Stadler Rail, Roche, NovartisNGOs fordern Schweizer Firmen in Belarus zum Handeln auf
Schweizer Firmenableger sollten in Belarus Stellung beziehen, fordern humanitäre Organisationen. Schwiegen diese, stärke dies die Diktatur, sagt ein NGO-Vertreter.
Darum gehts
Menschenrechtsverletzungen in Belarus: Unternehmen, die in einem Land mit einem autoritären Regime arbeiteten, trügen eine Verantwortung für die dortige Situation, sagt ein Vertreter von Humanrights.ch.
Die Schweizer Unternehmen werden jedoch nicht aktiv.
Handeln sollten die Schweizer Bürgerinnen und Bürger, so eine Wirtschaftsethikerin.
Gegen Regimekritiker geht der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko hart vor. Am Sonntag liess er eine Ryanair-Maschine auf dem Weg von Griechenland nach Litauen abfangen, um den regierungskritischen Blogger Roman Protassewitsch zu verhaften. Die Festnahme ist ein neuer Höhepunkt Lukaschenkos diktatorischen Regimes.
Der Europäische Rat beschloss kürzlich Sanktionen gegen Unternehmen und Wirtschaftsakteure, die das Regime finanzieren. Auch Schweizer Betriebe wie der Schienenfahrzeug-Hersteller Stadler Rail, der Luxusuhrenhersteller Franck Muller sowie die Pharmahersteller Roche und Novartis haben Standorte in Belarus. NGOs nehmen diese in die Pflicht.
«Menschenrechtsverletzungen verurteilen»
Unternehmen, die in einem Land mit einem autoritären Regime arbeiteten, trügen eine Verantwortung für die dortige Menschenrechtssituation, sagt Matthias Hui, Koordinator bei der Organisation Humanrights.ch. «Daher erwarten wir, dass die Unternehmen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen der Regierung verurteilen.» Schwiegen sie hingegen, stärke dies die Diktatur.
Laut Hui sollten die Firmen zudem mit den Menschenrechtsorganisationen vor Ort den Dialog suchen. «So kann zum Beispiel abgeklärt werden, was zu tun ist, wenn Mitarbeitende vom Staat überwacht werden und welche Unterstützung das Unternehmen leisten kann, wenn Angestellte in Haft sind.»
Erhöhte Sorgfalt verlangt
Auch Amnesty International Schweiz verlangt von Unternehmen im Land eine erhöhte Sorgfalt. «Ausländische Firmen wie Stadler Rail sind verpflichtet, sicherzustellen, dass sie keine Menschenrechtsverletzungen begünstigen», schreibt Mediensprecher Beat Gerber auf Anfrage. So dürfe es zum Beispiel keine Kooperation mit der Regierung geben, die zur Repression gegen Mitarbeitende führe, die sich der Protestbewegung angeschlossen hätten.
Würden Unternehmen mit internationalen Menschenrechtsnormen verletzenden Anfragen oder Direktiven der Regierung konfrontiert, sollten sie sowohl der Regierung als auch der Öffentlichkeit mitteilen, dass das Unternehmen grundsätzlich gegen die Umsetzung dieser Anfragen sei, so Gerber.
Firmen sehen sich nicht in Verantwortung
Die Unternehmen werden jedoch nicht aktiv. «Es ist nicht die Aufgabe eines Schweizer Unternehmens, die Politik eines anderen Landes zu bewerten oder darauf Einfluss zu nehmen», heisst es bei Stadler Rail auf Anfrage. Dies sei unabhängig davon, ob es sich hier beispielsweise um die USA, Belarus oder Deutschland handle. Dafür gebe es Aussenministerien sowie supranationale Organisationen. «Erlassen diese Sanktionen, hält sich Stadler selbstverständlich daran.»
Auch die Pharmahersteller handeln nicht. Novartis unterstütze das belarussische Gesundheitssystem durch die Bereitstellung von pharmazeutischen und onkologischen Medikamenten, schreibt ein Sprecher. Novartis setzte sich für den Zugang zu Medikamenten für Patientinnen und Patienten in Belarus ein.
Eine Sprecherin von Roche schreibt, dass das Unternehmen die Entwicklung in Belarus derzeit beobachte und sich laufend dafür einsetze, dass Patientinnen und Patienten dort Zugang zu innovativen Medikamenten und Diagnostika hätten. Bei der Uhrenfirma Franck Muller blieb die Anfrage unbeantwortet. Auch Wirtschaftsethikerin Marianthe Stavridou sieht die Firmen nicht in der Pflicht (siehe unten).
«Wir als Bürgerinnen und Bürger sollten handeln»
Frau Stavridou*, ist es ethisch vertretbar, wenn Schweizer Firmen in diktatorisch geführten Ländern wirtschaften?
Was in Belarus geschieht, ist inakzeptabel. Die Menschenrechte sollten an erster Stelle stehen. Schweizer Firmen hingegen sind überall auf der Welt tätig, unabhängig von der politischen Situation. Die Schweiz unterstützt Investitionen direkt und indirekt durch ihre bilateralen oder multilateralen Handelsabkommen. Durch Privatinvestitionen oder die Investitionen, die unsere Pensionsfonds in diese Unternehmen tätigen, unterstützen wir auch als Bürgerinnen und Bürger viele multinationale Unternehmen.
Die Schweizer Unternehmen könnten ein Zeichen gegen die Regierung setzen, indem sie ihre Ableger aus Belarus abziehen.
Die multinationalen Unternehmen haben kein Interesse, ein solch starkes Zeichen zu setzen. Vor allem, weil ihr Fokus nicht auf den Menschen, sondern auf dem Profit liegt. Sie würden so etwas nie tun und ihre Position in einem Land gefährden. Wir als Bürgerinnen und Bürger sollten handeln, und zwar auf mehreren Ebenen: Wenn multinationale Unternehmen ihre Investoren verlieren, ändern sie auch ihre Einstellung zu Mensch und Umwelt.
Was können wir tun?
Erstens, das Verhalten von Schweizer Unternehmen daraufhin überprüfen, ob sie die Menschenrechte in irgendeiner Weise verletzen. Zweitens, von der Politik verlangen, dass die Schweiz keine bilateralen oder multilateralen Verträge ohne Menschenrechts- und Umweltschutzklauseln unterzeichnet. Wenn wir auch ehrlich sein wollen, können wir unsere Privatinvestitionen aus jenen Unternehmen und Ländern zurückziehen, die Menschenrechte verletzen, und darauf bestehen, dass unsere Pensionskassen dasselbe tun.

*Marianthe Stavridou ist Wirtschaftsethikerin und arbeitet am Zentrum für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit in Zürich.
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