Betroffener erzählt«Um 4 Uhr tschädderete das Telefon, das Inselspital war dran»
Mathias Brunner (37) hat ein Spender-Herz bekommen, 22 Monate lang war er auf der Warteliste. Er erzählt, wie sich das angefühlt hat.
Darum gehts
Mathias Brunner (37) aus Thun hat ein neues Herz und damit ein neues Leben, wie er erzählt.
Er ist mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt gekommen und wurde mehrmals operiert, nie mit langfristigem Erfolg.
Das Warten auf ein neues Organ sei eine Gratwanderung zwischen Euphorie und Verzweiflung gewesen, sagt er.
Herr Brunner, warum brauchten Sie ein neues Herz?
Ich bin mit einer verengten Herzklappe zur Welt gekommen und wurde bis zum 30. Lebensjahr vier Mal operiert. Das erste Mal im Alter von drei Jahren, dann als Teenager und später wieder. Unter anderem bekam ich die Herzklappen von einem Schwein und von einem Rind implantiert. Die Verbesserung hielt nie lange an, mein Gesundheitszustand verschlechterte sich jeweils nach wenigen Jahren wieder. Irgendwann ging es mir so schlecht, dass ich mich kaum mehr bewegen konnte. Ich war auch seelisch an einem Tiefpunkt angelangt, hatte keine Lebensfreude mehr. Und ich trank zu viel Alkohol, weshalb ich übergewichtig wurde.
Dann meldeten Sie sich für eine Organspende an?
Es ist nicht so einfach, überhaupt auf eine Spenderliste zu kommen. Ich verdanke das einem Arzt, der meine Not gesehen hat. Für mich war das Leben nur noch ein Warten auf den Tod, ein Dahinvegetieren. Ich habe mir geschworen, wenn ich es schaffe, auf die Spenderliste zu kommen, dann schwöre ich dem Alkohol sofort ab und ändere mein Leben, das habe ich gemacht.
Dann warteten Sie 22 Monate. Wie war es, als der entscheidende Anruf kam?
Die 22 Monate waren eine einzige Gratwanderung zwischen Euphorie und Verzweiflung. Oft habe ich gedacht, es reicht nicht mehr, ich überlebe das nicht. Ich hatte wegen der Blutgruppe schwierige Voraussetzungen. Dann kam plötzlich der Anruf. Es war der 14. Oktober 2018. Morgens um vier Uhr hat das Telefon getschädderet, das Inselspital Bern war dran, sie hätten ein Herz für mich. Meine Freude war riesig. Innerhalb von 90 Minuten musste ich im Transplantationszentrum sein. Wenn man auf eine Organspende wartet, ist Reisen tabu, man muss 24 Stunden erreichbar und in der Nähe sein.
Zur Person
Mathias Brunner, 37, aus Thun, hat 22 Monate lang auf eine Organspende gewartet, 2018 bekam er ein neues Herz. Er nimmt an einem Fussmarsch für die Organspende teil, der letzten Donnerstag in Bern gestartet ist und am Dienstag, 12. September, in Genf ankommen soll. Mathias Brunner engagiert sich heute ehrenamtlich bei einem Catering-Start-up.
Wie war das Aufwachen mit neuem Herz?
In dem Moment, als ich wieder wahrnehmen konnte, habe ich vor Freude geweint. Ich hatte mit 33 ein neues Leben bekommen. Es fühlte sich komplett anders an. Davor war mir permanent schwindlig gewesen. Nun war der Schwindel weg.
Wissen Sie etwas über den Spender?
Nein, man erfährt nichts über die Spenderin oder den Spender. Ich könnte aber den Hinterbliebenen einen Brief schreiben, das Spital würde ihn weiterleiten. Irgendwann werde ich das machen, sobald ich die passenden Worte dafür finde. Ich empfinde Demut und Dankbarkeit. Nicht nur, weil ein Mensch gestorben ist und ich deshalb weiterleben kann. Sondern auch, weil andere Menschen das Organ ebenfalls hätten brauchen können.
Es gibt Kritikerinnen, welche die Organspende einschränken möchten, weil sie sagen, der Spender sei noch nicht tot, das Sterben sei noch nicht abgeschlossen.
Politisch oder medizinisch kann ich mich dazu nicht äussern. Ich kann nur sagen: Wenn die Organspende eingeschränkt worden wäre, während ich auf ein Herz gewartet habe, wäre das mein Todesurteil gewesen. Für mich wäre eine Welt zusammengebrochen.
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