Zwei SzenarienMehr Truppenbewegungen und Angriffe – was plant Putin in der Ukraine?
Im Westen wächst die Nervosität angesichts wachsender Spannungen zwischen Russland und der Ukraine. So flammt seit Tagen die Gewalt wieder auf, und Moskau verstärkt an der Grenze zu Ukraine seine Truppen. Was geht da vor sich?

Pro-russische Rebellen auf einem beschädigten Tank nordöstlich von Donetsk.
REUTERSSeit Tagen sind die Kampfhandlungen im Osten der Ukraine wieder entflammt. Entlang der ukrainischen Grenze marschieren russische Truppen auf, die OSZE berichtet von Erweiterungen von Schützengräben auf beiden Seiten der Kontaktlinie. In der von Moskau kontrollierten Donbass-Region kommt es wieder zu tödlichen Angriffen, für die sich ukrainische Streitkräfte und prorussische Separatisten gegenseitig verantwortlich machen.
Die Nato warnt und der neue US-Präsident stellt sich demonstrativ hinter die Ukraine. Russland zieht derweil weitere Einheiten zusammen, etwa in Brjansk, Rostow-am-Don und vor allem auf der Krim.
Vor diesem Hintergrund fragen sich immer mehr Militäranalysten: Steht eine neue Etappe im Krieg gegen die Ukraine bevor? Will der russische Präsident jetzt vollenden, was er 2014 begonnen hat?
Für einige Beobachter ist es durchaus denkbar, dass Wladimir Putin im Osten der Ukraine das Projekt «Neurussland» wiederbelebt. Der Zeitpunkt wäre günstig, schreibt etwa die «Süddeutsche Zeitung», zumal alle Welt mit der Corona-Pandemie beschäftigt ist.
Machtdemonstration und Test…
Es habe schon früh Warnzeichen für eine Eskalation in dem Konflikt gegeben, schreibt das «International Center for Defense and Security» im estnischen Tallin. So hätte sich bereits seit Anfang Jahr die Anzahl in der Ostukraine eingesetzter Scharfschützen aus Russland sowie die Anzahl und Intensität der Angriffe auf ukrainische Truppen stark erhöht: Trotz des seit letztem Jahr geltenden Waffenstillstandes sind seit letztem Juli demnach 45 ukrainische Soldaten gestorben – 21 davon allein seit dem 1. Januar.

Seit letztem Juli sind 45 ukrainische Soldaten gestorben, obgleich ein Waffenstillstand herrscht.
REUTERSMittlerweile stehen zwei Haupterklärungen im Raum, was Russland mit seiner militärische Machtdemonstration an den Grenzen der Ukraine wirklich will. Zur einen: Moskau will die Grenzen der amerikanischen Solidarität mit der Ukraine ausloten: «Der Kreml testet die neue US-Administration», sagt General Frederick B. Hodges vom Center for European Policy Analysis. Zudem wolle Putin mit der Zuschaustellung seiner Militärmacht den ukrainischen Präsidenten bestrafen, weil dieser gegen Putin-Vertraute Sanktionen erhoben hatte, so weitere Beobachter.
… oder ernsthafte Kriegsvorbereitung?
Zur anderen: Moskau will eine militärische Konfrontation provozieren, um in Donezk und Lugansk offiziell russische Soldaten als «Friedenstruppen» einsetzen zu können, welche Russlands Ansprüche weiter zementieren werden. Die Mehrheit der im Donbass und auf der Krim stationierten Soldaten – laut ukrainischen Angaben über 60’000 – sind offiziell keine Soldaten der russischen Armee, sondern lokale Söldner oder Angehörige des kremlnahen Sicherheitsdienstes «Wagner». Für einen massiven Militäreinsatz könnte zudem sprechen, dass zwischen Russland und der annektierten Krim eine Landverbindung geschaffen und die Industrie- und Hafenstadt Mariupol eingenommen werden könnte.

Ein ukrainischer Soldat im Schützengraben nahe der Stadt Avdivka im Dontesk-Gebiet.
REUTERSIm Moment sehen jedoch die wenigsten Analysten in den russischen Truppenbewegungen die Vorbereitung für einen Angriff Moskaus. Die Zusammenzüge seien zwar ungewöhnlich, schreibt etwa der auf die russischen Streitkräfte spezialisierte Michael Kofman auf Twitter. Dennoch dürften sie in erster Linie eine Demonstration der Stärke sein, darauf angelegt, international wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig gibt Kofman zu bedenken, dass «der Aufmarsch im Gange ist» und die Lage sich noch entwickle. Mittlerweile sei er «weniger zuversichtlich, dass alles nur eine Machtdemonstration ist, als ich es noch letzte Woche war.»
Kreml will Truppen nicht abziehen
Angesichts neuer Spannungen in der Ostukraine will Russland seine Truppen an der Grenze zum Konfliktgebiet vorerst nicht abziehen. Auf die Frage von Journalisten, wie lange die Armee an der russisch-ukrainischen Grenze bleibe, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch in Moskau: «Solange es unsere militärische Führung und der Oberbefehlshaber für angemessen halten.»
Ob eine dauerhafte Stationierung angestrebt werde, sagte Peskow nicht. Er habe darüber keine Information, sagte der Vertraute des Präsidenten Wladimir Putin. Er machte zudem keine Angaben zur Anzahl der eingesetzten Soldaten.
Teile der ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk entlang der russischen Grenze werden seit 2014 von moskautreuen Rebellen kontrolliert. Dabei war der Krieg zwischen prorussischen Kräften im Donbass und den ukrainischen Truppen nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch 2014 ausgebrochen. Seither starben nach UN-Schätzungen mehr als 13’ 000 Menschen in dem blutigen Konflikt.