UkraineBeklemmung in Kiew - «Notfallkoffer ist gepackt»
Angesichts einer möglichen russischen Invasion versuchte der ukrainische Verteidigungsminister in Kiew zu beruhigen: «Nicht nötig, gepackte Taschen zu haben». Doch genau das machen viele, berichtet eine Ukrainerin.
Darum gehts
Inmitten der Sorge vor einem russischen Einmarsch setzt die ukrainische Führung auf Beschwichtigungssignale an das Volk – und Vorbereitungen für den möglichen Ernstfall. Verteidigungsminister Oleksi Resnikow betonte jetzt im Parlament in Kiew, dass es «mit Stand heute keinen Anhaltspunkt» für eine unmittelbar bevorstehende Invasion gebe.
Die russischen Truppen hätten keinen Gefechtsverband gebildet, der die Grenze durchbrechen könnte. «Macht euch keine Sorgen, schlaft gut», ergänzte Resnikow. «Nicht nötig, gepackte Taschen zu haben.»
«Mein Notfallkoffer steht bereit»
Trotz derlei Beruhigungsversuchen – die Stimmung in der ukrainischen Hauptstadt bleibt angespannt. «Einige meiner Kollegen und Kolleginnen haben Kiew bereits verlassen. Auch ich habe einen gepackten Notfallkoffer bereitstehen», sagt Lada (40) am Telefon in Kiew.
«Noch habe ich kein Ticket gekauft», sagt sie. «Meine grösste Angst ist ein Angriff auf Kiew selbst. Doch auch wenn sich russische Truppen an der belarussischen Grenze im Norden oder im Donbass im Osten bewegen sollten …», sie lässt das Ende offen, sagt schliesslich: «Es sieht schlecht aus.»
Fluchtplan geplant
«Wir leben nach dem Motto: Bleib, so lange es geht, aber verpass den richtigen Fluchtzeitpunkt nicht», sagt Lada, Partnerin einer ukrainisch-kanadischen Sicherheitsgruppe.
In ihrem Bekanntenkreis hätten sich viele einen Fluchtplan zugelegt – über Lwiw, dem wichtigsten Oberzentrum der Westukraine, zunächst nach Polen, die Slowakei oder Rumänien.
Mehr erwartet von Bürgermeister Klitschko
Die Ungewissheit, wie die Zukunft aussehen wird, nage an allen – auch wenn «sich die, welche mit einem Angriff rechnen und solche, die das ausschliessen, etwa die Waage halten», sagt Lada. «Etwas wird passieren», befürchtet sie selbst.
Darauf angesprochen, wie sich Vitali Klitschko, Kiews Bürgermeister und Ex-Box-Champion, in dieser Krisensituation schlage, meint Lada: «Die Leute haben von ihm mehr erwartet. Jedenfalls funktionieren Kommunikation und Organisation nicht sehr gut.»
«Wir hören uns nach der Invasion»
Beispielsweise sei etwa lange unklar gewesen, wo die Stadtverwaltung fast 5000 unterirdische Räume als Bunker ausgewiesen habe. Jetzt gebe es dafür immerhin einen Plan, der zeige, wo es im Fall eines Angriffs in Kellern von Cafés oder Restaurants, in Privathäusern, Parkhäusern oder U-Bahn-Stationen Zuflucht geben würde.
Mittlerweile gebe es dafür zwar einen Plan. «Ob die Räume auch instand gesetzt wurden, ist allerdings fraglich.» Die Ukrainerin verabschiedet sich mit einem Gruss, der in der Drei-Millionen-Stadt seit einiger Zeit im Umlauf ist: «Wir hören uns nach der Invasion!» – Galgenhumor nach Kiewer Art.