Lehrer trauen sich nicht mehr auf Schulausflüge

Aktualisiert

Angst vor der JustizLehrer trauen sich nicht mehr auf Schulausflüge

Deutlich weniger Schulausflüge: Aus Angst vor Gerichtsverfahren bleiben Lehrer mit ihren Klassen häufiger im Schulzimmer. Das soll sich jetzt ändern.

von
Christoph Bernet
Schlittelnde Kinder: Die Lehrer getrauen sich seltener, mit ihren Klassen das Schulzimmer zu verlassen. Sie fürchten, bei Unfällen verurteilt zu werden.

Schlittelnde Kinder: Die Lehrer getrauen sich seltener, mit ihren Klassen das Schulzimmer zu verlassen. Sie fürchten, bei Unfällen verurteilt zu werden.

Lärmende Schulkinder jagen an einem schönen Wintertag zusammen mit ihren Klassenkameraden einen Schlittelhang hinunter: Dieses Bild könnte schon bald der Vergangenheit angehören. Stattdessen pauken Schulkinder immer häufiger in der sicheren Wärme des Schulzimmers. Auch Klassenausflüge ins Hallenbad werden seltener, ebenso wie Velotouren, Schlauchbootfahrten, Wanderungen in exponiertem Gelände oder nur schon eine Mittagspause an einem Flussufer während einer Schulreise, bestätigen verschiedene Experten.

«Meine Kollegen prüfen Schulausflüge wesentlicher kritischer als früher und verzichten häufiger darauf, mit ihren Kindern das Schulzimmer zu verlassen», sagt Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands.

«Anwälte tauchen immer schneller auf»

Jürg Brühlmann, Chefpädagoge des Schweizerischen Lehrerverbands, bestätigt, dass immer mehr Lehrer mit ihren Klassen auf risikobehaftete Ausflüge verzichteten. Grund für diese Entwicklung seien Eltern und Richter, die von den Lehrern eine umfassendere Aufsicht über die Schüler forderten: «Wenn es um die Schule geht, tauchen immer schneller Anwälte auf. Die Schlinge wird enger.»

«Eltern überlegen sich rascher, ob sich die Lehrperson bei einem Unfall juristisch zu verantworten hat», sagt Lätzsch. Eine Verurteilung wegen eines Unglücksfalls sei ein Horrorszenario für jeden Lehrer. Lätzsch: «Wir Lehrer sind darauf angewiesen, dass sich die Schüler an unsere Anweisungen halten.» Wenn dies nicht geschehe, setzten sich die Schüler einem Risiko aus, für das die Lehrer nicht verantwortlich gemacht werden könnten. «Diese Tatsache wird von den Eltern leider immer weniger verstanden.»

Liberale Aufsichtspflicht

Nach zwei Badeunfällen im Jahr 2013 im Kanton Aargau, von denen einer tödlich endete, mussten sich die betroffenen Lehrer vor Gericht verantworten. 2007 wurde eine Lehrerin im Fall eines ertrunkenen Schülers vom Kantonsgericht zunächst für schuldig befunden. Es sei die Aufgabe der Schule, jeden Schüler jederzeit zu überwachen, so die Urteilsbegründung. Das habe viele Lehrer verunsichert, sagt Niklaus Stöckli, Präsident des Aargauer Lehrerverbands. «Viele meiner Kollegen verzichten darauf, gewisse Exkursionen durchzuführen, weil sie nicht bereit seien, das juristische Risiko zu tragen.» Das sei bedauerlich.

Bisher werde in der Schweiz die Aufsichtspflicht im Vergleich zum Ausland relativ liberal gehandhabt und den Schülern werde eine gewisse Selbstständigkeit zugestanden, sagt Jürg Brühlmann. «Im Südtirol dürfen nicht einmal Berufsschüler über 16 Jahre unbegleitet die Schule verlassen, um beispielsweise ein Interview zu führen.» Nun zeichne sich in der Schweiz eine ähnliche Entwicklung ab.

«Es braucht klare Regeln»

Dem will die Politik nun Abhilfe verschaffen: «Es braucht endlich klare Regeln», sagt der Aargauer SP-Grossrat Manfred Dubach, der laut der «Aargauer Zeitung» einen entsprechenden Vorstoss eingereicht hat. Zumindest bei Badeausflügen sollen klare Richtlinien ausgearbeitet werden, damit den Lehrern die rechtlichen Bedenken genommen würden. So brauche es kantonsweit geltende, verbindliche Vorgaben über die Mindestanzahl Begleitpersonen und über die Vorkehrungen, die Lehrpersonen vor Badeausflügen zu treffen hätten.

Deine Meinung zählt