Medikamentenabgabe24 oder 100 Millionen Mehrkosten? Pharma kritisiert BAG-Zahlen
Das Bundesamt für Gesundheit habe sich verrechnet, sagt die Vereinigung der Pharmafirmen. Das BAG sieht das anders.
Medikamente: Darum gehts
Die Revision des Heilmittelgesetzes verursacht Mehrkosten.
Der Bund und die Vereinigung der Pharmafirmen sind sich uneins über ihre Höhe.
Die Ärzteschaft profitiere nicht von der Umstellung, sagt der Ärzteverband.
Die Umteilung bestimmter Arzneimittel im Rahmen der Revision des Heilmittelgesetzes hat laut Bund seit 2019 zu Mehrkosten von maximal 24,5 Millionen Franken pro Jahr geführt. Diese Zahl sei falsch, kontert Vips, die Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz: Es seien über 100 Millionen.
So kam es zum Kostenstreit
Das Heilmittelgesetz teilt Arzneimittel ein in Kategorien von A (einmalige Abgabe auf ärztliche Verschreibung) bis E (Abgabe ohne Fachberatung). Kategorie C (Abgabe nach Fachberatung durch Medizinalpersonen) gibt es seit 2019 nicht mehr. Im Februar 2019 forderte eine Motion, dass deswegen keine zusätzlichen Kosten für das Gesundheitswesen entstehen. Laut BAG-Bericht verursachte die Umstellung aber 24,5 Millionen Franken Mehrkosten, weil die Patientinnen und Patienten häufiger zum Arzt gehen und die Medikamentenpreise gestiegen sind. Die Vips wirft den Behörden nun vor, die Motion nicht umzusetzen.
Hat das BAG die Kosten zu tief berechnet?
Laut Vips-Präsident Marcel Plattner brachte die Umteilung im Gesundheitswesen massive Mehrkosten. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) habe die Kosten auf einer falschen Basis berechnet, sie seien vier bis fünf Mal höher.

So hoch sind die Kosten laut Vips wirklich.
VipsDer markant gestiegene Anteil von Abgaben auf Rezept seit der Umteilung zeige, dass die Patientinnen und Patienten vermehrt ärztliche Konsultationen in Anspruch nehmen, um Medikamente zu beziehen.
Ärgert es dich, dass du nicht mehr Medikamente in der Apotheke kriegst und stattdessen zum Arzt musst?
Ärzteschaft sagt, sie profitiere nicht von Umstellung
«Die Ärzteschaft profitiert von dieser Umteilung nicht», sagt Yvonne Gilli, Präsidentin des Ärzteverbands FMH. Sie habe den Vorschlag im Parlament bekämpft. Gewünscht habe diese Änderung insbesondere die Apothekerschaft. Die Liberalisierung rückgängig zu machen, sei unrealistisch.
«Aus Sicht der Ärzteschaft ist die Kategorisierung der Medikamente mit und ohne Rezeptpflicht allein aus Sicht der Patientensicherheit vorzunehmen», sagt Gilli. Rezeptpflichtige Medikamente benötigten korrekte Diagnosen, die Erfassung individueller Risiken und eine spezifische Beratung, was Aufgabe der Swissmedic sei.
Pharmafirmen verlangen Systemänderung
«Selbst bei einer konservativen Annahme von 50 Franken Kosten pro Konsultation führt der erhöhte Anteil Verschreibungen von Medikamenten auf Rezept zu enormen Mehrkosten, die Versorgung ist aber schlechter», sagt Plattner.

Vips-Präsident Marcel Plattner.
partners in GmbHSeit 2019 seien Mehrkosten von mindestens 600 Millionen Franken entstanden, sagt Plattner, auf Kosten von höheren Prämien, ohne dass es einen Mehrwert gebe. Die Folge sei eine unnötige Belastung des Gesundheitssystems.
Das BAG widerspricht
«Das BAG hat keinen Grund, an der Korrektheit seiner Berechnungen zu zweifeln», sagt das Amt auf Anfrage. Es könne die Kostenschätzung der Vips aufgrund ihrer Gesamtkostenbetrachtung nicht bestätigen.
«Da dem BAG nicht bekannt ist, wie die Vips Mehrkosten aufgrund von zum Beispiel Arztkonsultationen herleitet, kann keine Aussage darüber gemacht werden, warum die vorgebrachten Zahlen um ein 5-faches von denen im Bericht des Bundesrates abweichen», so das Amt.
Laut BAG fallen pro Jahr maximal 13 der 24,5 Millionen Franken Mehrkosten für allfällige zusätzliche Arztkonsultationen an. Die Apotheken hätten durch die Dokumentationspflicht höchstens 2,2 Millionen Franken Mehrkosten, «wobei sie diesen Mehraufwand höchstwahrscheinlich in Form von Preissteigerungen im Umfang von 1,5 Millionen (Jahr 2021) an die Kundschaft weiterverrechnen». Die effektiven Mehrkosten seien wohl geringer als die erwähnten maximalen Gesamtkosten.
Das sagt der Apothekerverband
Der Schweizerische Apothekerverband Pharmasuisse sagt auf Anfrage, er begrüsse es, dass der Bund bestrebt sei, die Stellung der Apotheken zu stärken. Sie seien die erste Anlaufstelle bei Gesundheitsfragen und könnten viele unnötige und teurere ärztliche Konsultationen verhindern.
Vom Systemwechsel profitierten die Apotheken nicht: Für die Abgabe der umgeteilten Medikamente sei eine Dokumentation Pflicht, die wie auch die benötigte fachkundige Anamnese mit viel Aufwand verbunden sei.
Umsetzung der Vorgaben kostete Zeit und Nerven
Seit der Änderung des Heilmittelgesetzes seien die Abgabekompetenzen der Apotheken klarer definiert. So dürfen sie nun gewisse Medikamente nicht nur in begründeten Ausnahmefällen, sondern auch bei durch den Bundesrat bestimmten Arzneimitteln und Indikationen abgeben. «Die selbstbezahlte Behandlung durch Fachpersonen wird damit gefördert und gleichzeitig der Druck auf die Krankenkassenprämien gesenkt», argumentiert der Verband.
Vor allem die Dokumentation der Abgaben habe den Apotheken Schwierigkeiten bereitet. Die Umsetzung habe viel Zeit in Anspruch genommen, zumal die Apotheken wegen Personalmangel und Medikamentenengpässen sowieso schon unter grossem Druck standen.
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