Niederlage als taktisches Manöver

Aktualisiert

Angriff der SVPNiederlage als taktisches Manöver

Die SVP greift einen der frei werdenden Bundesratssitze an. Damit wird sie scheitern, glauben Politologen. Und sehen darin politisches Kalkül.

Nicolas Hehl
sda
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Nicolas Hehl
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«Sie erhebt Anspruch auf einen zusätzlichen Sitz, wird vom Parlament versenkt und kann sich dann als Oppositionskraft verkaufen», fasst der Berner Politologe Adrian Vatter die Strategie der SVP zusammen. Georg Lutz von der Universität Lausanne teilt seine Einschätzung.

Er zweifelt sogar daran, dass die SVP den Sitz wirklich erobern will: Sie habe sich schon davon verabschiedet, eine Mehrheit dafür zu suchen, sagte Lutz gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Bei den Parlamentswahlen könne die SVP dann sagen: 'Wir sind im Bundesrat untervertreten, darum müsst ihr uns jetzt wählen.'

Konkordanz als «Casus Belli»

So mache die SVP die Frage der Konkordanz zum «Casus Belli» - zum Kriegsfall, sagte Andreas Ladner vom Institut de hautes études en administration publique (IDHEAP) in Lausanne. Der Politologe gesteht deren Angriff aber immerhin eine «Restchance» zu.

Weder die CVP noch die Grünen hätten nämlich ein Interesse daran, zwei Bundesrats-Sitze auf Jahre hinaus mit FDP-Vertretern zu besetzen. Darum könnten sie die Wahl eines SVP-Bundesrats auf Kosten der FDP unterstützen und die eigentliche Ausmarchung dann nach den eidgenössischen Wahlen im nächsten Herbst vornehmen.

«Mit Blick auf die Stabilität des Systems würde das Sinn machen», sagte Ladner. Der FDP bliebe damit auch die Abwahl eines Bundesrats erspart - eine für jede Partei «traumatische» Erfahrung.

Nach Einschätzung seiner Kollegen wird dieses Szenario Theorie bleiben. «Woher sollen die Stimmen dafür kommen?» fragt Vatter rethorisch. Lutz erinnert daran, dass CVP und Grüne mit grosser Geschlossenheit hinter einem solchen Vorhaben stehen müssten - und das werde nicht geschehen.

Erklärungsnot der Grünen

«Die Grünen könnten nicht begründen, dass sie einen SVP- Kandidaten wählen anstelle eines moderaten Vertreters der FDP.» Wohl gebe es ein paar Grüne, die für einen Sitz im Bundesrat zu allen Bündnissen bereit wären. «Eine Mehrheit ist dies aber nicht», sagte Lutz.

Etwas mehr Offenheit macht er bei der CVP aus. Auch sie werde die nötige Geschlossenheit aber nicht erreichen. Solche Bündnisse seien zwar schon gelungen, etwa bei der Abwahl von Christoph Blocher. Sie seien aber sehr schwierig zu koordinieren. «Diese Gespräche im Hinterzimmer sind ein Mythos», sage Lutz.

Für Vatter spricht auch eine drohende Abwahl nicht dagegen, den Sitz von Bundesrat Merz wieder der FDP zuzuhalten. In den letzten Jahren habe sich gezeigt, dass das Parlament die Aufgabe, Bundesräte zu wählen und auch abzuwählen, tatsächlich wahrnehme. «Dieses Tabu ist mit der Abwahl von Ruth Metzler gefallen», sagte Vatter.

Bleibt die offene Frage, mit wem die SVP am 22. September antreten wird: Um überhaupt eine Chance zu haben, müsste sie einen ihrer gemässigten Vertreter zur Wahl stellen, glauben die befragten Politologen. Tatsächlich aussichtsreiche Kandidaten dürften aber zögern, sich in einem aussichtlosen Bundesrats-Wahlkampf «verheizen» zu lassen.

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