neuer Kreislaufmodelle und -massnahmen.

Was ist ein Bauteiljäger oder eine Bauteiljägerin?

Eine Bauteiljägerin sucht und vermittelt Bauteile, die normalerweise rückgebaut und entsorgt werden, damit sie in neuen Projekten wiederverwendet werden können. Zuerst wird ein Anforderungskatalog für das gesuchte Bauteil, zum Beispiel einen Stahlträger, bestimmt. Anschliessend sucht die Bauteiljägerin in den von uns inventarisierten Rückbauten und Quellen. Findet sich der entsprechende Träger, wird dieser dem Projekt vermittelt.

Wie gross ist der Anteil an recyclefähigem Material?

Zuerst muss ich betonen: Das Weiterbauen und der Erhalt des Bestands sind gegenüber dem Rückbau mit anschliessender Wiederverwendung immer nachhaltiger. Als erste Kreislaufmassnahme muss der Bestand so lange wie möglich erhalten bleiben. Ist das nicht möglich, folgen die weiteren Schritte. Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen Wiederverwendung und Rezyklieren. Unter der Wiederverwendung verstehen wir die schonende und qualitätserhaltende Demontage von ganzen Bauteilen bei Umbau- oder Rückbauarbeiten zum Zweck der weiteren Verwendung. Das heisst, ein Betonelement wird rückgebaut und in gleicher Funktion in einem neuen Projekt wieder eingebaut.

Und Rezyklieren?

Beim Rezyklieren wird das Bauteil zerstört und als neuer Baustoff wieder eingesetzt. Das heisst, das Betonelement würde zerkrümelt und als Recyclingbeton wieder neu eingesetzt werden. Rezyklieren spart gegenüber der direkten Wiederverwendung viel weniger Emissionen ein. Wir zielen also ganz klar auf die Wiederverwendung. Der Anteil, der wiederverwendet werden kann, ist dabei sehr stark vom Baujahr, der Art des Baus und dem Material abhängig. Bei einem hochwertigen Industriebau aus Stahl sind im besten Falle 40 Prozent der Bauteile wiederverwendbar, bei einer Wohnsiedlung aus den 1970er-Jahren bestenfalls fünf Prozent. Die Wiederverwendung allein löst die Emissionsprobleme der Bauwirtschaft also nicht. Aber sie entschärft die gegenwärtig in der Bauwirtschaft laufende Ressourcenverschwendung.

Alle reden von Wohnungsnot, alle reden von der Baubranche. Gerade in Zürich wird geklotzt statt gekleckert, da der Wohnraum knapp ist. Wird da noch an die Nachhaltigkeit, wird da an zirkuläres Bauen gedacht?

Wir stehen hier als Gesellschaft vor einem Zielkonflikt. Gerade in den urbanen Zentren herrscht Wohnungsnot, die wir nicht nur mit dem Bestand lösen können. Gleichzeitig wissen wir, dass durch die Bauwirtschaft in der Erstellung von Bauwerken rund zehn Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen anfallen. Hier sind wir alle gefordert. Zum einen müssen wir besser lernen, die Bestandsbauten zu lohnenden Wohnbauten zu transformieren. Zum anderen müssen wir durch eine Vielzahl an Möglichkeiten, sei es die Kreislaufwirtschaft oder der Einsatz von emissionsarmen Bauteilen wie z. B. Holz und Lehm, die neuen Gebäude möglichst nutzungsflexibel und emissionsarm erstellen.

Die Nachhaltigkeit ist überall angekommen. Wie weit sind wir tatsächlich in der Baubranche?

Es ist sicher ein Wandel festzustellen. Kein namhaftes Architekturbüro und kein grosser Investor kann es sich heute leisten, seine Projekte nicht auch in Bezug auf die Nachhaltigkeit zu planen und umzusetzen. Dabei gibt es Pioniere, die mutig und klug vorangehen und ihren Beitrag in Bezug auf die Herausforderungen leisten. Das ermöglicht anderen, diesem Beispiel zu folgen. Es ist für die Baubranche fünf vor zwölf, aber wir sind optimistisch, dass wir die Zielsetzungen in Bezug auf die Emissionen mit engagiertem Einsatz umsetzen können.

Sind wir so weit, dass Investoren in der Schweiz auf Kreislaufwirtschaft pochen?

Wir arbeiten mit einer grossen Zahl an unterschiedlichen Investorinnen und Investoren zusammen. Gerade auch die Verankerung der Kreislaufwirtschaft in den gängigen Labels führt verstärkt dazu, dass die Investoren nicht darum herumkommen, Massnahmen zur Kreislaufwirtschaft in ihren Projekten umzusetzen. Im Sommer letzten Jahres haben sich zwölf der grössten öffentlichen und privaten Bauauftraggeber in der Schweiz zur Kreislaufwirtschaft bekannt, in der «Charta kreislauforientiertes Bauen». Wir werden in den nächsten Jahren sehen, wie ernst das gemeint ist und was tatsächlich umgesetzt wird.

Weitere Informationen unter Zirkular.net.

Wie sollten wir auf die Herausforderungen der Wohnungsnot und des nachhaltigen Bauens reagieren?

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