BühnenunfallOpernhaus: Kein Gehör für tauben Sänger
Ein Bühnen-Donnerknall, laut wie eine Explosion, ist das letzte, was der Zürcher Chorsänger Han schmerzfrei zu hören bekam. Er und sechs weitere Sänger erlitten einen Hörsturz. Han ist seither schwer hörbehindert. Jetzt verlangt er eine finanzielle Entschädigung vom Musentempel.
Pyong-Chin Han sitzt auf einem Stuhl des Besprechungszimmer. Kopf und Schultern sind gesenkt. Seine Augen feucht. Der 42-jährige Koreaner ist am Ende. «Ich weiss nicht mehr, was ich tun soll», sagt er mit zittriger Stimme. Sein Leben lang hat er nichts anderes gemacht als gesungen: In Korea, in Deutschland und seit 12 Jahren am Opernhaus Zürich. Nun ist das Leben als Musiker für ihn auf einen Schlag vorbei. Oder genauer gesagt - auf einen Knall.
Sieben Sänger erlitten einen Hörsturz
Am 9. Januar 2008 erlitt er bei der Bühnenprobe zu «Le Cid» einen Gehörschaden. Auf der Bühne wurde ein Solo eingeübt. Mehrmals wiederholte der Dirigent die Szene. Han wartete zu diesem Zeitpunkt mit rund 30 anderen Chorsänger auf seinen Auftritt. Plötzlich donnert ein Knall, laut wie eine Explosion, aus der Lautsprecheranlage. «Die gesamte Bühne vibrierte wie bei einem Erdbeben», erinnert sich Han an den verhängnisvollen Abend.
Han und sechs weitere Sänger erlitten einen Hörsturz. Für die anderen Sänger endet der Zwischenfall noch glimpflich. Nach einem Monat Ruhe erholte sich ihr Gehör. Nicht so bei Han. Der Chor sei vollkommen überrascht worden von der Einspielung. Normalerweise würde man gewarnt und könne sich die Ohren zuhalten. Dieses Mal blieb die Warnung aus – mit fatalen Folgen.
«Ich werde wie eine Requisite behandelt»
Seit dem tragischen Ereignis hat der 42-Jährige einen Tinnitus links und ein Rauschen auf beiden Ohren. Sein Hörvermögen ist stark beeinträchtigt: Im Gespräch muss er immer das rechte Ohr zum Gesprächspartner wenden. Telefonieren kann er nur noch mit Kopfhörern, Gespräche mit Freunden im Restaurant sind unmöglich. «Sobald der Geräuschpegel höher wird, höre ich kaum noch etwas», sagt er. Vor zwei Wochen folgte der Bescheid seines Arztes: Sein Hörvermögen wird sich nie mehr erholen. Ein Schock für Han. Singen ist nun definitiv kein Thema mehr. «Was soll ich denn jetzt tun? Ich habe doch immer nur gesungen», sagt er. Vom Opernhaus fühlt er sich alleine gelassen, ausgenutzt und abserviert: «Ich werde wie eine Requisite behandelt: Jetzt wo man mich nicht mehr braucht, stellt man mich in die Ecke.» Nun fordert Han Geld vom Opernhaus.
Anwalt zweifelt an Aussagen des Opernhauses
Unterstützung erhält er vom Schweizerischen Bühnen Künstler Verband (SBKV). Der ihm zur Seite gestellte Anwalt Ernst Brehm moniert, dass das Opernhaus zu wenig für die Aufklärung des Falles getan hat: «Aus den Unterlagen des Opernhauses ist weder der genaue Unfallhergang nachvollziehbar, noch kann beurteilt werden, ob es seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist», so Brehm. Der SBKV hat einen externen Experten engagiert. Dieser klärt ab, ob Sorgfaltspflichten verletzt wurden. Laut Opernhaus seien die gesetzlichen Lärmpegelgrenzen bei der Einspielung des Knalls nicht überschritten worden. «Wir bezweifeln aber, dass das stimmt», so Brehm. Alles hänge nun vom Expertenbericht ab. Sobald dieser auf dem Tisch liegt, will Brehm Haftpflicht-Ansprüche stellen und möglicherweise strafrechtlich gegen das Opernhaus vorgehen.
Opernhaus: «Vorfall ist auf einen menschlichen Fehler zurückzuführen»
Das Opernhaus selbst streitet den Zwischenfall nicht ab. «Der Inspizient hat auf die Einspielung nicht hingewiesen», sagt der kaufmännische Direktor Otto Grosskopf. Warum er dies unterliess, müsse nun geklärt werden. Als Sofortmassnahme sei eine neue Obergrenze für Einspielungen gesetzt worden. Zudem sei der damals verantwortliche Tontechniker entlassen worden. «Wir haben uns auch aufgrund dieser Umstände von ihm getrennt», so Grosskopf. Von strafrechtlichen relevanten Verfehlungen oder finanzieller Entschädigung will Grosskopf aber nichts wissen. Auch die Sorgfaltspflicht sei nicht vernachlässigt worden: «Der Vorfall ist auf einen menschlichen Fehler zurückzuführen.»
Aber: «Wir haben Herr Han bisher soweit es ging unterstützt und uns für ihn eingesetzt, das werden wir auch in Zukunft tun», versichert Grosskopf. Eine Umschulung im Bereich Web-Design wurde bereits diskutiert. Das Opernhaus will Han dabei unterstützen. Doch dem ist das nicht genug: Er hofft auf eine Entschuldigung und auf eine finanzielle Entschädigung.
Han ist kein Einzelfall
Bereits 2003 ging ein Sänger strafrechtlich gegen das Opernhaus Zürich vor. Auch damals hatte der Künstler aufgrund eines «Tonunfalls» eine Hörschädigung erlitten und wurde zum IV-Fall. Er klagte gegen das Opernhaus und erhielt recht. Dem Opernhaus konnte zwar keine Verletzung der Sorgfaltspflicht nachgewiesen werden, aber ein Tontechniker wurde wegen Fahrlässigkeit gebüsst. Zu Vorfällen dieser Art kommt es aber nicht nur am Opernhaus Zürich. «Grundsätzlich sind Hörschädigungen bei Sänger weitverbreitet», weiss SBKV-Anwalt Ernst Brehm. Das Gehör der Künstler sei meist überstrapaziert. «Ein Zwischenfall wie der bei Herr Han ist dann häufig Ursache für eine langfristige Beeinträchtigung.» Der SBKV setzt sich deshalb vermehrt für die Senkung der Lärmobergrenzen ein und fordert von der Suva neue Limiten.