Das kleine Kamera-WunderNokias Megapixel-Monster im Test
Braucht eine Handy-Kamera wirklich 41-Megapixel? Die Skepsis war gross. Der Praxistest mit dem Nokia 808 PureView zeigt, wie sich die Pixel-Maschine gegen Top-Smartphones schlägt.
Nichts ist brutaler als das Ergebnis eines Kamera-Vergleichstests: Unbearbeitete Bilder lügen nicht und die Fotos in der Diashow sprechen eine deutliche Sprache. Die 41-Megapixel-Kamera im Nokia 808 PureView lässt die Konkurrenz blass aussehen. Damit bestätigt sich der anfängliche Eindruck nach unserem Kurztest. Die PureView-Kamera misst sich eigentlich nicht mit iPhone, Galaxy und Konsorten, sie liefert eher Aufnahmen im Bereich von Kompaktkameras.
Mit 41 Megapixel lassen sich gewaltige Fotos mit 7728 x 5368 Pixeln knipsen. Dies ist natürlich nur in den seltensten Fällen zweckmässig, Nokia empfiehlt im Alltag die Standard-Einstellungen von drei, fünf oder acht Megapixeln zu nutzen. Die zusätzlichen Megapixel sind aber keineswegs sinnlos: Dank der 41 Megapixel lässt sich in einem Fünf-Megapixel-Bild das typische Rauschen von Handy-Bildern herausfiltern und es kann bis zu 3-fach in das Foto hineingezoomt werden, ohne die sonst unvermeidlichen Qualitätsverluste beim Digitalzoom. Nokia und Optik-Spezialist Carl Zeiss verwenden dafür das sogenannte Pixel-Oversampling: Hierbei werden sieben einzelne Pixel zu einem einzigen Super-Pixel zusammengefasst, der mehr Bildinformationen enthält.
Gute Kamera, mässiges Smartphone
Die Fotoqualität der PureView-Technologie setzt für Smartphones ohne Zweifel einen neuen Massstab. Insbesondere bei schwierigen Lichtverhältnissen spielt die PureView-Kamera ihre Überlegenheit aus. Im Dunkeln hilft der starke Xenon-Blitz aus, der die üblichen LED-Blitzlichter von Smartphones alt aussehen lässt. Die gute Nachricht lautet also: Zum ersten Mal kann ein Handy die Kompaktkamera im Urlaub vergessen machen. Die schlechte Nachricht: Abseits des Foto-Wunders kann das Nokia 808 nicht mit den derzeit besten Smartphones mithalten.
Das 808 läuft mit Nokias eigenem Betriebssystem Symbian. Es reagiert zwar flott, ist aber langsamer als etwa das iPhone 4S, Galaxy S3 oder auch Nokias aktuelles Topmodell, das Lumia 900 mit Windows Phone. Das 4 Zoll grosse Display löst zudem schlecht auf und ist relativ dunkel. Wie gut die Fotos wirklich sind, erkennt man daher erst auf einem grossen PC-Monitor.
PureView kommt für das Lumia 920
Wer das Smartphone mit der momentan besten Kamera sucht, ist beim Nokia 808 an der richtigen Adresse. Die Finnen haben zudem ihr Betriebssystem in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Symbian-Smartphones lassen sich nun sehr ähnlich wie das iPhone oder Android-Geräte bedienen, haben aber das Manko, dass das App-Angebot nicht mit der Konkurrenz mithalten kann.
Wer sich an Symbian stört, braucht wohl noch etwas Geduld. Vermutlich zwischen Anfang November und Januar 2013 werden die Finnen das Lumia 920 mit dem brandneuen Betriebssystem Windows Phone 8 in der Schweiz lancieren. Im neuen Lumia steckt eine abgespeckte PureView-Kamera (20 Minuten Online berichtete).
Braucht es wirklich 41 Megapixel?
41 Megapixel für eine Handy-Kamera klingen auf den ersten Blick verrückt. Extrem hohe Auflösungen machen bei kleinen Handy- und Kompaktkameras eigentlich keinen Sinn, da die Bildqualität stets durch den kleinen Bildsensor und die kleine Linse, die nur wenig Licht einfängt, begrenzt wird. Ist der Sensor für die Anzahl Megapixel zu klein, entstehen Bildfehler oder das Foto wirkt körnig. Der Trend zu immer dünneren Smartphones lässt daher keine grossen und somit guten Kameras zu.
Die Nokia-Kamera sei «völlig sinnlos» oder bloss ein «Marketing-Gag», schrien die Hobby-Fotografen daher nach der Enthüllung der PureView-Kamera Anfang Jahr. Inzwischen ist das 41-Megapixel-Ungetüm im Handel und die kritischen Stimmen sind mehrheitlich verstummt. Der Grund liegt auf der Hand: Die Finnen haben nicht nur an der Megapixel-Schraube gedreht, sondern tief in die Trickkiste gegriffen.
Die PureView-Kamera ist laut Nokia 50 bis 70 Prozent kleiner als eine konventionelle Kamera mit optischem Zoom. Der Handyriese konnte daher einen deutlich grösseren Bildsensor im Nokia 808 verbauen, der mehr Licht und somit auch mehr Details verarbeitet. Mit einer Diagonale von 1/1,2 Zoll ist der PureView-Sensor deutlich grösser als bei den allermeisten derzeit erhältlichen Kompaktkameras (siehe Diashow).
Das «Revolutionäre» am Nokia 808 sind somit nicht die gigantischen Megapixel-Zahlen, sondern die neuartige PureView-Technologie. Die Kombination aus grossem Bildsensor und der automatischen «Verdichtung» der Pixel machen die Differenz zu den bisherigen Handy-Kameras aus. Und ja – telefonieren kann man mit dem Handy auch.
Das Nokia 808 im Video
So entstand die PureView-Kamera
Quelle: YouTube/Nokia
Das Testgerät wurde von Nokia zur Verfügung gestellt. Das Smartphone kostet ohne Abo rund 600 Franken.
Nokia fälschte Bilder
Am Mittwoch präsentierte Nokia das neue Windows-Phone-Flaggschiff Lumia 920. Im neuen Lumia kommt eine abgespeckte PureView-Kamera mit 8-Megapixel zum Einsatz. Werbe-Videos und -Fotos sollen die herausragende Bildqualität im Dunkeln und die Wirkung des Bildstabilisators beim Filmen demonstrieren. Doch ein Video, das die Bildstabilisator-Funktion zeigen soll, wurde bereits vom US-Tech-Blog The Verge als Fälschung entlarvt. Das Video wurde mit einer professionellen Kamera gedreht und demonstriere lediglich den Bildstabilisations-Effekt, versuchte sich Nokia herauszureden. Kurz darauf mussten die Finnen eingestehen, dass sie auch bei gewissen Promo-Bildern gemogelt haben. Diese zeigten, dass das Lumia 920 auch im Dunkeln ohne Blitz gute Fotos machen kann.
Die Skandal-Rufe der Presse waren laut, allerdings wohl voreilig, wie sich nun zeigt: Nokia hat sofort reagiert und Mitarbeiter von The Verge zum nächtlichen Foto-Shooting in den Central Park in New York eingeladen. Dabei wurden im Dunkeln Vergleichsfotos mit dem neuen Nokia Lumia 920, Nokia 808 PureView, iPhone 4S, Galaxy S3 und einer Nikon-Spiegelreflexkamera geschossen. Die Fotos zeigen, dass das Lumia 920 mit PureView-Kamera im Dunkeln anderen Smartphones tatsächlich überlegen ist. Die Finnen haben zudem mit einem Video nachgelegt, das den Bildstabilisations-Effekt des neuen Lumias nochmals demonstriert.
Obwohl Nokia seine Versprechungen anscheinend einhalten kann, müssen sich die Finnen vorwerfen lassen, die Werbung nicht richtig deklariert zu haben. Geschönte Werbung ist zwar vermutlich auch bei der Konkurrenz gang und gäbe, hinterlässt aber einen faden Nachgeschmack. (owi)