Behörden überrascht'Ndrangheta-Clan ist im Thurgau aktiv
Dokumente der italienischen Polizei belegen: Die grösste italienische Mafia ist auch im Thurgau verankert.

Super-Pate Oppedisano: «Segen» für die Thurgauer 'Ndrangheta? (epa)
Der über 2500 Seiten starke Bericht der italienischen Staatsanwaltschaft, der dem ARD-Politmagazin «Report München» zugespielt wurde, ist hochbrisant: In jahrelanger Kleinarbeit haben die italienischen Behörden mutmassliche Mitglieder der kalabresischen Mafia-Organisation 'Ndrangheta überwacht und deren Telefonate abgehört – und dabei auch eindeutige Hinweise für die Existenz von Schweizer Ablegern des Clans gefunden.
In einem der aufgezeichneten Gespräche geht es um einen Territorialstreit zwischen dem 'Ndrangheta-Arm in der deutschen Nachbarschaft und dem Ableger in Frauenfeld. Ein Capo aus Singen sitzt seit Juli in Haft. In der Schweiz sind noch einige mutmassliche Mafiosi auf freiem Fuss: Am 18. August 2009 beobachteten die italienischen Fahnder einen Wagen mit Thurgauer Kennzeichen auf dem Grundstück des mittlerweile inhaftierten Super-Paten Domenico Oppedisano in Kalabrien. Darin sassen vier Männer, drei davon wohnen im Thurgau. Wie die Polizei beschreibt, zelebrierten die Männer in der Zitrusplantage des Paten einen «esoterischen Ritus» – laut Mafia-Kennerin Stephanie Oesch möglicherweise ein Aufnahmeritual.
Der Besitzer des Autos konnte gestern in seiner Thurgauer Wohngemeinde nicht kontaktiert werden. Eine Nachbarin sagte aber: «Ich habe mich schon oft gefragt, wie er sein Leben finanziert, zu arbeiten scheint er jedenfalls nicht.»
Von 20 Minuten angesprochen, zeigen sich die Schweizer Behörden überrascht: Die Kapo Thurgau wisse nichts von «erkennbaren mafiösen Strukturen im Kanton», und die Bundesanwaltschaft nimmt die Dokumente «mit Interesse zur Kenntnis».

Frau Oesch*, hatten Sie Kenntnis von der mutmasslichen Zelle der kalabresischen Ndrangheta im Kanton Thurgau?
Stephanie Oesch: Vom konkreten Fall wusste ich nichts. Bis anhin war bekannt, dass die Ndrangheta vor allem im Grenzgebiet zu Italien Ableger hat.
In welchen Branchen sind sie aktiv?
Ihr Hauptgeschäft ist die Geldwäscherei. Zudem hat die Ndrangheta auch einen Grossteil des hiesigen Drogenhandels unter Kontrolle. Leider ist die Beweisführung gegen die Mafiosi sehr schwierig dies erklärt, weshalb sich viele noch auf freiem Fuss bewegen.
Müssen wir uns fürchten?
Als Privatpersonen droht uns keine grosse Gefahr. Für die Wirtschaft, den Finanzplatz und nicht zuletzt für unsere Demokratie ist die Bedrohung aber reell und darf auf keinen Fall unterschätzt werden.
* Stephanie Oesch verfasste ein Buch über die organisierte Kriminalität in der Schweiz.