Einsatz von NGO30 Ausschaffungshäftlinge kommen wegen Corona frei
Wegen der Corona-Pandemie sind Ausschaffungsflüge erschwert. Davon profitieren Dutzende Inhaftierte, die nun freikommen.
Darum gehts
- Das Bundesgericht hat in mehreren Fällen eine Entlassung aus der Ausschaffungshaft angeordnet.
- Der Grund: Wegen der geschlossenen Grenzen und der Corona-Pandemie sei unklar, wann die Betroffenen ausreisen könnten.
- Kantone befürchten, dass sich Entlassene der Ausschaffung entziehen können – einige sind früher bereits straffällig geworden.
Das Bundesgericht rügt den Kanton Zürich erneut: Laut dem diese Woche veröffentlichten Urteil muss das Zürcher Migrationsamt einen abgewiesenen Asylbewerber aus dem Maghreb-Raum aus dem Ausschaffungsgefängnis entlassen, weil eine Ausschaffung aufgrund der Corona-Pandemie nicht in absehbarer Zeit durchführbar sei. Der Mann hatte in der Schweiz zuvor eine Haftstrafe wegen banden- und gewerbsmässigen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung, mehrfachen Hausfriedensbruchs und Hehlerei abgesessen.
Im Juni verfügte das Bundesgericht aufgrund der Corona-Situation auch die Freilassung eines Somaliers, der wegen schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 32 Monaten verurteilt worden war. Der vierfache Vater war 2019 in Ausschaffungshaft gekommen. Die Haft soll verhindern, dass eine Person untertaucht, die kein Bleiberecht in der Schweiz hat (siehe Box unten).
Verein hilft Häftlingen
Zahlreiche Kantone haben inzwischen wegen der Corona-Krise Ausschaffungshäftlinge entlassen, darunter das Tessin, die beiden Basel oder Bern. Vertreten wurden zahlreiche Inhaftierte vom Verein Asylex. Dieser hat nach eigenen Angaben für über 40 Klienten die Freilassung beantragt – und in über 30 Fällen Erfolg gehabt. Präsidentin und Anwältin Lea Hungerbühler begründet den Einsatz mit Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dieser garantiere jedem Menschen das Recht auf Freiheit und Sicherheit.
Gemäss Hungerbühler ist die Haft illegal, wenn eine Wegweisung nicht in absehbarer Zeit möglich ist: «Aufgrund der geschlossenen Grenzen entfiel die zentrale Rechtsgrundlage für die Inhaftierung von Menschen, die die Schweiz verlassen müssen.» Sie betont, dass nicht alle Personen in Ausschaffungshaft zuvor in der Schweiz straffällig geworden seien. «Und jene, die gegen das Strafgesetz verstiessen, haben ihre Strafe abgesessen.»
Erst kürzlich forderte auch das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Staaten auf, «die unrechtmässige und willkürliche Inhaftierung» von Flüchtlingen und Asylsuchenden zu beenden, insbesondere dort, wo Ausschaffungen ausgesetzt worden seien.
«Kriminelle Abgewiesene ausschaffen»
Laut Marcel Suter, Präsident der Vereinigung der Kantonalen Migrationsbehörden, bestimmen die Kantone im Rahmen des ihnen zustehenden Ermessensspielraums ihre Praxis selber. Erfahrungsgemäss verhielten sich Personen, die aus der Ausschaffungshaft entlassen werden, «nicht mehr kooperativ bei den Bemühungen der Migrationsämter, eine Rückführung zu vollziehen».
Auch Lukas Rieder, Sprecher des Staatssekretariats für Migration (SEM), sagt: «Das SEM und Kantone sind der Ansicht, dass insbesondere auch Personen mit einer Landesverweisung oder strafrechtlichen Verurteilungen weiterhin in der Haft verbleiben sollen, wenn der Vollzug der Ausweisung innerhalb der maximalen Haftdauer weiterhin absehbar ist.» Diese Absehbarkeit sei in der aktuellen Situation nicht grundsätzlich zu verneinen, sondern müsse jeweils im Einzelfall geprüft werden.
Weiterhin keine Massenentlassungen will der Kanton Zürich. Dessen Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP) teilt mit: «Wir werden weiterhin alles daransetzen, kriminelle Abgewiesene auszuschaffen.» Auch CVP-Nationalrätin Marianne Binder sagt, die Behörden müssten alles daransetzen, die Ausschaffungen zu vollziehen: «Eine Verlängerung der Haft sollte, wie vieles in der momentan ausserordentlichen Situation, ebenso möglich sein.» Eine Freilassung führe quasi zu einer Nichtausschaffung, da die Kontrolle kaum mehr möglich sei.
Was ist Ausschaffungshaft?
Die Ausschaffungshaft oder Administrativhaft wird nicht wegen einer Straftat angeordnet. Sie soll vielmehr sicherstellen, dass eine Person, die sich nicht mehr in der Schweiz aufhalten darf, das Land verlässt. «Die Ausschaffungshaft wird verfügt, wenn konkrete Anzeichen bestehen, die befürchten lassen, dass sich eine Person der Ausschaffung entziehen will, insbesondere weil sie der Mitwirkungspflicht nicht nachkommt», sagt Marcel Suter, Präsident der Vereinigung der Kantonalen Migrationsbehörden. Die Administrativhaft darf grundsätzlich insgesamt sechs Monate nicht überschreiten. Sie kann bei Erwachsenen jedoch mit Zustimmung eines Richters um höchstens ein Jahr verlängert werden.