Márcio Rodrigues wurde Opfer einer Krypto-Mafia

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Krypto-MafiaMárcio verschwand spurlos in Zürich – jetzt erzählt er, was geschah

Der Brasilianer Márcio Rodrigues reiste in die Schweiz – dann verschwand er. Nun erzählt er, wie er in die Falle einer internationalen Gang von Kryptoinvestoren getappt war.

Márcio Rodrigues da Silva verschwand am 8. November am Flughafen Zürich, 13 Tage später tauchte er in Spanien wieder auf. Nun hat er erstmals über seine Entführung gesprochen.
«Ich war sicher, dass ich sterben würde», sagte der Brasilianer im Interview mit dem Sender R7.
Der Unternehmer hatte in den letzten Jahren in Kryptowährungen investiert.
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Márcio Rodrigues da Silva verschwand am 8. November am Flughafen Zürich, 13 Tage später tauchte er in Spanien wieder auf. Nun hat er erstmals über seine Entführung gesprochen.

Screenshot R7

Darum gehts

  • Der Brasilianer Márcio Rodrigues da Silva verschwand am 8. November am Flughafen Zürich.

  • Am 21. November tauchte er dann in Spanien auf.

  • Hinter seiner Entführung steckt eine Mafia mit Zweigen in der Schweiz, Frankreich und Spanien.

«Ich war mir sicher, dass ich meine Frau, meine Kinder nie wieder sehen würde. Ich war sicher, dass ich sterben würde», sagt Márcio Rodrigues. Der 44-jährige Brasilianer war am 8. November in Zürich entführt worden. 13 Tage später tauchte er in Spanien auf, nachdem er einer internationalen Gang entkommen konnte. Seit rund einer Woche ist Márcio zurück in seiner Heimatstadt Itupeva in Brasilien – und erzählte erstmals von seiner Odyssee.

Das Geschäft mit den Kryptowährungen

Der Unternehmer hatte in den letzten Jahren in Kryptowährungen investiert. Márcio hatte 2018 einen Anwalt und Trader kennen gelernt, der ihm ein lukratives Geschäft mit Schweizer Geschäftsleuten anbot, die ein Büro in São Paulo hatten. Vor vier Monaten begann Márcio, kleine Beträge von seinem Gewinn abzuziehen. Als er jedoch einen grösseren Betrag seines Profits forderte, sagte die Kontaktperson, er müsse in die Schweiz reisen, um sich persönlich zu identifizieren.

Was Márcio nicht wusste: Er sollte Opfer eines Betrugs werden. «Ich stand die ganze Zeit im Visier von Kriminellen», erkennt er im Nachhinein. Auf seiner Reise nach Zürich habe Márcio sein Handy dabeigehabt, auf dem auch ein Chip und eine App installiert waren. Das war wohl das Ziel der Bande. Es seien «Millionen brasilianischer Reais und Euros» gewesen, gibt Márcio an, ohne genaue Zahlen zu nennen.

Der erste Teil des Coups

Márcio war am 7. November am Flughafen Guarulhos in São Paulo abgeflogen, am nächsten Tag landete er in Barcelona. Er musste umsteigen und einen anderen Flug nach Zürich nehmen. Da begann der erste Teil der Operation: «Als ich bei der Röntgenmaschine stand, um mein Gepäck zu kontrollieren, waren drei Personen in weissem Hemd und Badges dort. Eine rief meinen Namen. Ich hob die Hand. Die Person sagte zu mir: ‹Ich muss Ihnen eine neue Bordkarte ausstellen, diese hat einen Fehler.›»

Márcio gab gutgläubig seine Bordkarte ab und erhielt eine neue, die genau gleich aussah. Was der Brasilianer nicht bemerkte: Er hatte den angeblichen Flughafenmitarbeitern die Strichcodes für die Gepäck-Identifizierung auf der Rückseite der Bordkarte mitgegeben. Als Márcio in Zürich landete, waren seine Koffer weg.

Der Brasilianer wandte sich an das Fundbüro am Flughafen. Dort konnte das Personal sein Gepäck nicht finden. Weil er während der Suche mindestens fünf Stunden am Flughafen hätte warten müssen, kontaktierte er seinen Schweizer Ansprechpartner. Kurz danach tauchten zwei Männer auf, die ihn in die Stadt bringen sollten. Das Duo nahm Márcio Fingerabdrücke ab und behielt seinen Reisepass. «Erst dann wurde mir klar, dass das alles eine Falle war.»

Die Entführung

Márcio Rodrigues rief seine Kontaktperson Juan – ein Spanier – an. «Er sagte, ich solle ein Taxi in die Stadt nehmen, dann würde er mir meinen Ausweis zurückgeben und mich im Hotel absetzen», erzählt der Brasilianer. «Als ich dort ankam, war es ein kleines Einkaufszentrum mit Geschäften. Der Taxifahrer hat mich abgesetzt, ich bezahlte 35 Euro und stieg aus. Da stand ein kleiner, schwarzer Lieferwagen. Eine Person öffnete die Tür und sagte: ‹Márcio, du kannst einsteigen, ich setze dich am Flughafen ab.› Als ich in den Van stieg, waren drei Leute drin.» Sie fuhren los – bis nach Frankreich, sollte Márcio später erfahren.

Die Kriminellen brachten den Unternehmer in einem Haus unter. «Heute kann ich ein wenig darüber sprechen, aber es war nicht einfach. Zwölf Tage gefangen, ohne Dusche, ohne Zähneputzen, ich ass nur Brot und trank Wasser.» Die Gangmitglieder zielten mit einem Revolver auf ihn. «Das ist etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich das erleben würde.»

Márcios «Zelle»

Der Brasilianer glaubt, dass das Haus für die Aufnahme entführter Menschen vorbereitet war. «Als ich ankam, lagen dort eine Matratze, eine Decke und ein Kissen.» Schlafen konnte Márcio aber nicht. «Ich konnte mich nicht strecken, ich sass die ganze Zeit. Nachts war es kalt.»

«Die Regeln waren sehr seltsam. Die Nacht über musste ich in diesem Raum ohne Tür bleiben. Und tagsüber musste ich auf der Terrasse bleiben», erzählt er dem brasilianischen Sender R7. Márcio habe seine Kleider und Schuhe ausziehen müssen. Eine Person bewachte ihn immer – mal war es Juan, mal Pablo, mal François. «Wir sassen an einem Tisch und redeten, rauchten, assen, die Waffe lag immer auf dem Tisch.»

Den Weg in die Freiheit

Am zwölften Tag kam Juan und sagte zu François: «Lass uns gehen.» Márcio lauschte jeder Bewegung: «Sie gingen zusammen die Treppe hinunter und ich hörte, (…) dass beide ins Auto gestiegen waren. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich nur noch bei Pablo war.»

«Er stand schräg zu mir, ich war etwa drei Meter von ihm entfernt und warf mich auf ihn. Durch mein Gewicht geriet er aus dem Gleichgewicht und stiess mit dem Kopf gegen die Wand. Er stürzte und schlug mit dem Kopf auf das Waschbecken», erzählt Márcio. «Da konnte ich raus.»

Der Brasilianer lief fast 20 Kilometer und fand eine Tankstelle, an der er einen Portugiesisch sprechenden Mann traf. Márcio kontaktierte seine Familie in Brasilien. Schliesslich reiste er nach Barcelona, weil er dort Verwandte hat. Sie brachten den Unternehmer zur Polizei.

Das neue Leben

Derzeit laufen laut dem Brasilianer Ermittlungen in vier Ländern: Spanien, Frankreich, der Schweiz und Brasilien. Sein ganzes Geld ist aber weg. Familie Rodrigues ist inzwischen umgezogen und steht unter Polizeischutz. Márcio Rodrigues muss sich nun ein neues Leben aufbauen. «Aber heute bin ich nur dankbar für das Leben. Den Rest werden wir lösen.»

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