Ukraine-Krieg – «Meine Familie sitzt fest und ich kann nichts tun»

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Ukraine-Krieg«Meine Familie sitzt fest und ich kann nichts tun»

Thomas Fankhauser leidet. Seine Verlobte und seine beiden Kinder harren im Stadtzentrum von Charkiw aus. Die Stadt steht unter enormem Beschuss der russischen Streitkräfte. Der Familie gehen langsam die Lebensmittel aus.

Die Familie von Thomas Fankhauser hat sich in eine unterirdische Küche flüchten müssen.
Dort sucht sie Schutz vor dem russischen Angriff.
Auf dem Bild ist die Schule zu sehen, in die die Kinder des Reinachers bis letzte Woche noch gegangen sind.
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Die Familie von Thomas Fankhauser hat sich in eine unterirdische Küche flüchten müssen.

Privat

Darum gehts

Der Alltag von Thomas Fankhauser (44) hat sich auf den Kopf gestellt. Seit der Invasion von Russland in der Ukraine kämpft sich der Reinacher durch einen Alptraum, wie er im Gespräch mit 20 Minuten sagt. Seine Freundin und Verlobte Marina Falko (38) lebt mit ihren beiden Kindern in der ukrainischen Stadt Charkiw, ganz in der Nähe des kommunalen Regierungsgebäudes, das am Dienstag von einer Rakete getroffen wurde. Die Aufnahmen der Explosion verbreiteten sich schnell.

Als klar wurde, dass der Krieg ausgebrochen sei, habe die 38-Jährige ihre Kinder gepackt, den Kühlschrank geleert und sei in das Haus ihrer Mutter geflüchtet. «Marina wohnt im achten Stock eines grossen Blocks, in einer Eigentumswohnung, die sie sich vor zwei Jahren mit Müh und Not geleistet hat. Es wäre zu gefährlich gewesen, dort zu bleiben», so Fankhauser. 

«Wir schicken uns Herzen hin und her. Es zerreisst mich.»

Thomas Fankhauser

Seit bald einer Woche lebt seine Familie in der Küche des alten Hauses der Grossmutter. Der Raum liegt unter der Erde und bietet vermeintlich Schutz. Durch kleine Fenster in der Decke fällt Tageslicht. Es ist sehr kalt, so Fankhauser. Ein kleiner Ofen sorgt für ein wenig Wärme, es sei verraucht, weil Fenster und Türen geschlossen bleiben müssen.

«Sie hocken dort, während genau jetzt in diesem Moment ein Luftangriff stattfindet. Ich weiss das, weil ich immer am Telefon bin, wir sind nonstop online. Wir telefonieren nicht, aber schreiben viel, schicken uns Herzen hin und her. Es zerreisst mich», sagt er unter Tränen.

«Die Schule von Margarita (10) und Flad (14) wurde bombardiert. Sie hat die ganze Nacht gebrannt.»

Einen Tag bevor Russland seinen Angriff auf die Ukraine startete, versuchte Marina Falko noch, an Dokumente zu kommen, um in die Schweiz zu ihrem Verlobten reisen zu können. «Für die Ausreisebewilligung der Kinder brauchte sie Unterschriften, die sie Ende Woche beisammen gehabt hätte.» Doch dann war es zu spät.

 «Überall brennen Häuser, es gibt keine Feuerwehren mehr und die Brände können einfach auf andere Gebäude übergreifen. Es finden Strassenkämpfe statt, die Leute schiessen mit Sturmgewehren aufeinander», schildert er. Die Schule der zehnjährigen Margarita und des 14-jährigen Flad, Fankhausers Kinder, wurde von Bomben getroffen. Das Gebäude hat die ganze Nacht gebrannt. «Letzten Mittwoch hatten sie noch Unterricht.» Margarita und Flad seien angeschlagen und hätten extrem Angst, erzählt ihr Vater.

«Wir sind langsam alle am Anschlag»

«Wir denken permanent darüber nach, wie sie die Stadt verlassen könnten.» Aber zurzeit könne die Familie nicht mal in den kleinen Garten des Hauses. «Einen Grossteil des Tages gilt eine Ausgangssperre und auch wenn die vorbei ist, gibt es permanent Flugalarm», so Fankhauser. Die derzeit einzige Möglichkeit, aus dem Land rauszukommen, wäre ein Regionalzug, der durch das ganze Land bis an die polnische Grenze fahren würde. Die Zugfahrt sei diese Tage keine Option. Schon der Weg zum Bahnhof sei ein unüberwindbares, gefährliches Hindernis. Hinzu kommt, dass Taxifahrten jetzt ein Vermögen kosten würden. 

Fankhauser versucht, sich abzulenken. Sein Chef hätte ihm angeboten, zu Hause zu bleiben, aber er gehe seiner Arbeit als Schweisser weiterhin nach. Alleine zu Hause bleiben, da würde er durchdrehen, sagt er. Also geht er auch heute wieder zur Arbeit, sein Handy immer griffbereit. Denn er weiss, seiner Familie gehen langsam das Essen und das Wasser aus. Die Tante seiner Verlobten braucht dringend Insulin. Doch die Läden sind leergekauft oder öffnen gar nicht erst und vor den Apotheken würden sich Schlangen mit stundenlanger Wartezeit bilden. «Wir sind langsam alle am Anschlag», sagt er.

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