Kunstkrimi um die wahre «Mona Lisa»

Aktualisiert

«Isleworth Mona Lisa»Kunstkrimi um die wahre «Mona Lisa»

Sie ist grösser, jünger und sie wirkt fröhlicher. Aber stammt diese «Mona Lisa» wirklich von da Vinci? Eine Schweizer Stiftung will jetzt den Beweis antreten.

von
Daniel Huber

Die «Mona Lisa» aus dem Louvre (l.) und die «Isleworth Mona Lisa» (r.)

(Bilder: Wikipedia.org / The Mona Lisa Foundation)

Heute um 15 Uhr enthüllt der ehemalige Schachweltmeister Anatoli Karpow im Genfer Hotel Beau Rivage ein Gemälde, das Geschichte – zumindest Kunstgeschichte – schreiben könnte: die «Isleworth Mona Lisa» (20 Minuten Online berichtet live). Dieses Porträt zeigt unverkennbar dieselbe Frau wie Leonardo da Vincis berühmtestes Gemälde, das im Pariser Louvre hängt.

Das Lächeln ist in der Tat beinahe identisch, doch die «Isleworth Mona Lisa» sieht wesentlich jünger aus als die Frau auf Leonardos Meisterwerk. Es soll sich denn auch um Leonardos erste Version des wohl berühmtesten Porträts der Welt handeln, sagt die in Zürich ansässige Mona Lisa Foundation, die im Besitz des Gemäldes ist. Sie hat eine Reihe von namhaften Kunstexperten aufgeboten, darunter Alessandro Vezzosi, Direktor des Museo Ideale Leonardo da Vinci in Vinci und Carlo Pedretti vom Armand Hammer Center for Leonardo Studies der University of California. Sie sollen in Genf historische und wissenschaftliche Beweise für diese These vortragen (20 Minuten Online berichtete).

Pulitzers «Dame»

Die «Isleworth Mona Lisa» ist in Kunstkreisen schon lange bekannt. Bisher galt sie indes als eine der zahllosen Kopien der «Gioconda» (italienisch «die Fröhliche, die Heitere»), wie Leonardos Porträt im Original heisst. Das Gemälde hat seinen Namen vom Londoner Ortsteil Isleworth, wo der Künstler und Kunsthändler Hugh Blaker (1873 - 1936) wohnte, der es kurz vor dem Ersten Weltkrieg in der Sammlung des Earl Brownlow of Somerset entdeckte und aufkaufte.

Aus Blakers Nachlass gelangte die «Isleworth Mona Lisa» zu Beginn der Sechzigerjahre zum amerikanischen Sammler Henry F. Pulitzer. Pulitzer war der erste, der vermutete, dass es sich um ein Werk von Leonardo selbst handelte. Im Vorwort zu seinem Buch «Where Is The Mona Lisa?» («Wo ist die Mona Lisa?») schrieb er: «Die fragliche Dame ist niemand anderes als die lange verschollene Mona Lisa, nicht das Bild im Louvre, das fälschlicherweise bis heute unter diesem Namen bekannt ist. Ich bin überzeugt, dass meine Dame von Leonardo da Vinci in seinem Atelier gemalt worden ist.» Allerdings ist Pulitzers Objektivität nicht über alle Zweifel erhaben, da er immerhin Besitzer des Porträts war. «Seine Dame» vermachte er seiner Freundin, aus deren Nachlass es schliesslich in den Besitz der Schweizer Stiftung gelangte.

Zwei unterschiedliche Versionen?

Die «Isleworth Mona Lisa» ist etwas grösser als das Porträt im Louvre. Die abgebildete Figur ähnelt der «Mona Lisa» aus dem Louvre sehr stark, was Komposition und Lichteinfall anbelangt. Das Gemälde zeigt links und rechts Säulen, die auch auf anderen Kopien der «Mona Lisa» zu sehen sind, im schmaleren Original aber bis auf Teile der Basis fehlen. Möglicherweise sind die Säulen dort abgeschnitten worden.

Pulitzer führte das Zeugnis von Leonardos Biograph Giorgio Vasari, selber ein Maler aus dem 16. Jahrhundert, als Beleg dafür an, dass es sich bei seinem Bild um eine von Leonardo selbst gemalte erste Version handeln könnte. Vasari schrieb, Leonardo habe mit der Arbeit an der «Mona Lisa» 1503 begonnen, sie dann aber unvollendet gelassen. 1517 erschien dann eine vollendete Version in Leonardos Sammlung – jene, die heute im Louvre hängt. Diese zeitliche Abfolge würde auch das unterschiedliche Alter der beiden Figuren erklären. Als weiteres Indiz für seine These zog Pulitzer das Geschichtsbuch «Trattato dell'arte della Pittura Scultura ed Architettura» von Giovanni Lomazzo heran. Lomazzo sprach 1584 von «der Gioconda und der Mona Lisa» – als wären es zwei verschiedene Gemälde und nicht zwei Namen für dasselbe Werk.

Rudimentärer Hintergrund

Freilich ist die «Isleworth Mona Lisa» auf Leinen gemalt, während das Louvre-Bild – wie fast alle Gemälde Leonardos – auf Holz gemalt wurde. Dies ist einer der Haupteinwände von Skeptikern, die bezweifeln, dass es sich bei der «Mona Lisa» aus Isleworth wirklich um ein Werk Leonardos handelt. Auch der nur rudimentär ausgeführte Hintergrund unterscheidet sich stark von Leonardos Meisterwerk. Möglicherweise wurden auch nur Teile des gesamten Porträts – Gesicht und Hände – von Leonardo selbst ausgeführt, während der Rest von Schülern gemalt wurde.

Am 27. September erfahren wir möglicherweise entscheidende neue Erkenntnisse, die den Kunstkrimi endlich auflösen. Für Spannung ist jedenfalls gesorgt. 20 Minuten Online überträgt die Enthüllung live aus dem Hotel Beau Rivage.

«La Gioconda»

Die «Gioconda» («die Heitere, Fröhliche») ist Leonardo da Vincis (1452 - 1519) berühmtestes Werk, das oft kopiert wurde – und wird. Auf Deutsch wird das Gemälde «Mona Lisa» genannt; «Mona» ist von der italienischen Kurzform «Monna» für «Madonna» abgeleitet. Das Bildnis der Dame mit dem rätselhaften Lächeln entstand wohl in den Jahren 1503 bis 1506 und stellt den meisten Experten zufolge Lisa Gherardini (1479 - 1542) dar, die dritte Ehefrau des reichen Florentiner Seidenhändlers Francesco del Giocondo. Es gibt aber auch Theorien, wonach es sich beim Modell der «Gioconda» um Leonardos Lehrling Gian Giacomo Caprotti oder gar um Leonardo selbst handelt.

Die «Mona Lisa», die auf dünnem Pappelholz gemalt ist und nur 77 auf 53 cm gross ist, hängt heute im Louvre in Paris. Ihr Versicherungswert wird heute auf rund 750 Millionen Franken geschätzt.

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