EU-Asylpakt: Das sagt ein Migrationsexperte zum Entscheid

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Migrationsexperte«Die Migranten werden noch gefährlichere Routen wählen»

Das EU-Migrationsabkommen soll die illegale Einwanderung nach Europa eindämmen. Laut Migrationsexperte Benjamin Schraven wird es aber dazu führen, das Geflüchtete die Routen wechseln.

Migrationsexperte Benjamin Schraven geht davon aus, dass das Migrationsabkommen Asylverfahren beschleunigt.
Schraven sagt aber auch: Die Migranten werden noch gefährlichere Routen wählen, um in die EU zu gelangen.
Er hofft, dass die humanitären Bedingungen in den Camps annehmbar sind.
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Migrationsexperte Benjamin Schraven geht davon aus, dass das Migrationsabkommen Asylverfahren beschleunigt.

20min/Simona Ritter

Darum gehts

  • Die EU hat den Migrationspakt beschlossen. Geflüchtete sollen bereits an den EU-Aussengrenzen abgefangen werden, um ihr Recht auf Asyl vorab zu prüfen.

  • Ein Migrationsexperte ordnet ein, wie sich das Abkommen konkret auf die Flüchtlingsströme auswirkt.

  • Er sagt: Es werden nicht weniger Menschen kommen, stattdessen kommen sie über andere Routen.

Das Europaparlament hat nach acht Jahren Verhandlung den umstrittenen Asylpakt verabschiedet. Zuvor gab es im Parlament hitzige Diskussionen darüber, ob die Massnahmen menschenwürdig seien, Befürworter pochten dagegen darauf, die EU müsse handlungsfähig bleiben. Aber was bedeutet der Pakt eigentlich und welche Folgen sind zu erwarten? 20 Minuten sprach mit dem Migrationsexperten Benjamin Schraven.

Wo sehen Sie Stärken und Schwächen des EU-Asylpakts? Ist dies nun die Lösung all unserer Migrationsprobleme?
Lösung ist ein grosses Wort. Positiv finde ich, dass dadurch die Asylverfahren deutlich verkürzt werden können – auch wenn es fraglich ist, ob das wirklich innert zwölf Wochen klappt. Ich frage mich, ob in diesen Zentren dann menschenrechtliche Standards eingehalten werden, hoffe es aber natürlich. Ebenfalls fraglich: Klappt es wirklich mit dem Solidaritätsmechanismus zwischen den EU-Staaten?

Das sind die Auswirkungen auf die Schweiz

«Die Schweiz wird indirekt tangiert, da sie an den EU-Aussengrenzen bei der Registrierung mithilft», sagt Migrationsexperte Thomas Kessler, den wir in Nepal erreichen. «Und mittelfristig dürften weniger irreguläre Migranten in die Schweiz kommen, wenn die EU-Länder die Verfahren an der Aussengrenze abwickeln.» Aber: «Die Herausforderung ist die Praxis, das tatsächliche Umsetzen ist das Entscheidende.» Die Schweiz habe Erfahrung im Umgang mit den verschiedenen Nachbar-Ländern und sei daher in der innereuropäischen Zusammenarbeit relativ fit unterwegs, sagt Kessler. Aber das Wichtigste: «Zuerst müssen auch wir unsere Hausaufgaben machen.»

Migrationsexperte Thomas Kessler

Migrationsexperte Thomas Kessler

privat

Könnte der Pakt eine Abschreckungswirkung auf Geflüchtete haben?
Das glaube ich nicht. Es wird eher dazu führen, dass Menschen noch gefährlichere und teurere Routen wählen, um auf EU-Territorium zu gelangen, es wird mehr schreckliche Bilder aus dem Mittelmeer geben. Das Abkommen ist definitiv nicht die endgültige Lösung.

Wie schnell werden diese Massnahmen ihre Wirkung entfalten?
Vermutlich wird nach Bereitstellung der Infrastruktur relativ schnell ein Effekt eintreten. Zeitverzögert, nach etwa 2 bis 3 Jahren, wird man dann aber die Ausweicheffekte, von denen ich eben gesprochen habe, bemerken.

Wenn das Abkommen nur Ausweicheffekte begünstigt, was würde dagegen langfristig helfen?
Oft wird gesagt, man müsse die Lebensbedingungen in den Herkunftsstaaten verbessern. Aber das lässt sich natürlich in Form von Entwicklungszusammenarbeit machen, ist aber nur begrenzt wirksam. Ein Thema, das Europa zu wenig in Betracht zieht: Die reguläre Migration. Denn nicht jeder Geflüchtete ist auch jemand, der im Sinne des Asylrechts wirklich ein Bleiberecht hat. Europa wird aber gleichzeitig immer älter, langfristig braucht es Menschen, die hier arbeiten. Und damit meine ich nicht hochausgebildete Akademiker, sondern Leute, die «normale» Jobs machen. Um konkurrenzfähig zu bleiben, brauchen wir langfristig solche Menschen.

Laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex sind 2024 bereits etwa 36’000 Personen illegal nach Europa gekommen. Sind das viele im Vergleich zu den Vorjahren?

Das ist moderat, würde ich sagen beziehungsweise ist das, was wir aus den Vorjahren bereits kennen. In den Wintermonaten kommen generell weniger Menschen, die klimatischen Bedingungen entlang der Route spielen eine grosse Rolle.

Im Januar hatte Frontex den höchsten Anstieg der irregulären Grenzübertritte innerhalb eines Monats seit 2016 registriert – wie ist das zu erklären?

Dafür gibt es meist nicht einen einzigen Grund, es ist ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Einer davon: Bestimmte Länder ändern ihr Vorgehen und winken Geflüchtete einfach durch. So zum Beispiel Serbien, das 2023 viele Migranten aus der Türkei und Indien durchgelassen hat.

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