Auswanderer-Serie«Mit Ausländern verstand ich mich immer besser»
Andreas Schädler hatte vom Schweizer Alltagstrott die Nase voll. In Barcelona hat er sein Glück gefunden, obwohl er seit kurzem arbeitslos ist.
Von morgens um halb sieben Uhr bis abends um halb sieben stand Andreas Schädler im Supermarkt. Zu Hause fiel er erschöpft ins Bett. Zehn Jahre ging das so. Er habe gern gearbeitet, sagt Schädler. «Aber nach all diesen Jahren musste ich irgendwann sagen: Jetzt ist Schluss.» 2013 wanderte der 28-Jährige von Fischbach-Göslikon im Aargau nach Barcelona aus, wo er regelmässig Ferien gemacht hatte. Seine «Probleme mit diversen Sachen» wollte er hinter sich lassen, zum Beispiel die Verschlossenheit der Schweizer und ihre Luxusprobleme. Er fügt an: «Ich fühlte mich nie als richtiger Schweizer.» In seiner Verwandtschaft habe er sich mit den angeheirateten Brasilianerinnen und Russinnen immer viel besser verstanden.
Heute lebt der ehemalige Detailhandelsangestellte in einer Wohnung im Zentrum von Barcelona. In der Nähe befinden sich zahlreiche Schwulenbars und Quartierläden. «In den Läden hat es von Zangen über Duschmittel und Tischtücher bis hin zum Pornofilm alles ausser Lebensmittel», erzählt er lachend. Nicht nur das Schwulenviertel sorgt dafür, dass sich der Homosexuelle pudelwohl fühlt. Katalonien habe das strengste Antidiskriminierungsgesetz. «Wenn Homosexuelle in der Stadt Hand in Hand laufen, dreht sich hier niemand um.» Auch das Klima sagt ihm sehr zu. Selbst im Winter regne es kaum. «Depressive Anflüge kenne ich hier nicht mehr.»
Spanier sitzen immer draussen
In Barcelona finde das Leben vor allem draussen statt. «Sogar im Winter, wenn es kalt ist, sitzt man vor den Bars und trinkt dann halt Kaffee oder Tee.» Es sei auch üblich, dass sich wildfremde Passanten spontan zu einer Gruppe gesellten.
Im Moment geniesst der Auswanderer das Leben in vollen Zügen. Er schläft aus, trifft sich morgens mit Freunden zum Kaffee, isst mit ihnen zu Mittag und geht am Strand spazieren. Doch im Paradies ist der junge Mann nicht angekommen. Kürzlich verlor er seinen Job als Telefonverkäufer in einer Softwarefirma. Er hätte eine unausgereifte Software im deutschen Markt verkaufen sollen. «Das Geschäft lief nicht. Ich verlor die Motivation und erhielt die Kündigung.» Er ist aber zuversichtlich, bald eine neue Stelle zu finden. In Barcelona gebe es viele internationale Firmen. «Als Deutschsprachiger kommt man schnell zu einem Job.»
Ein Jahr lang ein kaputtes Dach
Dass das Leben in Spanien auch Schattenseiten hat, merkt der Auswanderer im Alltag immer wieder. An das gemächliche Tempo muss sich der Schweizer gewöhnen. «Behördengänge sind hier kompliziert.» Bis etwas klappe, brauche es immer mehrere Anläufe und Termine. Auch die Handwerker stellten ihn auf eine Geduldsprobe. Als Schädler einzog, lief zwei Wochen kein warmes Wasser. Es kam auch vor, dass Handwerker Termine «total vergassen» oder dass «gar nichts passierte»: Ein Jahr lang regnete es wegen eines kaputten Dachs in seine Wohnung. «Das Dach wurde erst geflickt, als ich aufhörte, die Miete zu bezahlen.»
Auch seine Essgewohnheiten verraten, dass er noch schweizerisch tickt. «Die Spanier essen erst zwischen 21 und 22 Uhr. Das ist für mich zu spät.» Ganz hat Schädler der alten Heimat ohnehin nicht den Rücken gekehrt. «Ich stimme immer ab.» Da die Schweizer schon das Privileg hätten, die Politik entscheidend zu beeinflussen, wolle er auch davon Gebrauch machen. «Ich bin froh, wenn ich so indirekt einen Beitrag für meine Familie und Freunde in der Schweiz leisten kann.»
Serie Auslandschweizer
Immer mehr Schweizer zieht es ins Ausland. Wie die neuste Auslandschweizerstatistik des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten zeigt, wuchs die Zahl der Auslandschweizer auch 2015 um zwei Prozent. Im letzten Jahr lebten insgesamt über 760'000 Schweizer im Ausland. Doch was motiviert so viele Schweizer, ihr Leben in einem anderen Land aufzubauen und welche Erfahrungen haben sie gemacht? In einer Serie mit Portraits von vier Auslandschweizern geht 20 Minuten diesen Fragen nach.