Kürzerer Impfschutz?«Müssen bei Drittimpfung aus den Fehlern der Vergangenheit lernen»
Der Impfschutz muss womöglich bereits nach fünf Monaten wieder aufgefrischt werden. In der Schweiz sind erst für 2022 Drittimpfungen geplant – jetzt machen Politikerinnen und Experten Druck.
Darum gehts
Daten aus Israel legen nahe, dass möglicherweise bereits nach fünf Monaten der Impfschutz mit einer dritten Impfung aufgefrischt werden muss.
Israel beginnt deshalb am 2. August mit Auffrischungsimpfungen für über 60-Jährige.
In der Schweiz gibt es dazu noch keine konreten Pläne. Erste Auffrischungsimpfungen sind erst im Jahr 2022 geplant und abhängig von den Herstellern. Das BAG beobachtet die Lage.
Verschiedene Länder legen mit der Drittimpfung los: In Israel etwa, können alle über 60 nach der zweiten Impfung eine dritte erhalten, um den Impfschutz aufzufrischen. Die israelischen Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass der Impfschutz in dieser Bevölkerungsgruppe nach fünf Monaten mit einer weiteren Impfung aufgefrischt werden muss. Ab dann bieten sie die Drittimpfung an.
Israels Präsident Jitzchak Herzog etwa hat sich jüngst zum dritten Mal impfen lassen. Auch in Grossbritannien und Frankreich soll es bald losgehen mit Drittimpfungen. Laut einer neuen Studie sind Israelinnen und Israelis, die im Januar geimpft wurden, noch zu 16 Prozent gegen eine Infektion geschützt, jene vom April zu 75 Prozent. Der Schutz vor einem schweren Verlauf ist gemäss der Studie von über 90 Prozent auf 80 Prozent gefallen.
«Haben Impfstart schon einmal verschlafen»
Auch in der Schweiz sind Impfdurchbrüche ein Thema. Bis zum 29. Juli hatte die Schweiz 391 Infektionen, 92 Hospitalisationen und 18 Todesfälle bei vollständig immunisierten Menschen zu verzeichnen. Expertinnen und Experten betonen aber, diese Zahlen seien im Vergleich zur Gesamtzahl der Impfungen tief, der Impfschutz sei nach wie vor gut.
Ex-BAG-Vize Andreas Faller fordert, dass die Schweiz die Daten aus Israel und anderen Ländern sowie das Thema Auffrischungsimpfungen ernst nimmt: «Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Israel war uns bei der Impfkampagne auch schon einen Schritt voraus und wir haben zu zögerlich reagiert. Es darf uns nicht noch einmal passieren, dass wir kostbare Zeit verlieren.»
Booster-Impfungen erst 2022
Laut Daniel Speiser, Immunologie-Professor an der Uni Lausanne, sollte die Kampagne für die Booster-Impfung spätestens im Januar 2022 ausgerollt werden. «Eine dritte Impfung wird wahrscheinlich besonders für Personen über 75 Jahre und Risikogruppen nötig werden.» Mit Blick auf die im Ländervergleich relativ tiefe Durchimpfung bei den Älteren hofft Speiser, dass die Kampagne zur Booster-Impfung dann auch weitere Ältere zur Impfung motivieren kann. «Zentral wird sein, dass wir mit einer guten Kampagne von der dritten Impfung überzeugen können.»
Da die Impfstoffe von Moderna und Pfizer auch gut gegen Delta schützen, könne die Booster-Impfung mit den bereits verfügbaren mRNA-Impfstoff Beständen und den bestellten Dosen durchgeführt werden, sagt Speiser. «Sobald die Zulassung da ist, können wir beginnen.»
Für gesunde Menschen unter 75 drängt sich laut Speiser eine dritte Impfung noch nicht unmittelbar auf. «Sie wird aber zum Thema, wenn Varianten kursieren, die die Impfstoffe teilweise umgehen würden, was bis jetzt glücklicherweise kaum der Fall ist.»
«Unklare Faktenlage verunsichert die Bevölkerung»
Auch aus der Politik nimmt der Druck auf das BAG und den Bundesrat zu: «Die Datenlage ist derzeit sehr unsicher und verwirrend», sagt SP-Nationalrätin Yvonne Feri. «Man hört und liest unterschiedliche Angaben dazu, wie lange die Impfung schützt. Das verunsichert die Bevölkerung. Ich kenne Leute, die sagen, wenn die Impfung bloss ein Jahr schütze, sähen sie keinen Grund, sich zu impfen.»
Feri fordert, dass Bundesrat und BAG dieses Thema direkt nach den Sommerferien angehen: «Die vorhandenen Daten und Studien müssen sauber aufgearbeitet und der aktuelle Wissensstand klar kommuniziert werden. Neben dem Ziel, die Impfquote zu steigern, muss auch eine klare Strategie für allfällige Drittimpfungen ausgearbeitet werden.»
Swissmedic hat noch keine Daten
Bevor Drittimpfungen vorgenommen werden können, müssen die Impfstoffhersteller ein Gesuch bei Swissmedic und entsprechende Daten einreichen. Das ist gemäss Swissmedic-Sprecher Alex Josty bislang noch nicht geschehen. «Anschliessend prüft Swissmedic die eingereichten Daten und trifft einen Entscheid.»
Nach der Zulassung geben das BAG und die Eidgenössische Kommission für Impffragen üblicherweise noch eine Empfehlung ab. Das BAG sieht eine Drittimpfung zum jetzigen Zeitpunkt nur für Menschen mit einer krankheitsbedingten Immunschwäche vor. Für weitere Personengruppen ist erst 2022 eine Drittimpfung vorgesehen (siehe unten).
Hat das BAG genug Impfstoff für Drittimpfungen beschafft?
BAG-Mediensprecher Masha Renfer-Foursova sagt gegenüber 20 Minuten, aktuelle Daten zeigten, dass eine vollständige Impfung mit mRNA-Impfstoffen einen guten Schutz gegen aktuelle Virusvarianten böte. «Zum heutigen Zeitpunkt ist in diesem Jahr für die breite Bevölkerung keine Auffrischimpfung vorgesehen.» Das BAG und die EKIF verfolgten die neusten Erkenntnisse eng und prüften laufend allfällige Anpassungen der Impfempfehlung.
Auf Twitter wird derweil spekuliert, ob das BAG überhaupt ausreichend Impfstoffe habe, um bereits 2021 Drittimpfungen durchzuführen. Am 6. Mai kündigte das BAG an, zusätzliche sieben Millionen Dosen von Moderna für die ersten Monate 2022 bestellt zu haben. Weitere sieben Millionen Dosen könnten bei Bedarf für den Rest des Jahres bestellt werden. Twitter-User
Hernâni Marques glaubt, dass das BAG für 2021 gar nicht genug Impfstoff habe, um breitflächig Drittimpfungen vorzunehmen.
Foursova vom BAG widerspricht: «Die Schweiz hat im Jahr 2021 genügend Impfstoffe bestellt. Für das Jahr 2022 werden ebenfalls ausreichend Impfstoffe besorgt, um der gesamten Bevölkerung der Schweiz einen sehr hohen Impfschutz anzubieten.»
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