«Müsste die Regierung heute entscheiden, würde sie aufgeben»

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Rahmenabkommen«Müsste die Regierung heute entscheiden, würde sie aufgeben»

Die kritischen Stimmen wurden schon länger lauter. Nun sollen diese auch beim Bundesrat angekommen sein. Aus dem neuen Vertragswerk mit der EU wird wohl nichts.

Die Schweiz und die EU verhandeln derzeit ein Rahmenabkommen, das die Beziehung zwischen den beiden für die kommenden Jahrzehnte regeln soll.
Brüssel beharrt dabei auf mehreren Punkten, die ihren Bürgern und Unternehmen einen vereinfachten Zugang zur Schweiz ermöglichen sollen.
Der zuständige Bundesrat Ignazio Cassis wird bei den Verhandlungen zum Rahmenabkommen laut «Sonntagsblick» zunehmend zwischen den Fronten zerrieben.
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Die Schweiz und die EU verhandeln derzeit ein Rahmenabkommen, das die Beziehung zwischen den beiden für die kommenden Jahrzehnte regeln soll.

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Darum gehts

  • Die Schweiz und die EU verhandeln seit Jahren über ein Rahmenabkommen.

  • Darin sollen sämtliche Sektoren des Verhältnisses abgedeckt werden.

  • Mehrere darin enthaltene Punkte sind in der Schweiz umstritten: allen voran die Unionsbürgerschaft.

Seit Jahren wird schon über das Rahmenabkommen mit der EU (auch «Insta» genannt) gestritten. Nun berichtet der «Sonntagsblick», dass nach dem Parlament nun auch der Bundesrat aufgegeben haben soll, sich mit Brüssel in kritischen Fragen zu einigen. «Mission Impossible» verlautbaren Quellen der Zeitung oder: «Es muss ein Wunder geschehen.» Die Positionen würden einfach zu weit auseinander liegen, erklärte gar ein Bundesratsmitglied der Zeitung.

Die Befürworter, besonders die bürgerlichen Mitglieder, Keller-Sutter, Maurer und Parmelin sollen sich laut «Sonntagsblick» dagegen stemmen, dass der Bundesrat Haltung in der Frage einnimmt und das Abkommen und über die Schlusslinie bringt. «Wenn die Regierung heute entscheiden müsste, dann würde sie aufgeben», zitiert die Zeitung einen weiteren Insider.

Parlament und Bundesrat spielen sich den Ball zu

Das Team von Chefunterhändlerin rund um die neue Leiterin der Schweizer Delegation in Brüssel feilschte in den vergangenen Wochen noch einmal mit der EU. Deren Entscheid, ob man den Vertrag akzeptiert, wird nun für den April erwartet. Sollte es so weit sein, ginge das fertige Dokument zurück nach Bern, wo der Bundesrat vor der Wahl stünde. Bei einer Zustimmung seinerseits käme es zum normalen Prozess: Abnahme im Parlament und anschliessend eine Volksabstimmung. Doch danach sieht es im Moment nicht aus. Stattdessen stehen die sieben Bundesratsmitglieder scheinbar vor der Wahl: Das Abkommen ganz abschiessen oder noch einmal an den Nationalrat übergeben?

Im Bundesrat sollen gemäss «Sonntagsblick» die Bundesräte Ueli Maurer (SVP), Simonetta Sommaruga (SP), Alain Berset (SP), Guy Parmelin (SVP) und Karin Keller-Sutter (FDP) dem aktuellen Vertragstext ähnlich ablehnend gegenüberstehen wie eine Mehrheit des Parlaments.
Keller-Sutter hatte bei der Abstimmung im vergangenen Herbst zur Begrenzungs-Initiative der SVP explizit erklärt, dass ein «Ja» keine Absage an das Rahmenabkommen bedeute.
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Im Bundesrat sollen gemäss «Sonntagsblick» die Bundesräte Ueli Maurer (SVP), Simonetta Sommaruga (SP), Alain Berset (SP), Guy Parmelin (SVP) und Karin Keller-Sutter (FDP) dem aktuellen Vertragstext ähnlich ablehnend gegenüberstehen wie eine Mehrheit des Parlaments.

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Um was wird gestritten? Drei Themen dominieren: Der Lohnschutz, die sogenannte Unionsbürgerrichtlinie, sowie staatliche Beihilfen. Ersteren fordern die Gewerkschaften vehement. Weil der Schutz von Schweizer Löhnen derzeit nicht als Gradmesser im Vertrag festgehalten wird, lehnen sie und weite Teile der Linken den Vertrag ab. Bei der Unionsbürgerrichtlinie, die laut den Gegnern zu mehr Einwanderung führen könnte, sind die Fronten hingegen diffuser. Gerade in der politischen Mitte wird die Gefahr kleiner oder grösser eingeschätzt. Bürgerliche Politiker schliesslich stören sich an Klauseln, die Schweizer Beihilfen an heimische Unternehmen erschweren könnten. So würden nach ihnen beispielsweise die Kantonalbanken in Schwierigkeiten geraten.

«Fick dich, EU!»

Die Nerven liegen in Bern offenbar blank ob des heiklen Dossiers. Der «Sonntagsblick» schreibt von einer Situation im Bundeshaus, bei der eine Nationalrätin gerufen haben soll «Fick dich, EU!». In einigen Parteien zieht sich ein tiefer Graben durch die Fraktionen, allen voran bei der SP, FDP und Die Mitte. Einzig die GLP steht geschlossen hinter dem aktuellen Text. Befürworter aus ebendiesen Parteien, sowie den Grünen, haben dem Bundesrat in einem Schreiben mitgeteilt, er soll unbedingt die Landesinteressen im Blick behalten.

Für Christa Markwalder von der FDP wäre es der «Super-Gau», würde das Abkommen scheitern, wie sie dem «Sonntagsblick» erklärte. «Wer wird mit einem Land noch abkommen aushandeln, dessen Regierung nach jahrelangen Verhandlungen den Vertrag abschiesst?» Tiana-Angelina Moser, von der GLP fordert laut «NZZ», dass das das jetzige Vertragswerk noch einmal ins Parlament geht für die Vernehmlassung. Der Entscheid müsse breit abgestützt sein, sagt sie.

Kommt doch noch der Turnaround?

Am Montag soll es in Bern zur einer Krisensitzung zwischen der zuständigen Aussenpolitischen Kommission und dem Bundesrat kommen, zu der laut «Sonntagsblick» Bundesrat Ignazio Cassis gar extra aus den Ferien anreist.

Die GLP-Politikerin Tiana Angelina Moser fordert vom Bundesrat, dass er auch bei einem negativen Bescheid aus Brüssel das Rahmenabkommen noch einmal ans Parlament übergibt.
Auch FDP-Nationalrätin Christa Markwalder, die bis im vergangenen Jahr Präsidentin der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz (Nebs) war, befürwortet den vorliegenden Text. Für sie käme ein ein Abbruch der Verhandlungen einem «Super-Gau» gleich.
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Die GLP-Politikerin Tiana Angelina Moser fordert vom Bundesrat, dass er auch bei einem negativen Bescheid aus Brüssel das Rahmenabkommen noch einmal ans Parlament übergibt.

Franziska Rothenbuehler 

Unklar bleibt, wie das Schweizer Volk entscheiden würde, käme es zu einer Abstimmung über das Insta. Noch im Sommer 2019 erklärte der Bundesrat, das vorliegende Abkommen sei «in weiten Teilen» im Interesse der Schweiz (NZZ).

Gegner und Befürworter streiten sich darüber, wie negativ ein Nein für das Abkommen für die Schweizer Wirtschaft ausfallen würde. Der «Sonntagsblick» blickt auf das Jahr 1992 zurück, als die Schweiz Nein sagte zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Bis Ende des Jahrzehnts setzte kein starkes Wachstum mehr in der Schweiz ein.

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