Sind Energiewaffen für das Havanna-Syndrom verantwortlich?

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Mysteriöse SymptomeWas steckt hinter dem Havanna-Syndrom?

Eine Recherche verschiedener Medienhäuser hat ergeben, dass eine russische Geheimdiensteinheit für das sogenannte Havanna-Syndrom verantwortlich ist. Was hat es mit der Krankheit auf sich? Und: Kann man sich schützen?

Während des Nato-Gipfels im litauischen Vilnius im vergangenen Jahr zeigte ein hochrangiger Beamter des US-Verteidigungsministeriums Symptome, die denen des sogenannten Havanna-Syndroms ähneln.
Am Montag hatten Journalisten des Magazins «Der Spiegel» gemeinsam mit Kollegen der Nachrichtenmagazine «60 Minutes» (CBS) und «The Insider» eine Recherche veröffentlicht, die darlegt, warum hinter dem Havanna-Syndrom womöglich doch Angriffe des russischen Geheimdienstes stecken könnten.
Die ersten Fälle traten offiziell erstmals im Herbst 2016 bei Diplomaten und Angehörigen der US-Botschaft in Havanna, Kuba, auf. Inzwischen gehen US-Behörden von rund 1500 Fällen aus, die aus 96 Ländern gemeldet wurden. (Im Bild: Die US-Botschaft in Havanna, 2018.)
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Während des Nato-Gipfels im litauischen Vilnius im vergangenen Jahr zeigte ein hochrangiger Beamter des US-Verteidigungsministeriums Symptome, die denen des sogenannten Havanna-Syndroms ähneln.

IMAGO/NurPhoto

Darum gehts

  • Das Havanna-Synrom ist dank neuer Recherchen wieder ein Thema.

  • Noch immer ist unklar, was dahintersteckt: Die Vermutungen reichen von Energiewaffen bis hin zu gepulsten Mikrowellen.

  • Sollten Letztere die Ursache sein, könnten engmaschige Metallnetze helfen, die die Strahlen reflektieren – so wie bei Mikrowellenherden.

  • Auch das Auskleiden von Gebäuden mit Alufolie könnte schützen.

Was ist das Havanna-Syndrom?

Das sogenannte Havanna-Syndrom ist ein Sammelbegriff für Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Tinnitus, Übelkeit, Sehstörungen und kognitive Einschränkungen. Inzwischen wird offiziell von Anomalous Health Incidents (AHI) gesprochen, also von «nicht normalen Gesundheitsereignissen».

Wann trat das Syndrom erstmals auf?

Die ersten Fälle traten offiziell erstmals im Herbst 2016 bei Diplomaten und Angehörigen der US-Botschaft in Havanna, Kuba, auf. Inzwischen gehen US-Behörden von rund 1500 Fällen aus, die aus 96 Ländern gemeldet wurden. Darunter Indien, China, Österreich und die Schweiz. Im Januar 2022 hatten Regierungsinsider gegenüber dem «Wall Street Journal» angegeben, dass auch die US-Vertretung in Genf betroffen sei.

Der erste Fall könnte laut der neuen Recherche aber bereits zwei Jahre früher in Frankfurt aufgetreten sein, als ein Mitarbeiter des US-Konsulats aufgrund eines «starken Energiestrahls» ohnmächtig wurde.

Gibt es langfristige Folgen?

Eine aktuelle Studie der Nationalen Gesundheitsinstitute der USA (NIH) hat in den Gehirnen von AIH-Betroffenen keine Anomalien im Vergleich zu jenen einer Kontrollgruppe gefunden. Für die Studie hatte ein Team aus Radiologen und Neurologen von 2018 bis 2022 insgesamt 81 ehemalige Botschaftsmitarbeitende mittels Kernspintomografie (MRT) untersucht. Hauptautor Carlo Pierpaoli sagt zu den Ergebnissen allerdings: «Dass wir keine signifikanten Unterschiede bei den Teilnehmern mit AHI im Kernspin gefunden haben, bedeutet nicht, dass es keine schädliche Einwirkung auf das Gehirn gab, als die Beschwerden erstmalig aufgetreten sind.»

Auch eine zweite Studie der NIH konnte keine körperlichen Auffälligkeiten bei Betroffenen feststellen, hält aber fest, dass das Ausmass an schwerer Erschöpfung, Benommenheit und depressiver Neigung bei den ehemaligen Botschaftsmitarbeitern deutlich grösser war, als bei der Kontrollgruppe. Sie litten zudem an Stress, Stimmungsschwankungen und gelegentlich an unklaren Schmerzen, für die sich keine direkte Ursache finden liess.

Die Autoren gaben allerdings zu bedenken, dass ihre Studien im Widerspruch zu den Ergebnissen von Forschern der University of Pennsylvania stünden, die Unterschiede in den Gehirnscans von Menschen mit Havanna-Syndrom-Symptomen und einer Kontrollgruppe gefunden hatten. Auch David Relman, der sich intensiv mit AHI befasst hat, sagte in einem Kommentar zu den neuen Studien, dass viele Hirnverletzungen mit Scans oder Blutmarkern nur schwer zu erkennen seien. Er fügte hinzu, dass die neuen Ergebnisse nicht ausschliessen, dass eine äussere Kraft, wie etwa eine Energiewaffe, die Regierungsmitarbeitenden verletzt haben könnte.

Was ist die Ursache des Syndroms?

Was die Symptome verursacht, ist bis heute unklar. Zu Beginn wurde vermutet, dass die Beschwerden von neuartigen Energiewaffen ausgelöst werden. Ein Bericht der amerikanischen National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine aus dem Jahr 2020 legte nahe, dass die neurologischen Symptome auf eine hochfrequente Strahlungsenergie zurückzuführen sein könnten, zu der auch gepulste Mikrowellen gehören.

Auch die Resultate der aktuellen Recherche weisen in diese Richtung. Demnach soll hinter den Attacken eine Spezialeinheit des russischen Militärgeheimdienstes GRU stehen. Ein Spezialgebiet von Einheit 29155 seien «nicht tödliche akustische Waffen», für deren Entwicklung mehrere Mitglieder der Einheit ausgezeichnet und befördert worden seien.

Dem widersprechen fünf US-Geheimdienste. 2023 erklärten sie: «Es gibt keine glaubwürdigen Beweise dafür, dass ein ausländischer Gegner über eine Waffe oder ein Sammelgerät verfügt, das die gemeldeten Symptome verursacht hat.» Die Behörden erklärten zudem, dass die gemeldeten Symptome das Ergebnis von Faktoren sein könnten, «die nicht mit einem ausländischen Gegner zu tun haben, wie Vorerkrankungen, herkömmliche Krankheiten und Umweltfaktoren».

Auch das Büro der Direktorin der nationalen Nachrichtendienste schrieb in seiner jährlichen Bedrohungsanalyse (2024 Annual Threat Assessment) im vergangenen Monat, dass an den AHI-Fällen «kein ausländischer Gegner beteiligt war». Auf die neue Recherche angesprochen, bekräftigte der Sprecher des US-Aussenministeriums, Matthew Miller, am Montag, dass man weiterhin Vertrauen in diese früheren Einschätzungen habe. Aber auch, dass man sich neue Informationen ansehen und eine Bewertung vornehmen werde.

Wie kann man sich schützen?

Sollte wirklich eine Mikrowellenwaffe zum Einsatz gekommen sein, gibt es Wege, deren Wirkung abzuwehren. So schützen etwa engmaschige Metallnetze gegen die Strahlung, denn Metall reflektiert die Strahlen zurück zur Quelle. Die Öffnungen müssen dabei kleiner sein als die Länge der Mikrowellen. Zum Vergleich: Die Wellenlänge der Mikrowellen in Haushalts-Mikrowellengeräten beträgt in der Luft 12,25 Zentimeter. Auch eine Auskleidung eines Gebäudes mit Aluminiumfolie würde die Mikrowellen reflektieren.

So wurde in den 1970er-Jahren etwa die US-Botschaft in Moskau gegen Mikrowellenstrahlung abgeschirmt. Dies, weil man den Sowjets anlastete, mit Mikrowellen amerikanische Abhöraktionen stören zu wollen. Die US-Geheimdienste fassten die mysteriösen Phänomene unter dem Codenamen MUTS (Moscow Unidentified Technical Signals) zusammen.

Sollten dagegen Akustikwaffen wie etwa Schallkanonen für die AHI verantwortlich sein, könnten Schalldämmungsmassnahmen helfen. Bereits ein getragener Gehörschutz kann die Wirkung von Schallkanonen als Waffe zunichtemachen. Experten halten allerdings Akustikwaffen als Ursache für wenig plausibel.

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