Prämien – Linke und Bürgerliche wollen «unnötige Behandlungen» stoppen

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PrämienLinke und Bürgerliche wollen «unnötige Behandlungen» stoppen

Die Prämien sollten weiter sinken, sagt Konsumentenschützerin Prisca Birrer-Heimo. Bis zu 30 Prozent der Behandlungen seien unnötig – die Politik müsse diesen Missstand beheben, fordern Parlamentarierinnen.

«Vor allem bei orthopädischen Eingriffen wie Knieoperationen haben viele Patientinnen und Patienten Zweifel, ob eine Operation wirklich nötig ist», sagt Flavia Wasserfallen von der Schweizerischen Patientenstelle.
«Wir wissen, dass wir bis zu 30 Prozent unnötige Behandlungen haben. Dort muss man endlich einmal ansetzen», so Konsumentenschützerin Prisca Birrer-Heimo.
«Es gibt viele Leistungen, die auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse keinen nachgewiesenen wissenschaftlichen Nutzen haben», sagt Gesundheitsökonom Matthias Schwenkglenks.
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«Vor allem bei orthopädischen Eingriffen wie Knieoperationen haben viele Patientinnen und Patienten Zweifel, ob eine Operation wirklich nötig ist», sagt Flavia Wasserfallen von der Schweizerischen Patientenstelle.

Getty Images/iStockphoto

Darum gehts

  • 30 Prozent der Behandlungen sind laut Konsumentenschützerin Prisca Birrer-Heimo unnötig. Dort müsse angesetzt werden, um die Prämien noch stärker zu senken.

  • Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel verbindet die «stabilisierten Kosten in der grössten Gesundheitskrise» mit dem Wegfall unnötiger Eingriffe.

  • Ärzteverbände hingegen warnen vor steigenden Kosten wegen Unterbehandlungen.

Erstmals seit 2008 bleiben die Haushalte von einem Prämienanstieg verschont. Schweizweit liegt die mittlere Prämie im nächsten Jahr 0,2 Prozent tiefer, insgesamt sinkt die Prämienlast durchschnittlich um 1,3 Prozent. In den letzten zehn Jahren hingegen stieg die mittlere Prämie im Durchschnitt jährlich um 2,4 Prozent.

Krankenkassenexperte Felix Schneuwly warnte aber bereits: «Den Versicherten droht bald der Prämienschock.» Dies sei der Fall, wenn die Reserven der Krankenkassen plötzlich aufgebraucht seien. Damit würde sich das Szenario aus dem Jahr 2010 wiederholen.

«30 Prozent unnötige Behandlungen»

Hingegen sagt Prisca Birrer-Heimo, SP-Nationalrätin und Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz, die Prämien müssten eigentlich noch stärker gesenkt werden. «Wir wissen, dass wir bis zu 30 Prozent unnötige Behandlungen haben. Dort muss man endlich einmal ansetzen», sagte sie zu «Radio 1». Erstmals ins Spiel gebracht hatte die Zahl Smarter Medicine, ein Verein, der eine medizinische Über- und Fehlversorgung bekämpft.

Auch Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel sagt: «Es ist etwas Spezielles, dass in der grössten Gesundheitskrise die Kosten stabilisiert sind.» Dies sei ein klares Indiz dafür, dass die Spitäler in der Pandemie einige Eingriffe nicht gemacht hätten, die gar nicht nötig seien. Sie verweist auf eine Studie des Instituts für Hausarztmedizin der Uni Zürich. Dieser zufolge könnten 16’000 unnötige, nicht unfallbedingte Meniskusoperationen 70 Millionen Franken einsparen.

«Tumore entdeckt, die kein Problem wären»

Als Entscheidungshilfe für Behandlungen können sich Ärztinnen und Ärzte an Behandlungsrichtlinien orientieren, die auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren beruhen. Eine neue Nationalfonds-Studie, die 24 häufig genutzte medizinische Leistungen untersuchte, kommt jedoch zum Schluss, dass die Ärzteschaft die Richtlinien oftmals vernachlässigt. Etwa führen sie Röntgenuntersuchungen vor Operationen und Kaiserschnitte häufiger als in den Richtlinien empfohlen durch.

«Es gibt viele Leistungen, die auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse keinen nachgewiesenen wissenschaftlichen Nutzen haben», sagt Matthias Schwenkglenks, Studienautor und Gesundheitsökonom am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Uni Zürich. Ökonomische Anreize spielten im Gesundheitsbereich immer wieder eine Rolle, zum Beispiel bei der Durchführung von bildgebenden Verfahren oder bestimmten invasiven Eingriffen. «Etwa bei Krebs-Screenings werden oft Tumore entdeckt, die für die Untersuchten gar nie zum Problem geworden wären, hätten sie nichts davon gewusst.» Deshalb sei eine sorgfältige Entscheidungsfindung zusammen mit den Patientinnen und Patienten sehr wichtig.

Auch verursachen laut Schwenkglenks Schnittstellenprobleme im Gesundheitswesen unnötige Kosten. «Weil die Kommunikation zwischen den Leistungserbringenden nicht optimal ist, werden zum Beispiel Untersuchungen doppelt gemacht.»

Patientinnen und Patienten hätten Zweifel

Flavia Wasserfallen, Präsidentin des Dachverbands Schweizerischer Patientenstellen (DSVP), stellt fest, dass viele Eingriffe Patientinnen und Patienten verunsichern. «Vor allem bei orthopädischen Eingriffen wie Knieoperationen haben viele Patientinnen und Patienten Zweifel, ob eine Operation wirklich nötig ist.»

Die SP-Nationalrätin fordert unter anderem, dass der Arztlohn nicht mehr von der Anzahl Eingriffe abhängt. «Solange pro Operation verdient wird, nimmt auch die Zahl der unnötigen Eingriffe nicht ab.»

«Obligatorische Richtlinien»

Auch Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel sieht in den unnötigen Behandlungen grosses Sparpotenzial. «Damit unnötige Behandlungen die Prämien nicht erneut in die Höhe treiben, braucht es für die Ärztinnen und Ärzte obligatorische Behandlungsrichtlinien.»

Auch bürgerliche Politikerinnen und Politiker orten Handlungsbedarf. «In einem Raster muss genau festgelegt werden, welche Operationen nötig sind und welche nicht», fordert SVP-Nationalrätin Theres Schläpfer. Etwa unhaltbar sei, dass Spitäler oder Ärzte teilweise rein aus Zeitoptimierungsgründen Gebärende zu einem Kaiserschnitt drängten.

«Unterbehandlungen könnten teuer werden»

Ärzteverbände hingegen sehen keinen Zusammenhang zwischen der Prämienlast und unnötigen Eingriffen. «Wegen Covid-19 verschobene Operationen sind nicht der Grund für die tieferen Prämien», sagt Yvonne Gilli, Präsidentin des Ärzteverbands FMH. Die Prämien seien aufgrund der in den letzten Jahren angehäuften Reserven der Versicherer gesenkt worden.

Der FMH vermute, dass es wegen der Pandemie zu Unterbehandlungen gekommen sei, sagt Gilli. «Diese können die Gesundheitsversorgung verteuern» Die Ärzteschaft verfolge das Ziel einer qualitativ hohen Versorgung, um sowohl Unter- als auch Überbehandlung zu verhindern.
Kürzlich zeigte sich auch: Besonders im Frühjahr 2020 blieben Kranke wegen der Pandemie lieber zu Hause, als den Notfall aufzusuchen.

Matthias Schwenkglenks bewertet Behandlungen ohne nachgewiesenen wissenschaftlichen Nutzen zudem nicht generell als unnötig. «Eine bestimmte Untersuchung oder ein bestimmter Eingriff kann für einzelne Patientinnen und Patienten psychisch wichtig sein und sich deshalb positiv auf die Gesundheit auswirken.»

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