Streit um Tarife - Mehrere Hausarztpraxen steigen aus der Impfkampagne aus

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Streit um TarifeMehrere Hausarztpraxen steigen aus der Impfkampagne aus


In verschiedenen Kantonen haben sich Hausarztpraxen vom Impfprogramm abgemeldet. Gesundheitspolitikerinnen wollen verhindern, dass die Impfkampagne deswegen in Verzug gerät.

Nicht alle Hausarztpraxen sind bereit, Impfungen gegen das Coronavirus anzubieten.
Zurzeit haben rund 900 von total 2800 Hausarztpraxen bisher bereits geimpft oder sich dafür angemeldet.
«Es haben sich vereinzelt Praxen angemeldet, die keine Covid-Impfung anbieten möchten», sagt etwa auch die Thurgauer Kantonsärztin Agnes Burkhalter.
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Nicht alle Hausarztpraxen sind bereit, Impfungen gegen das Coronavirus anzubieten.

20min/Taddeo Cerletti

Darum gehts

  • Einige Arztpraxen wollen keine Impfungen gegen das Coronavirus anbieten.

  • «Jede Praxis zahlt für die Impfungen drauf», sagt der Präsident des Verbands der Haus- und Kinderärzte.

  • SP-Nationalrätin Yvonne Feri fordert: «Sobald der grosse Ansturm auf die Impfungen kommt, sollen alle impfen, die können.»

Ladungen von mindestens acht Millionen Impfdosen in den Monaten April bis Juli sollen die schleppende Impfkampagne in die Gänge bringen. Ziel ist, dass damit bis Ende Juni alle Impfwilligen zumindest die erste Dosis erhalten haben. Bereits auf halber Strecke droht die Impfkampagne jedoch wieder an Schub zu verlieren.

Als sich ein 66-Jähriger aus dem Kanton Zürich kürzlich bei seinem Hausarzt für die Covid-Impfung anmelden wollte, erteilte ihm die Praxisassistentin gleich eine Absage. «Sie sagte mir, dass sie 100 Impfungen gemacht hätten und nun damit aufhörten. Ich solle mich bei einem Impfzentrum anmelden», berichtet der Zürcher. Die Absage habe ihn erstaunt. «Ich hätte mich gerne bei meinem Hausarzt impfen lassen. Schliesslich kennt er mich und meine Krankheitsgeschichte.»

900 von 2800 Praxen impfen

Zahlen aus dem Kanton Zürich bestätigen, dass nicht alle Hausärzte für die grösste Impfkampagne der Geschichte in den Startlöchern sind. Zurzeit haben rund 900 von total 2800 Hausarztpraxen bisher bereits geimpft oder sich dafür angemeldet.

«Je nach verfügbarer Impfstoffmenge werden wir die Liste der Hausärzte, die mit Impfstoff beliefert werden können, in Zusammenarbeit mit der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich in den kommenden Wochen noch erweitern», sagt Lina Lanz, Mediensprecherin der Zürcher Gesundheitsdirektion.

«Praxen meldeten sich vereinzelt ab»

Auch im Kanton Thurgau ziehen beim Impfen gegen Covid-19 nicht alle Hausärzte an einem Strick. «Es haben sich vereinzelt Praxen angemeldet, die keine Covid-Impfung anbieten möchten», sagt Kantonsärztin Agnes Burkhalter. Da mengenmässig vor allem die Impfzentren zur raschen Impfung der Bevölkerung beitrügen und viele Hausärzte weiterhin impften, könne die Thurgauer Bevölkerung bei genügender Impfstoffkapazität rasch mit Impfungen versorgt werden.

Ähnlich sieht es im Kanton Zug aus. «Zwei Praxen haben bekannt gegeben, dass sie nach Abschluss der Zweitimpfungen wahrscheinlich mit Impfungen aufhören werden», sagt der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri.

«Alle, die können, sollen impfen»

Andreas Widmer, Präsident des nationalen Zentrums für Infektionsprävention Swissnoso, befürchtete kürzlich einen Impf-Stau, sollten die Kantone im April «auf einen Schlag» über eine Millionen Dosen bekommen und diese nicht genügend schnell verimpfen können. Gesundheitspolitikern bereitet die Zurückhaltung der Hausärzte Sorgen.

«Sobald der grosse Ansturm auf die Impfungen kommt, sollen alle impfen, die können», sagt SP-Nationalrätin Yvonne Feri. Gerade die Hausärztinnen und Hausärzte spielten in der Impfkampagne eine wichtige Rolle. «Ich kenne einige Leute, die sich nur von ihrem Hausarzt impfen lassen wollen. Dafür habe ich grosses Verständnis.»

«Alle Hebel in Bewegung setzen»

Auch Ruth Humbel, Nationalrätin Die Mitte und Präsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission, sagt: «Für das Impfen müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden. Machen nicht auch die Hausärzte mit, müssen Impfungen in Apotheken möglich sein, damit die Impfkampagne nicht in Verzug gerät, sobald wir genügend Impfstoff haben.»

Zudem gibt es laut Humbel schon verschiedene Initiativen von Arbeitgeberseite, unter Mitwirkung von Ärztinnen und Ärzten Impfungen für das Personal und Angehörige anzubieten. «Es liegt an den Kantonen, solche Projekte zu bewilligen und zu unterstützen.»

«Jede Praxis zahlt drauf»

Die Hausarztpraxen, die beim Impfen gegen Covid nicht mitmachen, führen für das Impfen einen erheblichen organisatorischen Aufwand an. «Jede Praxis zahlt für die Impfungen drauf und subventioniert so die Impfung», sagt Philippe Luchsinger, Präsident des Verbands der Haus- und Kinderärzte.

Für das Verabreichen der Impfung brauche es mehr als einen Arzt und ein Zimmer. «Die Praxen müssen mindestens eine Person im Team für die Organisation der Impfungen komplett freistellen.» Die Entschädigung (siehe Box) von 24.50 Franken pro Piks sei nicht kostendeckend.

Es brauche neue Verhandlungen

Für die Gesundheitspolitiker steht fest, dass die Impfkampagne nicht an den Kosten scheitern darf. «Es ist penibel, dass es die Krankenversicherer nicht fertig bringen, mit den Ärzten einen anständigen Tarif abzumachen», sagt Ruth Humbel. Auch Yvonne Feri fordert: «Die Ärztevereinigung muss nochmals in die Verhandlungen einsteigen und ihre Klientel zugunsten höherer Tarife gut vertreten.» Dabei gehe es um die Kostendeckung. «Das Ziel ist natürlich nicht, dass Hausärzte mit dem Impfen übermässig viel Geld verdienen.»

Locker lässt der Ärztinnen- und Ärzteverband (FMH) nicht. Er fordert seine Mitglieder zu Nachverhandlungen mit den kantonalen Gesundheitsdirektionen auf, wie SRF berichtete.

Entschädigung für Praxen

Pro verabreichte Impfdosis erhalten die Hausärztinnen und Hausärzte eine Entschädigung von 24.50 Franken. Dies legte die Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) mit den Krankenversicherern im Februar fest. Hausärzte rechnen jedoch mit höheren Kosten. Pro Impfung seien deshalb mindestens 50 Franken nötig, sagt Philippe Luchsinger, Präsident des Verbands der Haus- und Kinderärzte. Diese Zahlen würden im Gegensatz zu den Tarifen der GDK und der Krankenkassen durch Berechnungen belegt.

Die GDK ist hingegen der Ansicht, mit dieser Tarifanpassung für die Arztpraxen seien keine kantonalen Verhandlungen über zusätzliche Abgeltungen mehr zu führen. Die GDK habe sich stark für eine bessere Vergütung der Impfung in Arztpraxen eingesetzt, worauf ein vertretbarer Kompromiss gefunden worden sei. Die Kantone Graubünden, Solothurn, St. Gallen und Zürich hingegen bezahlen höhere Tarife pro Impfung. Etwa der Kanton Zürich richtet den Ärztinnen und Ärzten für eine Covid-19-Impfung bei einer Person ab 65 Jahren zusätzlich 25.50 Franken aus. Für unter 65-Jährige erhalten sie 9 Franken zusätzlich.

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