Oensingen SO«Gewalt schaukelt sich hoch, niemand will als Feigling dastehen»
Brutale Gewalttat in Oensingen SO: Eine Mädchengruppe verprügelt und erniedrigt ein 16-jähriges Mädchen. Was treibt Jugendliche zu so einer Tat? Dazu Gewaltexperte Dirk Baier.
Darum gehts
In Oensingen wurde ein 16-jähriges Mädchen von einer Mädchengruppe brutal verprügelt.
Die Täterinnen filmten die Tat und stellten die Videos ins Internet.
Gewaltexperte Dirk Baier erklärt, dass Gruppendynamik und fehlende Empathie eine Rolle spielen.
Die Polizei hat eine Strafuntersuchung eingeleitet.
Brutale Gewalttat in Oensingen, SO: Sechs Mädchen im Alter von 14 bis 16 Jahren haben am 17. Januar beim Bahnhof Oensingen eine 16-Jährige verprügelt und gefilmt, wie sie sich entblösste. Die Videos stellten sie auf Social Media. Doch: Wie sind junge Mädchen zu so einer Tat fähig? Dazu Dirk Baier, Experte für Jugendgewalt.
Herr Baier, was kann man über das Profil solcher Täterinnen sagen?
Solche Täterinnen haben oftmals eine geringe Empathie und Selbstkontrolle. Sie sind sich der Taten und deren Folgen für das Opfer nicht ausreichend bewusst. Das trifft auch auf männliche Gewalttäter zu. Bei weiblichen Tätern wissen wir allerdings, dass das Aufwachsen mit wenig elterlicher Zuneigung und mit elterlicher Gewalt häufiger gegeben ist, als bei männlichen Tätern.
Aus welchem Milieu stammen solche Täterinnen?
Solche Gruppenprozesse können prinzipiell Personen aus allen sozialen Schichten erfassen. Laut Statistik ist davon auszugehen, dass es sich um eher sozial schwächere Schichten mit niedriger Bildung handelt. Aber entscheidender ist, was die jungen Frauen in ihrer bisherigen Sozialisierung in den Familien, in der Nachbarschaft, in der Schule erlebt haben. Hier hat es scheinbar Versäumnisse gegeben, es wurde wohl zu wenig auf die Entwicklung der Mädchen geschaut.
![Laut Gewaltexperte Dirk Baier haben solche Täterinnen oftmals eine geringe Empathie und Selbstkontrolle. Laut Gewaltexperte Dirk Baier haben solche Täterinnen oftmals eine geringe Empathie und Selbstkontrolle.](https://image.20min.ch/2025/01/28/a3f8948a-d3fa-477a-b52e-1aed84a6fc6f.jpeg?auto=format%2Ccompress%2Cenhance&fit=max&w=1200&h=1200&rect=0%2C0%2C4000%2C3000&s=99e4edc031b3d9e052ffe47c1aead846)
Laut Gewaltexperte Dirk Baier haben solche Täterinnen oftmals eine geringe Empathie und Selbstkontrolle.
20 MinutenDie Polizei spricht von sechs Täterinnen. Inwiefern spielt die Gruppendynamik eine Rolle?
Dieser Kontext ist wichtig. In der Gruppe schaukelt man sich gegenseitig zu solchen Taten hoch. Es gibt meist eine Art Leader, also eine Person, die am stärksten zu Gewalt neigt und diese dann auch immer wieder einsetzt. Die anderen ziehen dann mit, um nicht als Feiglinge dazustehen.
Mindestens eine der Täterinnen hat gefilmt und die Videos veröffentlicht. Was will sie damit bezwecken?
Ich gehe nicht davon aus, dass sie sich viel dabei überlegt hat. Das ist ja gerade Ausdruck des eher impulsiven Handelns solcher Täter. Zudem wachsen die Jugendlichen in einer Welt auf, in der quasi alles geteilt wird, eben auch solche Angriffe. Genauso wie wir das bei Jungen sehen, wird sicher auch hier bedeutsam sein, dass man einen eigenen Ruf festigen möchte. Sich als gewalttätig zu stilisieren, bringt Zuspruch und Anerkennung ein – zumindest in bestimmten Milieus. Zudem haben andere dann Respekt vor einem – solche Macht zu haben, ist reizvoll.
Sich als gewalttätig zu stilisieren, bringt Zuspruch und Anerkennung ein – zumindest in bestimmten Milieus.
Einige der mutmasslichen Täterinnen melden sich nach der Tat auf Social Media zu Wort und spielen sie herunter. Sind ihnen die Konsequenzen egal?
Leider ist die Schuldeinsicht tatsächlich reduziert. Die jungen Frauen rechtfertigen sich damit, dass ja alles nicht so schlimm ist oder dass das Opfer das «verdient» hat. Das sind typische Neutralisierungstechniken, die zeigen, dass die Mädchen nicht ausreichend fähig sind, die langfristigen Konsequenzen abzusehen und die Perspektive des Opfers einzunehmen.
Was droht den Täterinnen nun?
Das kommt darauf an, was sie bereits in der Vergangenheit gemacht haben. Waren sie wiederholt auffällig, werden die Sanktionen nach und nach härter ausgestaltet, wobei eine Haftstrafe hier noch nicht zur Debatte steht. Die Jugendlichen könnten zu einer Busse oder zu einer persönlichen Leistung verurteilt werden – also irgendwo gemeinnützig arbeiten.
Anbieten würde sich in jedem Fall aber eine Mediation. Strafen fokussieren immer die Vergangenheit. Es muss aber gerade bei Jugendlichen um die Zukunft gehen und um die Frage, was hilft, dass sich die Täterinnen zukünftig straffrei verhalten und dass das Opfer wieder ein von Angst befreites Leben leben kann.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche
Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein
Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer
LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133
Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Beratungsstellen für gewaltausübende Personen
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