Luzern«Sie hat die Opfer wie alte Schuhe weggeworfen und ersetzt»
Sie war bereits wegen Menschenhandels verurteilt und 450 Tage in Haft. Weil die 57-jährige Thailänderin Berufung einlegte, wird der Fall erneut verhandelt. 20 Minuten ist vor Ort und berichtet aus dem Gerichtssaal.
Darum gehts
Eine heute 57-jährige Frau steht vor dem Luzerner Kantonsgericht für eine Berufungsverhandlung.
Sie wurde unter anderem wegen Menschenhandels, Förderung der Prostitution und Geldwäscherei verurteilt.
Die Frau schleuste zusammen mit einer Menschenhandelsorganisation 22 thailändische Sexarbeiterinnen in die Schweiz ein.
Danach liess sie die Frauen in einem Luzerner Bordell unter miserablen Lebensbedingungen arbeiten und beutete sie aus.
Deine Meinung zählt
Der Verhandlungstag zusammengefasst
Im Berufungsprozess vor dem Luzerner Kantonsgericht stand am Donnerstag eine 57-jährige Thailänderin erneut wegen Menschenhandels, Förderung der Prostitution und Geldwäscherei vor Gericht. Bereits 2021 wurde sie zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zwei Monaten verurteilt, legte jedoch Berufung ein.
Die Staatsanwaltschaft und mehrere Privatklägerinnen werfen ihr vor, gemeinsam mit einer Menschenhandelsorganisation 22 thailändische Frauen in die Schweiz eingeschleust und in einem Luzerner Bordell unter prekären Bedingungen zur Prostitution gezwungen zu haben.
«24 Stunden am Tag arbeiten.»
Die Opfer mussten in denselben Betten schlafen, in denen sie arbeiteten, und waren gezwungen, rund um die Uhr für Freier verfügbar zu sein. Eine der betroffenen Frauen berichtete: «Die Beschuldigte erzählte, wie ich zu arbeiten habe, wie ich das Geld zur Seite legen musste, was ich putzen musste.» Bezüglich der Arbeitszeiten habe die Angeklagte gesagt: «24 Stunden am Tag arbeiten.»
Langzeit-Folgen der Zeit im Bordell
Diese Bedingungen führten bei den Frauen zu erheblichen psychischen Belastungen, darunter Angststörungen, Depressionen und Suizidgedanken. Eine der Frauen unterzog sich sogar Schönheitsoperationen in der Hoffnung, sich innerlich erneuern zu können.
Der Verteidiger der Angeklagten kritisiert das Verfahren und bemängelt, dass weder die Beschuldigte noch ihr Anwalt bei den Befragungen der Opfer anwesend waren. Sie fordern, dass die betroffenen Frauen persönlich vor Gericht aussagen. Die Staatsanwaltschaft hingegen plädiert für die Bestätigung des ursprünglichen Urteils und betont die Schwere der Vergehen. Eine Anwältin der Privatklägerinnen betonte: «Sie hat das Leben meiner Klientin grundlegend verändert, bis zum heutigen Zeitpunkt.»
Zweites Urteil noch ausstehend
Die Verhandlung dauert an, und das Gericht muss entscheiden, ob das ursprüngliche Urteil aufrechterhalten oder angepasst wird.
Urteil folgt schriftlich
Nun ist die Berufungsverhandlung zu Ende und das Luzerner Kantonsgericht nimmt sich einige Tage, um sich zu beraten und um zu entscheiden, ob das ursprüngliche Urteil Bestand hat oder angepasst wird. Das Urteil wird schriftlich eröffnet.
Damit ist die Gerichtsverhandlung zu Ende. 20 Minuten hält euch auf dem Laufenden, sobald ein Urteil gefällt wurde.
Merci fürs Mitlesen!
Opfern soll es gut gegangen sein
In seiner Replik wiederholt der Verteidiger seine Argumente und beteuert, den Sexarbeiterinnen sei es gut gegangen. Er zitiert aus den Befragungen der Opfer. Diese sollen gesagt haben, es sei ihnen im Bordell gut gegangen.
Die Beschuldigte verzichtet auf ein letztes Wort.
Bett zum Schlafen und zum Arbeiten
Nun ergreift die letzte Anwältin das Wort. «Sie hat das Leben meiner Klientin grundlegend verändert, bis zum heutigen Zeitpunkt.»
Die Angeklagte habe «massive psychische Gewalt» auf die Sexarbeiterinnen ausgeübt. Dies dürfe nicht als weniger schlimm gewertet werden, sagt die Anwältin in ihrem Plädoyer. Auch dann, wenn ihre Mandantin ihre Tage, Bauchschmerzen oder aufgrund ihrer Tätigkeit Unterleibschmerzen hatte, habe sie arbeiten müssen.
Häufig habe sie am Boden schlafen müssen und sich kaum ausruhen können. Dies, weil die Frauen im gleichen Raum und in den gleichen Betten übernachteten, in welchen sie arbeiteten. Weil ihre Mandantin zuvor nie als Prostituierte gearbeitet hatte, habe sie auch nicht gewusst, wie sie mit Freiern umzugehen hatte.
Schönheits-OPs, um über Trauma hinwegzukommen
Da die Opfer alle finanziell stark von der Angeklagten abhängig gewesen seien, sei der Tatbestand des Menschenhandels eindeutig erfüllt, sagt jetzt eine Anwältin einer weiteren Privatklägerin.
«24 Stunden am Tag arbeiten»
Ihre Klientin habe von ihrer Ankunft beim Bordell geschildert: «Die Beschuldigte erzählte, wie ich zu arbeiten habe, wie ich das Geld zur Seite legen musste, was ich putzen musste.» Zu den Arbeitszeiten habe die 57-jährige Angeklagte gesagt: «24 Stunden am Tag arbeiten.»
Ihre Mandantin habe lange unter Angststörungen, Suizidgedanken und Depressionen gelitten. Viele Kriseninterventionen seien nötig gewesen. Mittlerweile lebe das Opfer zurückgezogen und spreche kaum mit jemandem. Die Frau habe sich gar Schönheitsoperationen unterzogen in der Hoffnung, sich dann auch innerlich neu zu fühlen.
Die Anwältin fordert für ihre Klientin eine «angemessene Parteientschädigung», 5500 Franken Genugtuung. Auch sie fordert die Bestätigung des ersten Urteils und der Verurteilung der Angeklagten.
Opfer hat Angst vor Menschenhandelsorganisation
«Es macht keinen grossen Sinn, in abgeänderter Redaktion noch einmal vorzutragen», sagt eine der Anwältinnen der Privatklägerinnen. Sie verzichte darauf, alles zu wiederholen.
Sie fordert, dass dem ersten Urteil gefolgt wird. Ihre Mandantin habe Angst, von einem thailändischen Clan aufgesucht und unterdrückt zu werden und wolle deshalb ihre Adresse dem Verteidiger der Beschuldigten nicht geben. Mittlerweile sei das Opfer nach Thailand zurückgekehrt, habe aber noch immer sehr hohe Schulden.
Eine ihrer Mandantinnen habe ihre Tätigkeit als Sexarbeiterin nur unter starkem Drogeneinfluss ausüben können. Eine andere habe Ausschlag bekommen und das Luzerner Bordell verlassen wollen. Auch hätten die Frauen die Räumlichkeiten des Bordells nie alleine verlassen dürfen. Eine ihrer Mandantinnen sei geflohen. «Wenn jemand flieht, ist es klar, dass man dort nicht sein will», sagt sie jetzt.
Für ihre Mandantinnen verlangt sie 15'000 für diejenige, die länger in Luzern arbeitete und 3000 Franken für diejenigen, die weniger lang da war.
Opfer wurde rausgeworfen und musste im Wald leben
Der Verteidiger habe die Zustände im Bordell als «normal» verharmlost, was der Staatsanwalt nicht als Argument gegen das Urteil wertet. Im Gegenteil, es sei ein Argument für das Urteil.
Es gebe gute Gründe für ein noch strengeres Strafmass, so der Staatsanwalt. Insgesamt habe die Beschuldigte gar 29 Sexarbeiterinnen ausgenutzt. «Wie viele Opfer bräuchte es denn, um von einem schweren Vergehen zu sprechen?»
Die Frauen hätten ihren Körper täglich an eine Vielzahl von Kunden verkaufen müssen, um ihre hohen Schulden zu begleichen. Die 57-Jährige habe knapp 350'000 Franken verdient und dafür kaum etwas tun müssen. Schliesslich hätten die Sexarbeiterinnen geputzt und gekocht. Auch administrative Aufgaben habe sie kaum welche gehabt. Schliesslich seien die Sexarbeiterinnen illegal in der Schweiz gewesen, hätten schwarzgearbeitet und auch keine Steuern bezahlt.
«Ich bitte Sie, sich in die Lage der Opfer zu versetzen.»
«Die Beschuldigte hat die Frauen wie alte Kleider oder alte Schuhe weggeworfen und durch neue ersetzt», spricht der Staatsanwalt weiter. Nun zitiert er aus dem Protokoll einer Befragung eines Opfers. Dieses sei nach neun Monaten rausgeworfen worden und habe danach eine Woche im Wald leben müssen, bevor sie ein Zugbillett nach Basel gekauft habe. Dort habe sie dann einen Monat in einem Park leben müssen.
«Ich bitte Sie, wertes Richtergremium, sich in die Lage der Opfer zu versetzen», so der Staatsanwalt. Ja, die Frauen seien für Prostitution in die Schweiz gekommen. Dies hätten sie aber nur getan, weil sie ihre Familie in Thailand nicht mehr finanziell hätten unterstützen können.
Staatsanwalt ergreift das Wort
Dann steht der Staatsanwalt auf. Mit dem Urteil des Kriminalgerichts vom Juni 2023 habe man die Frau noch deutlich zu milde bestraft. Er habe ein deutlich höheres Strafmass beantragt.
«Das erstinstanzliche Urteil ist nachvollziehbar und sehr überzeugend», sagt der Staatsanwalt. «Es gibt aus Sicht der Staatsanwaltschaft absolut keinen Grund, am Urteil etwas zu ändern.» Der Verteidiger habe in seinem Plädoyer ein verzerrtes Bild der Realität gemalt.
«Wenn man dann zweimal über drei Stunden das Gleiche hören muss, ist das dann nicht mehr so interessant.» Der Verteidiger sei keineswegs auf das Urteil eingegangen, sondern habe lediglich das Plädoyer, das er bereits vor dem Kriminalgericht hielt, wiederholt.
Verteidiger fährt fort
Pünktlich um 13 Uhr fährt der Verteidiger der Beschuldigten fort. Er wiederholt sich und betont, es sei niemand dazu gezwungen worden, im Luzerner Bordell zu arbeiten.
Die Sexarbeiterinnen hätten keineswegs Angst vor der «Bordellmutter» gehabt, sondern vor der Luzerner Polizei. Dies, weil sie ohne Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung in der Schweiz arbeiteten.
Es sei der Wunsch der Thailänderinnen gewesen, ihren Lohn abzugeben. Dies, weil sie befürchtet hätten, dass ihre Kolleginnen, mit welchen sie auf engem Raum zusammenlebten, ihr Bargeld stehlen und «sich aus dem Staub machen» könnten. Es hätten sich alle gewünscht, ihren Lohn an die Beschuldigte abzugeben, sodass diese sich um die Zahlungen an ihre Familien in Thailand kümmern würde.
Nun wirft er der Staatsanwaltschaft und den Luzerner Gerichten vor, den Fall zu langsam bearbeitet zu haben.
Kurze Mittagspause
Nach einem bereits zweistündigen Plädoyer des Verteidigers geht es um 13 Uhr weiter.
Verteidiger streitet alles ab
«Wenn der Kunde nicht anständig ist, müsst ihr ihn nicht bedienen», soll die Beschuldigte – vom Verteidiger als «Bordellmutter» bezeichnet – gesagt haben.
Sie hätten jederzeit absolute Entscheidungsfreiheit gehabt und jederzeit absagen können.« Wenn eine Frau nicht arbeiten wollte, musste sie das auch nicht.» Man habe «sogar» einen Freund haben können und eine Ehe schliessen können. Im Bordell sei auch keine Gewalt ausgeübt worden. Weiter habe es keine Pflicht gegeben, den Pass abzugeben.
Zehnjähriges Jubiläum der Verhaftung
Zu den strengen Regeln im Bordell sagt der Verteidiger der Beschuldigten: «Die Prostituierten wussten um die Regeln.» Sie seien zu nichts gezwungen worden und hätten sich frei bewegen können. Die Handlungsfreiheit sei nicht eingeschränkt worden.
«Gestern feierte meine Mandantin übrigens das zehnjährige Jubiläum ihrer ersten Verhaftung», sagt er. Dann beginnt er, das Protokoll einer Befragung eines der Opfer durch die Staatsanwaltschaft vorzulesen:
«Ich konnte mit meiner Kollegin rausgehen.» Demnach hätten die Sexarbeiterinnen sich jederzeit frei bewegen können. Auch was die Sexualpraktiken anging, habe die Frau gesagt: «Mit Schlagen und Fesseln – ich habe noch nie solche Sachen gemacht. Aber wenn sich der Kunde das wünscht, wird das gemacht.» Sie habe immer mit Kondom verhütet. Als ein Freier ungeschützten Sex wollte, habe die Beschuldigte den Mann weggeschickt und ihm Hausverbot gegeben. Auch Wünsche zu Sexualpraktiken, die die Freier äusserten, hätten die Sexarbeiterinnen ablehnen können.
«Dass die Frauen rund um die Uhr Stand-by für Sex mit Freiern zu stehen mussten, stimmt auch nicht», so der Anwalt.
Plädoyer des Verteidigers
Der Anwalt der Beschuldigten steht auf und ergreift das Wort.
Er beschwert sich erneut darüber, dass er und seine Mandantin bei den Vernehmungen der Opfer durch die Staatsanwaltschaft nicht anwesend sein durften. Andere Beschuldigte, die ebenfalls in den Fall verwickelt waren, wurden bereits zuvor per Strafbefehl verurteilt und mussten das Land verlassen.
«Kommen wir zum Vorwurf des gewerbsmässigen Menschenhandels. Einige haben ein Studium angefangen und an der Uni studiert. Das können keine dummen Frauen gewesen sein.» Mehrere hätten der Beschuldigten gesagt, sie hätten in die Schweiz kommen wollen, weil man hier mit der Prostitution gut verdienen könne.
Weil ihre Einreise erschwert worden sei, habe sich die Angeklagte zusammen mit weiteren Beteiligten um die Einreise gekümmert. Dies habe aber Geld gekostet. «Sie waren bereit, diese Schulden einzugehen. Mit einem Touristenvisum darf man nur einige Tage in Europa bleiben. Das haben sie alle gewusst.» Wenn man in die Schweiz komme und in der Prostitution arbeiten wolle, müsse man das in einem Etablissement machen. Alleine sei dies nicht möglich. «Sie brauchten Thai-Bordelle.»
Weil die Frauen illegal in der Schweiz waren, hätten sie keine Bankkonten eröffnen können und «deshalb die Infrastruktur der Beschuldigten mitbenutzt». Sie habe den Familien der Opfer Geld nach Thailand geschickt. «Es waren alle erwachsene Frauen, die wussten, was auf sie zukommt», so der Verteidiger. Sie hätten sich einverstanden erklärt. «Wer nicht einverstanden war, hätte nicht in die Schweiz einreisen müssen.»
«Ich hätte das nicht tun sollen»
«Wie sehen Sie Ihre Zukunft?», fragt die Richterin. Die Frau antwortet nur: «Ich sehe keine.»
Jetzt ergreift ein weiterer Richter des Dreiergremiums das Wort. Er will wissen, wie die Frau über ihre Zeit im Bordell zurückdenkt: «Es ist schade. Ich hätte das nicht tun sollen.» Dann fragt er, wieso sie es heute bereue. Sie sagt: «Weil ich heute Angeklagte bin und beschuldigt wurde. Ich bin aber der Meinung, dass ich die Angestellten fair behandelt habe.»
Der Verteidiger fragt seine Mandantin nur, ob sie bereits vor ihrer Arbeit im Bordell Witwenrente erhalten habe. Sie verneint.
Die weiteren Anwältinnen und Anwälte haben keine weiteren Fragen.
Nun stellt der Verteidiger noch einen Antrag: «Wir haben keine Angaben zu den Privatklägerinnen. Wir haben keine Aussagen der Frauen, wann sie im Bordell gearbeitet haben und wie sie dort behandelt wurden. Es ist alles unbekannt, unbestimmt.» So fordere er, dass die Sexarbeiterinnen, die die Beschuldigte in die Schweiz geschleust haben soll, an der nächsten Gerichtsverhandlung anwesend sind. «Wenn man diese Frauen im Verfahren als Opfer ansehen will, muss man sie auch einvernehmen. So scheint es mir unzulässig.»
Der Staatsanwalt erwidert, es seien weitere Personen - nicht nur sechs der 22 Opfer - befragt worden und es gebe zahlreiche Beweise aus den Chatnachrichten. Die weiteren Anwältinnen schliessen sich der Aussage des Staatsanwaltes an.
«Ich habe Angst.»
In einem Migros-Schliessfach hatte die Polizei bei einer Durchsuchung über 146'000 Franken Bargeld gefunden. «Woher stammt das Geld?», fragt die Richterin nun. Es bestehe aus Erträgen von ihrer Arbeit im Bordell und aus Ersparnissen. Vor Ihrer Arbeit als Bordellmanagerin habe sie als Hausfrau gearbeitet und von ihrem Ehemann Geld bekommen.
«Sie haben hohe Geldbeträge nach Thailand überwiesen. Weshalb?» Die Beschuldigte antwortet: «Für die Frauen. Und für meine kranke Mutter. Und für Spenden für einen Tempelbau.»
Jetzt will sie wissen, wie es der Angeklagten geht: «Ich habe Angst.» Wovor, das wisse sie nicht. Sie habe keine Ausbildung und sei nur bis zur dritten Klasse zur Schule gegangen. Obwohl sie in Thailand lesen und schreiben gelernt habe, könne sie das heute nicht auf Deutsch.
Angeklagte will nichts beantworten
Die Beschuldigte setzt sich nun in die Mitte des Saales für die Befragung. Zunächst stellt die Richterin allgemeine Fragen zu den Personalien und der Tätigkeit. Die Beschuldigte erklärt, sie sei verwitwet und arbeite als Hausfrau.
«Ich gehe davon aus, dass Sie wissen, was Ihnen vorgeworfen wird. Ist das richtig?», fragt die Richterin. Die Beschuldigte flüstert auf Thailändisch: «Ja.» Eine Dolmetscherin übersetzt ihre Worte ins Deutsche. Vor dem Kriminalgericht wollte die Angeklagte bei der Befragung nichts beantworten. «Wie sieht das heute aus?», fragt die Richterin. Erneut schüttelt die 57-Jährige den Kopf und sagt: «Nein.»
Trotzdem will die Richterin ihre Fragen stellen. «Ich lasse heute meinen Verteidiger für mich sprechen», antwortet die Beschuldigte nur.
15 Minuten Verspätung
Die Verhandlung beginnt.
Die Beschuldigte sitzt in einer weissen Weste, einer blauen Jeans und Turnschuhen dem Richtergremium gegenüber. Die Opfer und Privatklägerinnen sind nicht anwesend. Zahlreiche der 22 Opfern befinden sich an einem unbekannten Aufenthaltsort.
Der Verteidiger fordert, dass der Bargeldbetrag in der Höhe von 197'839.09, der während der Untersuchung gefunden und sichergestellt wurde, der Angeklagten zurückgegeben wird. Dieser Betrag sollte jedoch an die Privatklägerinnen verteilt werden.

Am Kantonsgericht Luzern wird der Menschenhandelsprozess erneut beurteilt.
20min/stoProzessbeginn um 8.30 Uhr
Die Verhandlung in der Räumlichkeiten des Kantonsgerichts startet um 8.30 Uhr. 20 Minuten ist vor Ort und berichtet aus dem Gerichtssaal.
Sechs Jahre und zwei Monate Haft
Das Luzerner Kriminalgericht verurteilte die Thailänderin bereits vor rund eineinhalb Jahren zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und zwei Monaten. Davon hatte sie im Juni 2023 bereits 450 Tage abgesessen. Die Frau hat das Urteil jedoch angefochten und Berufung eingelegt. Am Donnerstag wird der Fall deshalb am Luzerner Kantonsgericht erneut verhandelt.
Was geschah
Eine 57-jährige Thailänderin mit Schweizer Pass arbeitete mit einer Menschenhandelsorganisation zusammen und schleuste 22 thailändische Frauen in die Schweiz, wo diese als Sexarbeiterinnen in einem Luzerner Bordell tätig waren. Die Prostituierten hatten keinen Pass, sprachen weder Englisch noch eine der Landessprachen und waren nicht mit der europäischen Kultur vertraut. Demnach konnten sie die Lebensbedingungen, unter welchen sie arbeiten mussten, nicht hinterfragen oder nach Hilfe suchen.
Wie der Anklageschrift zu entnehmen ist, mussten die Frauen zwischen 2012 und 2014 im Bordell unter permanentem Druck Geld anschaffen, rund um die Uhr Freiern zur Verfügung stehen und auch Sexualpraktiken ausüben, die sie nicht ausüben wollten. Die Beschuldigte versteckte die Prostituierten jeweils hinter einer Kellermauer, wenn eine Polizeikontrolle drohte und liess sie zu zwölft oder zu dreizehnt in den gleichen Räumen schlafen, in denen die Frauen arbeiten mussten. Wenn ein Freier also mitten in der Nacht auftauchte und Dienstleistungen wünschte, weckte die Angeklagte die Sexarbeiterinnen und vertrieb sie aus dem Zimmer, sodass eine von ihnen im gleichen Bett arbeiten konnte. Die Thailänderinnen mussten sich ein Bett zu zweit oder zu dritt teilen oder gar auf dem Boden schlafen.
Mit der Arbeit der Prostituierten verdiente die heute 57-Jährige insgesamt mindestens 234'785 Franken.