Nationalrat: «Männer streiten sportlicher» – Nationalrätin kritisiert Streitkultur unter Politikerinnen

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Nationalrat«Männer streiten sportlicher» – Nationalrätin kritisiert Streitkultur unter Politikerinnen

Mitte-Nationalrätin Marianne Binder-Keller nervt sich über ihre weiblichen Ratskolleginnen. Ihr Vorwurf: Einige können bei hitzigen Debatten nichts einstecken. Ein Kommunikationsexperte ordnet ein.

Einige Parlamentarierinnen teilten bei hitzigen Debatten aus, könnten im Anschluss jedoch nicht einstecken, würden sich schnell verletzt fühlen und stellten sich dann in die Opferrolle. 
Das sagt Mitte-Nationalrätin Marianne Binder-Keller. 
Sie kritisiert etwa Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter, die in einer Debatte ihre Frage nicht beantworten wollte.
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Einige Parlamentarierinnen teilten bei hitzigen Debatten aus, könnten im Anschluss jedoch nicht einstecken, würden sich schnell verletzt fühlen und stellten sich dann in die Opferrolle. 

20min/Simon Glauser

Darum gehts

Die Debatte ums Militärbudget am Montag machte Mitte-Nationalrätin Marianne Binder-Keller richtig sauer. Aber nicht die Aufstockung des Budgets nervte sie, sondern die mangelhafte Streitkultur ihrer weiblichen Ratskolleginnen. Was war passiert? Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter warf der Armee und dem Parlament ein «planloses Aufrüsten» vor. Binder-Keller ging ans Rednerpult und fragte Schlatter, ob sie denn die drei Armeeberichte gelesen habe. Darauf Schlatter: «Diese Frage beantworte ich nicht.»

Kurz danach liess ihr Schlatter via Medien ausrichten, dass diese Frage «despektierlich» gewesen sei, sagt Binder-Keller gegenüber 20 Minuten. «Wer dermassen austeilt und dem Parlament und der Armee dazu noch Planlosigkeit unterstellt, dem werde ich ja wohl noch die Frage nach der Kenntnis von drei wichtigen Armeeberichten stellen dürfen.» Mit einem männlichen Ratskollegen wäre sie gleichermassen verfahren, stellt die Mitte-Nationalrätin klar.

«Politik ist kein Ponyhof»

In ihren Augen sei eine angriffige Debattenkultur nicht per se unanständig und Frauen sollten sich nicht ohne Not in eine Opferrolle begeben. «Auch Männern werden prägnante und zugespitzte Fragen gestellt. Sie nehmen es einfach sportlicher und geben zurück.» Sie findet auch: Männliche Parlamentsmitglieder sollten im verbalen Schlagabtausch mit ihren weiblichen Ratskolleginnen nicht sensibler umgehen müssen als mit ihren männlichen Kollegen. «Wir Frauen werden doch nicht ernst genommen, wenn wir gleich beleidigt sind. Wer austeilt im politischen Diskurs, muss auch einstecken können. Ob Frauen oder Männer. Die Politik ist kein Ponyhof.» Binder-Keller fügt jedoch an, dass die meisten Parlamentarierinnen Freude an der kämpferischen Debatte hätten und nicht davor zurückscheuen würden.

Ratsmitglieder fordern mehr Anstand

Mitte-Nationalrat Simon Stadler will Binder-Kellers Vorwurf so nicht unterschreiben, wie er auf Anfrage mitteilt. Er wünsche sich mehr Gelassenheit, auch bei hitzigen Diskussionen. Ihn störe nämlich ganz allgemein der teils aggressive Umgangston, den die Ratsmitglieder an den Tag legten. «Einander zu kritisieren ist völlig legitim, es muss jedoch in einem angebrachten Ton geschehen.» Dies betreffe sowohl männliche wie weibliche Parlamentsmitglieder. Dies sei keine geschlechterspezifische Frage, so Stadler.

Einen respektvollen Umgangston fordert auch Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter. «Debatten leben davon, dass man gegenseitig austeilt. Ein gewisser Anstand gehört jedoch dazu.» Parlamentarierinnen würden wegen ihres Geschlechts öfter hart angegangen werden, so Schlatter. «Wie man aber auf Angriffe reagiert, ist keine Frage des Geschlechts.» Zu ihrem Schlagabtausch mit Binder-Keller will sie sich nicht mehr äussern.

«Frauen tun sich schwerer, einzustecken»

Bei den Parlamentsdebatten sei vieles auch für die Galerie, sagt Kommunikationsexperte Stefan Häseli. «Es wird hart ausgeteilt und teilweise auch laut. Im Nachhinein vertragen sich die meisten jedoch wieder.» Laut Häseli tun sich Männer im Vergleich zu Frauen jedoch weniger schwer damit, bei Debatten einzustecken und dann wieder darüber wegzusehen. «Denn Männer brauchen die Sprache vor allem für Mitteilungen. Frauen hingegen kommunizieren beziehungsorientierter und fühlen sich deshalb schneller persönlich angegriffen.»

Damit eine Debatte jedoch nicht ausarte, müssten sich beide Parteien anpassen, sagt Häseli. «So könnten sich Männer zum Beispiel etwas feiner ausdrücken und Frauen sich von ihrer beziehungsorientierten Kommunikation lösen.»

In den USA lernen Kinder das seit längerem bereits von klein auf, sagt Häseli. Doch auch in der Schweiz beobachte er aktuell ein Umdenken in der Debattenkultur. «Immer mehr Gymnasiastinnen und Gymnasiasten lernen, eine politische Debatte zu führen. Das wird sich bald in der Politik zeigen.» 

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