Gewalt in Partnerschaften: So erkennst du die Anzeichen

Gewalt in Beziehungen kommt in allen Schichten vor. Eine Expertin verrät, auf welche Anzeichen du achten solltest.

Gewalt in Beziehungen kommt in allen Schichten vor. Eine Expertin verrät, auf welche Anzeichen du achten solltest. 

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Gewalt in Partnerschaften«Machtgefälle in der Beziehung sollten hellhörig machen»

Gewalt in Partnerschaften gibt es durch alle Schichten und unter allen Geschlechtern. Eine Expertin erklärt, bei welchen Anzeichen du hellhörig werden solltest.

«Mir könnte das nie passieren» – wenn es um Gewalt in Beziehungen geht, herrscht oft die Meinung, dass man selbst die Anzeichen früh erkennen würde und keine Gefahr besteht, zum Opfer zu werden. In der Praxis sieht das oft anders aus. Warum, welche Anzeichen zu beachten sind und wie man sich selbst und anderen helfen kann, verrät Gisèle Pinck im Interview. Sie ist Programmleiterin von Herzsprung – Freundschaft, Liebe und Sexualität ohne Gewalt, einem Präventionsprogramm, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, einen respektvollen Umgang in Beziehungen bei Jugendlichen zu fördern und Gewalt vorsorglich zu verhindern.

Abuse is not Love

Woran erkennt man Gewalt in einer Partnerschaft?

Immer, wenn eine Beziehung nicht auf Augenhöhe geführt wird, sollte man aufpassen. Versucht jemand, ein Machtgefälle gegenüber dem anderen Part aufzubauen und diese Macht negativ einzusetzen, ist dies ein Zeichen, das alarmieren sollte.

Wie könnte das konkret aussehen?

Etwa so, dass jemand plötzlich viel weniger Zeit mit dem Freundeskreis verbringt, weil der Partner oder die Partnerin damit nicht einverstanden ist oder einen Grund findet, Treffen zu verhindern. Auch wenn ein Part in der Beziehung sich nicht mehr traut, Kritik anzubringen, aus Angst vor der Reaktion des anderen, gilt es, die Augen offen zu halten.

Angst vor physischer Gewalt?

Es reicht schon, wenn der oder die andere auf diese Kritik mit psychischer Gewalt reagiert, also z. B. wütend wird. Ins gleiche Feld spielen Erwartungen, die gestellt werden und die man eigentlich nicht erfüllen möchte – es aber trotzdem tut. Auch hier aus Angst davor, dass der Partner oder die Partnerin wütend, traurig oder enttäuscht reagiert und dadurch verletzend oder bedrohlich wird.

Wie haben sich die Anzeichen durch Social Media und neue Technik geändert?

Das Stichwort ist Monitoring. Gemeint ist die Überwachung auf verschiedenen Ebenen, etwa, dass Nachrichten sofort beantwortet werden sollen und ständige Verfügbarkeit gewährleistet ist. Dazu kommen Erwartungen, wie dass das Handy-Passwort mitgeteilt oder der Standort permanent geteilt wird. Grenzüberschreitungen, die es vor 20 Jahren noch nicht gegeben hat.

Was sind typische Vorurteile über Gewalt in Beziehungen?

Eines davon ist, dass Gewalt in Beziehungen nur gewisse Bevölkerungsgruppen betrifft – dabei kommt sie in allen Schichten vor. Wichtig zu verstehen ist aber, dass es Faktoren gibt, die solche Entwicklungen begünstigen. Wenn man als Kind bereits Gewalt in Beziehungen erlebt hat, begünstigt das ein eigenes, gewalttätiges Verhalten. Auch eine Prägung durch starre Rollenbilder und Stereotypen von Männlichkeit und Weiblichkeit erhöhen das Risiko.

Heute sind Grenzüberschreitungen möglich, die es vor 20 Jahren noch gar nicht gegeben hat

Gisèle Pinck, Programmleiterin bei Herzsprung

Man denkt immer «wenn mir Gewalt in einer Partnerschaft widerfahren würde, wäre ich sofort weg». Wie kommt es, dass das in der Realität oft nicht so ist?

Weil Gewalt in Paarbeziehungen in einem Zyklus verläuft. Im ersten Teil wird Spannung aufgebaut. Demütigungen und Beschimpfungen können bereits stattfinden, die betroffene Person wehrt sich aber noch nicht. Sie will verhindern, dass es im nächsten Schritt zu physischer Gewalt kommt. Häufig passiert das dennoch. Nach diesem Höhepunkt kommt es zu einer Ruhephase: Die gewalttätige Person entschuldigt sich und verspricht, sich zu bessern. Es kommt zur Versöhnung und einer sogenannten Honeymoon-Phase, in der alles wieder gut erscheint, bis der Zyklus von vorne losgeht.

Warum lernt man aus solchen Situationen nicht?

Das hat zwei Gründe: Einerseits will man nicht denken, dass eine Person, die man liebt, zu so etwas fähig wäre. Oft glaubt man an einen Ausrutscher. Andererseits weisen Täter den Grund für die Gewalt oft etwas anderem zu – Problemen bei der Arbeit, mit Alkohol oder einer Provokation vom Opfer. Es kommt häufig vor, dass die Betroffenen diese Sichtweise ebenfalls annehmen. Sie hoffen dann, dass sie in der Situation etwas bewirken können und so einen nächsten Gewaltausbruch verhindern. Man kann dem anderen leichter verzeihen, wenn man die Schuld bei sich selbst sucht.

Wie reagiert man, wenn man den Verdacht hat, dass in einer Beziehung Gewalt angewendet wird?

Als Freundin, Freund oder Familienmitglied kann man die Situation nicht beheben. Aber man kann da sein, zuhören, der betroffenen Person einen Rat geben und sie dabei unterstützen, die eigene Situation zu erkennen.

Wie?

Man kann die richtigen Fragen stellen. Etwa: Wie fühlst du dich, wenn deine Partnerin oder dein Partner so eifersüchtig reagiert? Hast du Angst davor, dass der oder die andere wütend wird? Findest du diese Reaktion in Ordnung? So kann man Betroffene darauf aufmerksam machen, dass gewisse Verhaltensweisen übergriffig, missbräuchlich oder gewalttätig sind. Niemand verdient es, schlecht behandelt zu werden. 

Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?

Hier findest du Hilfe:

Polizei nach Kanton

Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz

Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche

Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein

Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer

LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133

Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Beratungsstellen für gewaltausübende Personen

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