Übergewicht«Mit 150 Kilo finde ich keine Freundin»
Murat (18) und Christian (35) leiden seit Kindesalter an starkem Übergewicht. 20 Minuten erzählen sie ihre Geschichte.

In Schweizer Städten ist jeder vierte Schüler in der Oberstufe zu dick (Symbolbild).
In den Städten Basel, Bern und Zürich ist jeder vierte Schüler in der Oberstufe zu dick. Oft sind die Ursachen von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen im sozialen Umfeld zu suchen, zum Beispiel wenn die Kinder zu Hause schlecht betreut sind, wie Andreas Bächlin, Vorstandsmitglied des Schweizerischen Fachverbands Adipositas im Kinder- und Jugendalter, in einem Interview mit 20 Minuten erklärte.
Jetzt erzählen zwei Leser, die schon von Kindesbeinen an stark übergewichtig waren, ihre Geschichte.
Drei Döner, zwei Sandwiches, Chips und Cola
Murat* (18) ist 174 Zentimeter gross und wiegt 151 Kilogramm. Schon mit 14 Jahren sprengte er erstmals die 100-Kilo-Marke. Essen ist für ihn wie eine Droge: «Wenn es zu Hause nichts hat, das ich gern habe, fühle ich mich wie ein Raucher, der keine Zigaretten mehr hat.» In solchen Fällen bekomme er Aggressionen und fühle sich einsam. «Deshalb schaue ich immer, dass es genug zu essen in der Küche hat.»
Der Grund für seine Körperfülle sei sein Essverhalten, sagt Murat: «An einem Tag, an dem ich Hunger habe, esse ich drei Döner, zwei Sandwiches, eine Portion Pommes frites und eine grosse Packung Chips, dazu trinke ich 1,5 Liter Cola Zero.» Er gehe täglich zur Dönerbude: «Meistens esse ich zwei Döner zur selben Mahlzeit und einen spare ich für später auf.»
Eine Freundin findet er nicht
Zufrieden ist Murat mit seinem Körper nicht: «Im Sommer gehe ich nicht in die Badi, weil ich mich schäme.» Auch in der Schule sei er Opfer von Mobbing geworden: «Besonders der Sportunterricht habe ich dann gemieden, indem ich Verletzungen vortäuschte oder meine Sportbekleidung absichtlich zu Hause liess.»
Murat hat zwar mehrmals versucht, eine Diät zu machen, doch die Abspeckversuche seien alle an der mangelnden Motivation gescheitert. «Ich wurde immer wieder rückfällig.» Was ihm helfen würde, wäre, eine Freundin zu finden: «Dann wäre ich motivierter, etwas an meinem Körper zu verändern.» Jemanden zu finden, der sich mit einem Übergewichtigen einlassen wolle, sei aber schwer. «Ich wünsche wirklich niemandem, in einem solchen Körper zu stecken.»
Eltern nie zu Hause
Noch früher als Murat durchbrach Christian* die 100-Kilogramm-Grenze – nämlich bereits vor seinem achten Geburtstag. Essen sei für ihn eine Art Freizeitbeschäftigung gewesen, sagt der heute 35-Jährige: «Ich ass dauernd, solange ich noch irgendetwas in meinen Körper stopfen konnte, tat ich das auch, weil es mich befriedigte und glücklich machte.»
Hinzu kommt, dass seine Eltern nur selten zu Hause waren: «Sie arbeiteten beide von früh bis spät, mein Bruder und ich mussten selber schauen, was wir assen.» Auch nach der Arbeit hätten sie lieber ihre Ruhe gehabt statt etwas mit der Familie zu unternehmen oder gemeinsam zu essen und so ihren Kindern eine gesunde Lebensart vorzuleben. Christian gibt seinen Eltern deshalb die Schuld für sein früheres Essverhalten: «Wenn man einem Kind nicht zeigt, wie es sich gesund zu ernähren hat, kann es dieses nicht einfach umsetzen.»
Er selbst habe als Kind seinem Übergewicht keine besondere Bedeutung beigemessen: «Ich merkte aber schon, dass mich die anderen Kinder nicht akzeptierten und mobbten, etwa wenn mich im Sportunterricht nie jemand in seiner Mannschaft haben wollte.» Trotzdem bezeichnet Christian seine Kindheit nicht als unglücklich: «Solange ich essen konnte, war ich glücklich und heute finde ich es erschreckend, wie viel es braucht, um mich zu motivieren, etwas dagegen zu unternehmen.»
Heute kämpft Christian noch immer gegen sein Übergewicht, er wiegt 130 Kilogramm bei einer Körpergrösse von 177 Zentimeter. «Bis vor 10 Jahren wog ich allerdings noch rund 160 Kilogramm.» Auch in der Erwerbstätigkeit stellt ihn sein Übergewicht vor Herausforderungen: Der gelernte Gipser ist nur zu 50 Prozent arbeitsfähig.
*Name geändert