Depressionen«Manchmal hatte ich Todessehnsucht»
Die Depression ist eine schwere psychische Erkrankung. Im Gespräch mit 20 Minuten Online erzählt eine Betroffene, wie sie nach und nach den Halt im Leben verlor. Heute hat sie gelernt, mit ihrem Leiden umzugehen.
Es schlich sich in ihren Alltag ein, leise, ganz ohne Paukenschlag, kein tragisches Ereignis eilte ihm voraus. Irgendwann war es einfach da, dieses stumpfe Gefühl, ein Gefühl, das eigentlich schon lange keines mehr war. Dabei hatte Christine H. alles, was man in diesem Alter erreichen kann: Mit ihren damals 30 Jahren lebte sie eine gut funktionierende Partnerschaft, war erfolgreich im Beruf als medizinische Laborantin. Doch dann, irgendwann, hing das bisherige Leben am seidenen Faden. Die sonst so lebenslustige Frau war unkonzentriert, müde und erschöpft geworden: «Manchmal hatte ich das Gefühl, neben mir zu stehen, ich konnte mich selbst nicht mehr spüren», erinnert sich die heute 45-Jährige.
Alles war egal
Dass sie zum ersten Mal von einer schweren Krankheit getroffen wurde, die in ihrer Biographie immer wieder eine tragende, tragische Rolle spielen sollte, ahnte sie damals nicht. Alles, was ihr wichtig war, wurde ihr zusehends egal. In die sonst so akribisch ausgeführten Arbeitsschritte schlichen sich Fehler ein. Im Glauben, sich durch einen Jobwechsel selbst neu motivieren zu können, nahm sie eine Stelle als Pharmaberaterin an. Zeitgleich begab sie sich auf der Suche nach dem verloren gegangenen Halt im Leben auf einen Selbstfindungstrip, besuchte esoterische Kurse. Es war eine Kursleiterin mit psychologischer Ausbildung, die sie an einen Psychiater verwies. Was andere längst sahen oder spürten, war H. zunächst nicht bewusst: «Ich merkte damals schon, dass etwas nicht stimmte. Was aber wirklich mit mir los war, wusste ich nicht.» Erst die Konsultation eines Psychiaters brachte Klarheit: Sie durchlebte die erste Episode einer schweren Depression.
Jeder Fünfte leidet an Depressionen
Christine H. ist kein Opfer einer seltenen Krankheit: Dem Schweizerischen Gesundheitsobservatorium zufolge erleidet rund die Hälfte aller in unserem Land lebenden Menschen irgendwann einmal eine psychische Erkrankung. Jeder Fünfte ist mindestens einmal im Laufe seines Lebens von einer Depression betroffen, doch längst nicht jeder erkennt, dass er nicht nur einer Laune erlegen ist, wie Heinz Schutzbach, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich (ZADZ) bestätigt: «Eine Depression ist mehr als eine Trauerreaktion oder ein vorübergehendes Stimmungstief, das ein paar Tage andauert.» Eine Krankheitsepisode erstrecke sich dem Experten zufolge vielmehr über Wochen oder sogar Monate. In dieser Zeit leidet der Depressive üblicherweise unter mehreren Symptomen, dazu gehören fehlendes Interesse an Dingen, die ihm sonst immer Freude machen, depressive Stimmung, verminderter Antrieb oder gesteigerte Ermüdbarkeit, Gefühllosigkeit, Gereiztheit, Schlaflosigkeit und Konzentrationsstörungen. Er zieht sich zurück, leidet unter Umständen unter körperlichen Schmerzen. Bei schwereren Depressionen können wahnhafte Symptome, schwere Gedächtnisstörungen und/oder Suizidgedanken hinzukommen. Treten mehrere oder sogar alle Symptome auf, sollte unbedingt der Arzt aufgesucht werden. Dieser entscheidet dann, ob eine Psychotherapie allein ausreicht oder zusätzlich Psychopharmaka, zum Beispiel ein Antidepressivum, zum Einsatz kommen.
Nicht jede Depression lässt sich auf ein Ereignis wie beispielsweise einen Schicksalsschlag zurückführen: «Am häufigsten ist die Kombination aus familiärer Veranlagung und einem auslösenden Ereignis», wie Heinz Schutzbach erklärt. Bedauerlicherweise erkranken die meisten Betroffenen mehr als einmal im Leben an einer Depression.
Durchhalteparolen sind kontraproduktiv
Wesentlich findet der Psychiater, dass der Depressive in seinem näheren Umfeld Unterstützung findet. Dafür sei Aufklärung nötig. Durchhalteparolen wie «Reiss dich zusammen!» oder «Du musst positiv denken!» seien kontraproduktiv. «Wer eine Depression erleidet, ist nicht faul, sondern krank», gibt der Experte zu bedenken.
Auch Christine H. war schwer erkrankt. Nach ihrer ersten depressiven Episode, während der sie eine Psychotherapie begann, die durch die Gabe von Medikamenten unterstützt wurde, ging es ihr zwischenzeitlich besser, doch die neue, grosse Herausforderung in ihrem Leben, der Job im Aussendienst eines Pharmaunternehmens, verlangte der jungen Frau alles ab. Überstunden, Wochenendeinsätze, Reisen und zähe Beratungsgespräche mit Ärzten, kaum noch Privatleben - alles wuchs ihr über den Kopf, Psychotherapie und Medikamente reichten bald nicht mehr aus. Die Karrierefrau geriet in ein Burnout, musste hospitalisiert werden. Als sie nach Monaten aus dem Spital entlassen wurde, ging es ihr wieder gut, bis sich die nächste Episode meldete: Sie verlor ihren Job - eine Erfahrung, die sie schon zweimal durchleben musste.
Gefangen in der Todessehnsucht
Bis heute wechseln sich gute mit schlimmen Phasen ab, auch Suizidgedanken schossen ihr schon mal durch den Kopf: «Manchmal hatte ich Todessehnsucht, einen Selbstmordversuch habe ich aber nie unternommen. In den Zeiten, in denen ich über Suizid nachdachte, war ich derart handlungsunfähig, dass ich mich - zum Glück - gar nicht hätte umbringen können.» Heute hat sie gelernt, mit ihrer Krankheit umzugehen, sie als einen Teil ihrer selbst zu akzeptieren. H. engagiert sich als Präsidentin von Equilibrium, einem Verein zur Bewältigung von Depressionen: «Diese Arbeit ist mir sehr wichtig. Hier pflege ich einen regen Austausch mit anderen Betroffenen, das hilft.» Mit ihrer Arbeit will sie zu einer Entstigmatisierung dieses ernstzunehmenden Leidens beitragen, das fälschlicherweise oft als schlechte Laune oder Bequemlichkeit abgetan wird: «Die Depression ist eine schwere Krankheit, aber sie ist behandelbar - man muss vor allem darüber reden.»
Hilfe bei Depressionen bietet der Verein Equilibrium. Hier finden Betroffene und ihre Angehörigen Rat. Sind Sie selbst von Depressionen betroffen? Nehmen Sie noch bis 31. Oktober an dieser Umfrage teil!
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Stichwort Depression
Die Stoffwechselerkrankung des Gehirns, die in der Psychiatrie zu den affektiven Störungen zählt, betrifft ungefähr doppelt so viele Frauen wie Männer. Wurde die Diagnose gestellt, ist eine Psychotherapie angezeigt. Je nach Schweregrad der Erkrankung wird die Therapie durch die Gabe von Psychopharmaka (Antidepressiva) unterstützt. Die Symptome einer Depression sind vielseitig, dazu gehören unter anderem Gefühllosigkeit (der Betroffene kann sich nicht mehr freuen, nicht richtig trauern, ist selbst durch Zuspruch nicht davon abzubringen, das «alles keinen Sinn mehr hat»), Schlafstörungen, Antriebslosigkeit bis hin zur Verwahrlosung, Reizbarkeit, Ängstlichkeit, Schuldgefühle, Libidoverlust oder der Zwang zu ständigem Grübeln. Bei besonders schweren Depressionen können Wahnvorstellungen und Suizidgedanken aufkommen. Ein tatsächliches Suicidvorhaben wird vom Betroffenen meist angekündigt. Diese Anzeichen müssen unbedingt ernst genommen werden. In einem solchen Fall ist es wichtig, sofort zu handeln und den Betroffenen in psychotherapeutische Hände zu übergeben.